Internationales Sommerfestival Kampnagel: Rachid Ouramdanes – „Tenir Le Temps“
- Geschrieben von Isabelle Hofmann -
Man muss wahrlich nicht alles gesehen haben von diesem kunterbunten, oft banalen „Kunst-Zirkus“, den András Siebold zweieinhalb Wochen auf Kampnagel veranstaltete, um zu merken, dass Rachid Ouramdanes „Tenir Le Temps“ einer der Höhepunkte des Internationalen Sommerfestivals 2016 war: Eine magische Stunde Tanz, an der man sich nicht satt sehen konnte.
Am Anfang steht da nur ein Mann. Zuckt, schlenkert mit den Armen zu den metallisch-harten Klängen von Jean-Baptiste Julien. Als würde er von unsichtbaren Seilen bewegt, eine Marionette, ein Maschinenmensch, der zwischendurch jede Menge Rap-Elemente einbaut. Dann füllt sich die Bühne, 13 Tänzerinnen und Tänzer fluten den Raum, umkreisen den Mann, absorbieren ihn gleichsam in neuen Formationen. Vor und zurück, in Schleifen und Schrauben, Spiralen und Kreisen, Wellen und Kurven. Man denkt an Reisverschlüsse, die sich schließen und wieder öffnen. Oder an Perlenketten, die eben noch ordentlich aufgereiht, im nächsten Moment reißen und ihre Perlen auf dem Boden zerstreuen. Nein, zerstreuen ist das falsche Wort, die einzelnen Elemente transformiert vielmehr zu einer neuen Komposition.Es hat etwas Magisches, dieses Hin und Her der Compagnie CC2 de Grenoble zu beobachten, mit der Ouramdane seit Anfang des Jahres zusammenarbeitet.
Der französische Choreograph algerischer Wurzeln interessiere sich für Magnetismus, las man im Vorfeld. Für Anziehung und Abstoßung, für Kettenreaktionen und Domino-Effekte. All das ist in seinem jüngsten Stück, das auf Deutsch so viel heißt, wie „Die Zeit anhalten“ nachzuvollziehen. Nur dass Mechanik und Elektrodynamik eher in den Hintergrund rücken, um der Eleganz fließender Bewegungen und der dahinterstehenden Philosophie Platz zu machen. „Panta rhei“, alles fließt, lautet einer von Platons bekanntester Lehrsätze und hier ist dieses „Pantha rhei“ auf das Schönste umgesetzt: Eine Bewegung ergibt sich aus der andren und niemals sind es exakt die gleichen. Ständig neue Muster entstehen hier vor den Augen der Zuschauer, wie bei einem sich langsam drehenden Kaleidoskop. Spannungsvolle Kontrapunkte bieten in dem dreiteiligen Stück zwei Soli (davon eine tolle Steppeinlage) und ein Pas de deux. Und natürlich reihen auch sie sich wieder fast unmerklich in die Gruppe ein, tauchen unter in der Menge und pulsieren weiter im Takt der rhythmisch-dynamischer Komposition von Julien, den ganz offensichtlich auch das Klopfen und Brummen der MRT-Geräte inspiriert haben. Merkwürdiger Weise stört das nicht besonders, das Klopfen löst sich wieder auf, so leicht und selbstverständlich, wie sich hier alles auflöst, übergeht in etwas Neues. Wirklich wunderbar.
Rachid Ouramdane / CCN de Grenoble: Tenir le temps
Alle Infos unter Internationales Sommerfestival
www.kampnagel.de
Centre Chorégraphique National de Grenoble: CCN2
Abbildungsnachweis:
Headerfoto: Patrick Imbert
Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)
Kommentare powered by CComment