Fabelhafte Fresken und Holzschnitzereien, fulminanter Figurenreichtum in feinsten Farbnuancen: Das buddhistische Kloster Alchi in Ladakh (Nordindien) zählt zu den bedeutendsten und besterhaltenen Kunstschätzen Asiens.
Nun ist das „Klosterjuwel im Himalaya“ im Museum am Rothenbaum (MARKK) ausgestellt als raumumspannende, monumentale Fototapeten des Frankfurter Forschers, Autors und Fotografen Peter van Ham. Ein Ganzkörpererlebnis!
Ein Schritt durch die Tür und man steht mittendrin in dieser überwältigenden Tempelanlage. Vergisst Zeit und Ort, um die Kraft und Schönheit des Heiligtums und das stupende Können der Künstler aus Kaschmir und anliegenden Gebieten auf sich wirken zu lassen, die im 11. Jahrhundert dieses Meisterwerk buddhistischer Kunst geschaffen haben. Über 800 Jahre lag Alchi im Dornröschenschlaf versunken. Das war das große Glück der auf 3500 Metern Höhe am Südufer des Indus gelegen, wohl ältesten Klosteranlage des ehemaligen Königreichs Ladakh. Während andere Klosteranlagen im Laufe der Jahrhunderte von verschiedenen Invasoren zerstört wurden, blieb diese Anlage unberührt. Das trockene Klima trug dazu bei, dass Alchis detailreiche und miniaturähnlichen Kunstwerke die Zeit so gut überstanden und heute faszinierende Einblicke in das geistliche und weltliche Leben des mittelalterlichen Kaschmir und West-Tibets geben können.
Doch das Kleinod ist aktuell stark bedroht. Seit Anfang der 1970 Jahre darf Ladakh bereist werden. Erst kamen nur wenige Abenteuerlustige, doch seit gut einer Dekade hat sich das Land zum regelrechten Tourismusmagneten entwickelt. Rund 30.000 Menschen besuchten bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie jährlich die jahrtausendalte Tempelanlage und trugen mit ihrer feuchten Atemluft zum Verfall der Fresken bei. Die Sorge um den Erhalt des einzigartigen Kulturschatzes war wohl auch der Grund, warum Peter van Ham die streng gehüteten Bereiche des Klosters mit hochauflösender Bildtechnik über Wochen hinweg dokumentieren durfte. Der Frankfurter forscht seit 1987 im Himalaya und hat sich mit seinen Ausstellungen, Büchern und Vorträgen über die Kunst der Region einen exzellenten Ruf erworben. Peter van Ham kennt den Dalai Lama persönlich, das geistige Oberhaupt der Tibeter und vieler Buddhisten anderswo hat mehrere Vorworte zu seinen Büchern beigesteuert. Die Genehmigung, diese einzigartige Tempelanlage zu fotografieren, war dennoch ein ganz besonderer Vertrauensbeweis.
Kunsthistorisch auffallend bedeutsam sind die beiden ältesten Tempel Alchis, der „Dukhang“ (Versammlungshalle) und insbesondere der dreigeschossige „Sumtsek“, der in Hamburg in annähernden Originalgröße gleichsam fotografisch rekonstruiert erscheint. Seine minutiös gestalteten Wandbilder wetteifern mit drei Kolossalstatuen, knapp fünf Meter hohen Gottheiten. Auf der einen Seite ragen sie vom Erdgeschoss aus in die Höhe, von der anderen Seite schauen ihre Köpfe aus den Nischen im ersten Stock. Im unteren Bereich finden sich auch zwei Fresken, die zu den Höhepunkten in der Kunst Alchis zählen: Eine sechsarmige, grüne Göttin auf einer Mondscheibe im typisch kaschmirischen Stil und die aus kosmischem Buddha und hinduistischen Göttern bestehende „Himmlische Versammlung des grenzenlosen Lichts“. Hochinteressant aber ist auch der Holzvorbau des „Sumtsek“, in dem verschiedene Stilepochen des antiken griechischen Tempelbaus zu finden sind und klar machen, wie weltoffen die buddhistische Lehre und wie stark der Austausch der Kulturen vor tausend Jahren in den Hochgebirgszonen des Himalayas bereits waren.
Vor allem aber haben die intensiven Beschäftigungen mit den Wandmalereien und Inschriften in Kooperation mit der Tibetologin Amy Heller zu neuen Erkenntnissen geführt: Die Gründung Alchis wird seitdem auf das 11. Jahrhundert datiert – zwei Jahrhunderte früher, als bislang angenommen. Und nicht nur Männer, auch Frauen konnten damals den Rang höchster Erleuchtung erreichen, wie die Analyse der Fresken und Inschriften des ältesten Tempels belegen. Erstaunlich, da die Erleuchtung bisher im tibetischen Buddhismus nur Männern vorbehalten galt.
Für den Dalai Lama und Peter van Ham aber ist vor allem eines wichtig: Dass diese Ausstellung und der dazu erschienene Bildband die Schönheit und Fragilität des Klosterjuwels in die Welt tragen, um Hilfe für die dringend notwendigen Restaurierungen einzuwerben. Vielleicht erreichen sie es ja auch, dass Alchi endlich als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt wird. Vorgeschlagen dazu ist es seit Mitte der 1990er Jahre. Man fragt sich, worauf die UNESCO eigentlich wartet!
Alchi – Klosterjuwel im Himalaya. Monumentale Fotografien
ergänzt durch einige Objekte aus der hauseigenen Sammlung.
Zu sehen bis zum 7.3.2021,
im MARKK, Rothenbaumchaussee 64, 20148 Hamburg.
Weitere Informationen
Es ist ein Katalog erschienen:
Alchi – Treasure of the Himalayas
Von Peter van Ham. Mit Amy Heller und dem Kloster Likir. Vorwort seiner Heiligkeit, dem Dalai Lama (Texte: Englisch)
Hirmer Verlag
422 Seiten, 600 Abbildungen in Farbe, 10-seitige Klapptafel, Karten, Zeichnungen
29x31cm, gebunden
ISBN 978-3-7774-3093-5
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