Das Theater Kontraste der Komödie Winterhuder Fährhaus in Hamburg spielt ohne Pause Wir alle kennen sie – das ehemalige „Mädchen“, mit Pony, farbenfrohen Jackett und schwarzer Hose. Uneitel, pragmatisch und seit 2008 eine der mächtigsten Frauen der Welt. Ob sich unsere Bundeskanzlerin wohl über diesen „Ehrentitel“ ärgert? Oder findet sie ihn eher zum Schmunzeln?
Die Schriftstellerin Juli Zeh jedenfalls hat sich geärgert, weil Angela Merkel auf ihre offenen Briefe nicht geantwortet hat.
Weil sie von ihr keine Stellungnahme, keine Aufklärung bekommen hat, über die Massenüberwachungen durch die NSA 2013 und 20014. Also hat Juli Zeh sich dem „System Mutti“ auf ihre Weise genähert und zusammen mit Charlotte Roos ein ironisches, komisches, hintergründiges Stück geschrieben – verpackt in die Form der Komödie. „Mutti“ kam während der Ruhrfestspiele 2014 zum ersten Mal auf die Bühne.
Die große Koalition droht zu platzen und muss in Klausur. Eine Gruppentherapie als Ultima Ratio. Die handelnden Personen: Angela, Sigmar, Horst, Ursula und ein Coach. Ort der Handlung: Ein karger, wenig einladender Seminarraum. Zeitpunkt der Handlung: Deutschland 2014 während der WM.
Michael Lang, seit 17 Jahren Chef der Komödie Winterhuder Fährhaus, wollte das Stück unbedingt und möglichst schnell haben. Er konnte den Rowohlt-Verlag überzeugen, dass „Mutti“ im kleinen Saal des Hauses, dem Theater Kontraste, gut aufgehoben sei. Obwohl sich mehrere größere Häuser um das Stück bemühten, bekam tatsächlich er den Zuschlag.
Seit 2003 gibt es in der Komödie Winterhuder Fährhaus den zweiten, völlig eigenständigen, Theaterbetrieb. Mit Eigenproduktionen, die ein anderes, auch jüngeres Publikum anziehen. Mit mutigen, zeitkritischen Stücken hat sich das Theater Kontraste ein unverwechselbares Profil erarbeitet. Ohne Unterstützung der Kulturbehörde und anderer Sponsoren hätte so ein ambitionierter Theaterbetrieb jedoch kaum Überlebenschancen: Der „Kleine Saal“ umfasst nur 98 Plätze. Selbst bei voller Platzausnutzung können die Kosten nicht eingespielt werden. Michael Lang hofft, in die Vierjahresförderung der Kulturbehörde aufgenommen zu werden, um die Arbeit mit einer kleinen Bühne fortsetzen zu können, die mit dem Medium Theater Debatten anstößt und jungen Hamburger Künstlern ein Sprungbrett bietet. Das Theater ist jeden Abend geöffnet, für Gespräche, Begegnungen. Ein offener Raum für Spiel- und Freude.
Und nun also „Mutti“: Der Coach sieht aus wie Jogi Löw. Angela wartet auf seinen Anruf. Horst will sofort zurück nach Bayern. Ursula kriegt die Sicherheitslage wieder nicht in den Griff. Und Sigmar schaut sinnend auf seine roten Socken. Also: business as usual.
Doch langsam aber sicher gehen die Vier sich und uns auf die Nerven. Die Stimmung wird boshafter, aggressiver, lauter. Die eigenen Vorurteile gegenüber den Politikern werden verschärft und die eigenen Antipathien oder Sympathien verschieben sich. Denn irgendwie ist das gar nicht mehr komisch und so kleinkariert möchte man unsere sogenannte "Führungsriege" eigentlich auch nicht sehen. Diese Veränderung ist weniger ein Verdienst des Textes, liegt eher an der klugen Regie von Ayla Regnier, die die Konflikte deutlich macht. Vor allem aber an den großartigen Schauspielern Kerstin Helbig, Juliette Groß, Tobias Kilian und Pascal Pawlowski: Allen Vier gelingt es, über ihre Rollenklischees hinaus die Figur lebendig werden zu lassen. Auch, oder gerade weil sie nicht imitieren. Weil sie ganz selbstverständlich die sattsam bekannten Gesten und Bewegungen so spielerisch integrieren, dass beim Zuschauer ein deckungsgleiches Bild entsteht. Obwohl die vier Protagonisten ihren Vorbildern gar nicht sehr ähnlich sehen, braucht es nur wenig und aus Kerstin Helbig wird Angela Merkel - reduziert auf das Merkmal ihrer Erscheinung, Blazer und Perlenkette. Bei Ursula (Juliette Groß) sind es weiße Hemdbluse und mädchenhaftes Kichern. Horst (Tobias Kilian) spricht astrein bayrisch und Sigmar (Pascal Pawlowski) trägt nicht nur rote Socken sondern auch einen roten Schlips. Ein tolles Quartett. Und ein Abend, der es in sich hat. Denn trotz aller Komik nimmt er einem auch die letzten Illusionen über den Beruf Politiker und die ihn ausübende Personen. Nachts hatte ich den Alptraum, die spielen gar nicht, die sind wirklich so.
Mutti von Juli Zeh und Charlotte Roos
Regie: Ayla YeginerAusstattung: Telse Hand
Mit: Kerstin Hilbig, Juliette Groß, Pascal Pawlowski, Tobias Kilian/Björn Jacobsen, Philipp Weggler
Komödie Winterhuder Fährhaus, Hudtwalckerstraße 13, 22299 Hamburg
Aufführungen:
Juni 3 / 4 / 5 / 6 / 10 / 11 / 12 / 13 / 18 / 19 / 20 / 23 / 24 / 25 / 26 / 27
Juli 2 / 3 / 4 / 8 / 9 / 10 / 11 / 15 / 16 / 18 / 22 / 23 / 24 / 25 / 28 / 29 / 30
August 5 / 6 / 7 / 8 / 12 / 13 / 14 / 15
Beginn jeweils 19:30 Uhr, sonntags 18 Uhr
Eintritt: 25 Euro, ermäßigt: 18 Euro
Karten unter www.theater-kontraste.de oder unter Tel.: (040) 4806 8080
Abbildungsnachweis: Alle Fotos (c) Oliver Fantitsch
Header: und Kerstin Hilbig als Angela in "Mutti".
Galerie:
01. Juliette Groß als Ursula, Kerstin Hilbig als Angela.
02. Juliette Groß (Ursula), Pascal Pawslowski (Sigmar).
03. Tobias Kilian als Horst, Philipp Weggler als Coach, Pascal Pawslowski als Sigmar.
04. Kerstin Hilbig als Angela, Pascal Pawslowski als Sigmar.
05. Juliette Groß als Ursula, Kerstin Hilbig als Angela.
Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)
Kommentare powered by CComment