Theater - Tanz
René Pollesch: „Ich kann nicht mehr“ im Schauspielhaus Hamburg Thomas Aurin

Was für ein Theater! Flachsinnig, spritzig, abgedreht – und ein kleines bisschen tiefsinnig auch. Ein Mix aus Pop und verzweifelten Kommunikationsversuchen, Revolutionskitsch und Guerilla-Ballett.
Doch im Grunde geht es bei René Polleschs aberwitzigem Stück „Ich kann nicht mehr“ um die Unzulänglichkeit von Sprache und Theatermitteln. Im Deutschen Schauspielhaus Hamburg gab es nach der achtzigminütigen Uraufführung begeisterten Applaus.

„Ich kann nicht mehr“ ist ein Satz, den wohl jeder schon mal erschöpft ausgerufen oder zumindest gedacht hat. Gut möglich, dass sich René Pollesch in vorauseilendem Gehorsam in den Zuschauer hineinversetzt hat. Oder der Regisseur bezieht den Titel auf sich selbst und seine Unfähigkeit, Theater in dieser postfaktischen Welt so auf die Bühne zu bringen, wie wir es kennen: Mit einer Geschichte und dramaturgisch aufgebautem Handlungsstrang, die der Zuschauer nachvollziehen kann. Davon kann bei „Ich kann nicht mehr“ nicht die Rede sein. Das Stück ist vielmehr eine absurd anmutende, collagehafte Revue um drei Frauen und einen Mann, die sich – immer wieder unterbrochen von einem filmreifen Chor - zusammenhanglose Geschichten erzählen: Von vergeblichen Versuchen, Hitler und Mussolini durch Oper zu rühren – was zur Frage führt, wie man es überhaupt noch schafft, Rührung hervorzurufen. Und was alles so stört: Die Tagesschau, die randalierenden Penner vor der Tür, die nervigen männlichen Mitbewohner, die immer dann ein Gespräch anfangen, wenn man gerade beim Zähneputzen im Bad ist oder die Kaffeemühle in der Küche ohrenbetäubend röhrt. Reden, Phrasen, Missverständnisse und die Frage: Und was könnte hier jetzt stattfinden, was würde das bedeuten?

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Wir wissen es nicht und fraglich ist, ob es René Pollesch weiß.
Zum Auftakt stürmt ein siebzehnköpfiger Chor die Rampe: Junge Mädels in Tarnanzügen, roten Mündern, roten Halstüchern und Che Guevara Kappen. „Ich bin der Mann! Ich bin der Mann! Kapierst Du das endlich?“, schreien sie dem Publikum entgegen. Immer wieder immer lauter. Der Chor ist der Störfaktor des Stückes, der trotzige Widerpart, an dem sich die vier Schauspieler reiben. Er fragt, er antwortet, er brüllt dazwischen, so dass man die Schauspieler nicht hört und die fragen sich gegenseitig, warum sie denn überhaupt sprechen, wenn man sie doch gar nicht hört. Kathrin Angerer, Sachiko Hara, Bettina Stucky und Daniel Zillmann sind die vier. Sie schlagen sich prima in diesem Wust an Gesprächsfetzen und Gedankengestöber, insbesondere Kathrin Angerer, Gast der Volksbühne Berlin, brilliert als leicht hysterische Nörglerin Gloria, die im kanariengelben Abendkleid darüber sinniert, warum sie das Drama so sehr vermisst, wo sie doch das Drama im Grunde gar nicht ausstehen kann.

So plätschert der Abend vor sich hin, mitunter saukomisch und immer wieder nahe am Leerlauf, der Dank des Chores, der zwischendurch auch mal zum Nachbar oder trotzigem Kind gerät, gerade noch aufgefangen wird. Dieser Chor ist richtig gut, insbesondere die von Laura Eichten und Tabita Johannes einstudierten Revolutions- und Flaggenballette. Mit alten Film- und TV-Musiken fetzig unterlegt persiflieren die Mädchen unterhaltsam emotional aufgeheizte Militärparaden rund um den Globus - der hier übrigens groß und blau über der Bühne schwebt.

Überhaupt das Bühnenbild: Altmeister Wilfried Minks hat drei Riesenküken entworfen, zwei orangerote und ein grün-gelbes, die ab und an von rechts nach links und links nach rechts über die ansonsten leere Bühne geschoben werden. Warum ausgerechnet Küken? Die Antwort gibt Kathrin Angerer: „Also, wenn jemand zwischen den Küken hervorkommt, dann ist das erstmal ein prima Auftritt“.
Ja, so einfach ist das, so banal. Postdramatisch, sozusagen. Später heißt es dann noch: „Theaterabende sind wie das Leben. Wenn man sich nicht fest darauf verlassen könnte, dass sie mit Sicherheit irgendwann ein Ende haben werden, könnte man sie überhaupt nicht aushalten“.

Knapp eineinhalb Stunden, das ging gerade noch. Aber dann war es auch gut.


René Pollesch: „Ich kann nicht mehr“

Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee 39, 20099 Hamburg

www.schauspielhaus.de

Es spielen: Kathrin Angerer, Sachiko Hara, Bettina Stucky, Daniel Zillmann, Und:Svea Bein, Julia Buchmann, Saskia Corleis, Alica Dietzel, Lillo Aline Dönselmann, Hannah Rebekka Ehlers, Laura Ehrich, Laura Eichten, Verena Gerjets, Lucie Anabel Gieseler, Veronika Hertlein, Nina Jacobs, Tabita Johannes, Raffaela Kraus, Helene Krüger, Luise Leschik, Klaudija Parizoska
Regie: René Pollesch, Bühne: Wilfried Minks, Kostüme: Tabea Braun, Ton: Roman Schneider, Ton: Hans-Peter ›Shorty‹ Gerriets, Licht: Holger Stellwag, Künstlerische Mitarbeit Bühne: Eylien König, Künstlerische Leiterin des Chores: Christine Groß, Dramaturgie: Sybille Meier
Eine Stunde. Fünfzehn Minuten. Keine Pause.

Weitere Termine
- Sa, 04/03/2017 / 19.30 Uhr
- Do, 09/03/2017 / 20.30 Uhr
- Do, 30/03/2017 / 20.00 Uhr
- So, 16/04/2017 / 17.00 Uhr
- So, 23/04/2017 / 16.00 Uhr


Abbildungsnachweis: Alle Produktionsfotos © Thomas Aurin
Header: hinten v.l.: Kathrin Angerer, Chor: Svea Bein, Julia Buchmann, Saskia Corleis, Alica Dietzel, Lillo Aline Dönselmann, Hannah Rebekka Ehlers, Laura Ehrich, Laura Eichten, Verena Gerjets, Lucie Anabel Gieseler, Veronika Hertlein, Nina Jacobs, Tabita Johan
Galerie:
01. Svea Bein, Julia Buchmann, Saskia Corleis, Alica Dietzel, Lillo Aline Dönselmann, Hannah Rebekka Ehlers, Laura Ehrich, Laura Eichten, Verena Gerjets, Lucie Anabel Gieseler, Veronika Hertlein, Nina Jacobs, Tabita Johannes, Raffaela Kraus, Helene Krüger, Lu
02. 1. v.l.: Bettina Stucky, 3. v.l.: Kathrin Angerer, 5. v.l.: Daniel Zillmann, 2. v.r.: Sachiko Hara, Chor: Svea Bein, Julia Buchmann, Saskia Corleis, Alica Dietzel, Lillo Aline Dönselmann, Hannah Rebekka Ehlers, Laura Ehrich, Laura Eichten, Verena Gerjet
03. v.l.: Sachiko Hara, Bettina Stucky, Kathrin Angerer, Daniel Zillmann, Chor: Svea Bein, Julia Buchmann, Saskia Corleis, Alica Dietzel, Lillo Aline Dönselmann, Hannah Rebekka Ehlers, Laura Ehrich, Laura Eichten, Verena Gerjets, Lucie Anabel Gieseler, Veron
04. Chor: Svea Bein, Julia Buchmann, Saskia Corleis, Alica Dietzel, Lillo Aline Dönselmann, Hannah Rebekka Ehlers, Laura Ehrich, Laura Eichten, Verena Gerjets, Lucie Anabel Gieseler, Veronika Hertlein, Nina Jacobs, Tabita Johannes, Raffaela Kraus, Helene Krüg
05. Chor: Svea Bein, Julia Buchmann, Saskia Corleis, Alica Dietzel, Lillo Aline Dönselmann, Hannah Rebekka Ehlers, Laura Ehrich, Laura Eichten, Verena Gerjets, Lucie Anabel Gieseler, Veronika Hertlein, Nina Jacobs, Tabita Johannes, Raffaela Kraus, Helene Krüg
06. mitte: Kathrin Angerer, Chor: Svea Bein, Julia Buchmann, Saskia Corleis, Alica Dietzel, Lillo Aline Dönselmann, Hannah Rebekka Ehlers, Laura Ehrich, Laura Eichten, Verena Gerjets, Lucie Anabel Gieseler, Veronika Hertlein, Nina Jacobs, Tabita Johannes.

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