„Her“ – Liebe: ein sozial akzeptierter Wahnsinn
- Geschrieben von Anna Grillet -
Absurd, anrührend, melancholisch. Spike Jonze inszeniert seine versponnene futuristische Lovestory als philosophisch skurrile Parabel über die Zukunft menschlicher Beziehungen. Scarlett Johansson: Unsichtbar aber unwiderstehlich.
Gefühle, Nähe, sie verunsichern Theodore Twombly (Joacquin Phoenix) zutiefst. Er kann zwar bezaubernde Briefe schreiben, ergreifend, herzzerreißend, das ist sein Beruf und er ein wahrer Künstler darin, aber im wirklichen Leben versagt er kläglich. So sitzt Theodore denn Tag für Tag am Computer wie ein Cyrano de Bergerac des digitalen Zeitalters, formuliert Romantisches wie Ernstes, was von der Agentur als persönlich und handgeschrieben vermarktet wird.
Ein lohnendes Business. Während der Protagonist über andere Menschen fantasiert, drängt sich immer wieder die eigene Vergangenheit in das Bewusstsein, vermischt sich Fiktives mit Realen. Seine zerbrochene Ehe ist für ihn wie das Ende jeder Art von Zweisamkeit, doch loslassen kann er erst recht nicht. Theodore ist mit diesem Schicksal nicht allein im amerikanischen Kino: Jack Lemmon in „Das Appartement” von Billy Wilder (1960) oder Joseph Gordon Levitt in Marc Webbs „(500) Days of Summer” (2009) gehören zum gleichen Genre. Das Lonely-Guy-Movie hat Tradition, doch am Ende finden die tragisch komischen Helden immer sich selbst und die Liebe wieder. So einfach macht es uns Spike Jonze nicht.
Der Film spielt in einer nahen Zukunft. Dies ist kein apokalyptischer Kosmos sozialer Ungerechtigkeiten wie in „Snowpiercer” oder „Elysium” noch die modernistisch kühle Ästhetik eines Ridely Scotts, sondern eine weitläufige transparente ökologisch harmonische Stadtlandschaft. Autos und Armut scheinen Relikte der Vergangenheit. Eine Collage aus L.A. und Shanghai, besonders nachts von atemberaubender Schönheit und Einsamkeit (Fotographie: Hoyte van Hoytema). Theodore mit seinen scheußlichen Brillengläsern, dem Schnauzbart und grauenvollen Hosen hat die Unbeholfenheit eines chaplinesken Nerd, er kichert verlegen wie ein Junge, der Zuschauer spürt die Verletzbarkeit. Die Kollegen im Büro sind hilfsbereit und freundlich, aber sein einziger Kumpel ist Amy (Amy Adams), eine Freundin aus Studientagen, die an ihrer Karriere als Dokumentarfilmerin bastelt. Zum Reden bleibt ihm sonst höchstens noch der vulgär patzige Avatar aus dem gigantischen 3D Computer Game, mit dem Theodore sich die Zeit vertreibt. Ihn umgibt eine Aura von Sehnsucht, Trauer und Begierde. Der Telefonsex mit einer Frau, die darauf drängt von einem Katzenschwanz gewürgt zu werden, war auch nicht das, wovon er träumt.
Am nächsten Tag installiert der begeisterte Technofreak auf seinem sprachgesteuerten Smartphone eine neue raffinierte lernfähige Software. Die rauchige etwas heisere weibliche Stimme (Scarlett Johansson) verzaubert ihn genau wie den Zuschauer vom ersten Augenblick an. Sie gibt sich selbst den Namen Samantha. Von nun organisiert die künstliche Intelligenz sein Leben, mistet das Archiv aus, setzt Prioritäten, bringt ihn auf andere Gedanken, plaudert ihn in den Schlaf, mit ihr kann er über alles sprechen, vor allem über Gefühle. Sie ist geduldig, witzig, verständnisvoll, eigenwillig, ungeheuer clever und wissbegierig. Nur zu begreiflich, dass er sich in sie verliebt. Und glücklicherweise sie in ihn. Es ist eine umwerfend schöne Lovestory die Spike Jonze uns erzählt, poetisch, hintergründig, absurd, komisch, ernst und manchmal unendlich traurig. Die Science Fiktion Elemente fügen sich nahtlos in die Realität ein. Wir zweifeln nie, dass Samantha genauso real ist wie Theodore. Über das Kameraauge des Handys kann sie die ihr unbekannte Welt entdecken. Es hat etwas Rührendes, wenn sich der Protagonist zusammen mit ihr am Strand zwischen Sonnenanbetern und Handtüchern den Weg bahnt oder die beiden auf ein Double Date gehen mit einem normalen Paar aus Fleisch und Blut.
Dies ist das erste Drehbuch, das Jonze allein schrieb, er will „Her” auf keinen Fall als politisches Statement verstanden wissen, für ihn geht es um Gefühle, Entfremdung und Leidenschaft, wie man lernt Zweisamkeit als Herausforderung zu meistern. Theodore und Samantha begehren einander. Für Letztere ist das etwas Neues, Ungewohntes: „All diese Dinge, die ich fühle, sind die real oder programmiert?” fragt sie neugierig. Nicht alle gönnen den beiden ihr unverhofftes Glück, nur wenige sind so tolerant wie die Kollegen aus der Agentur oder Amy, die ihren Freund von Anfang an in seiner Wahl bestärkt: „Jede Art der Liebe ist eine Form von sozial akzeptiertem Wahnsinn”. Samantha kann in wahnwitziger Schnelligkeit Texte lesen oder Datenbanken nach Fakten durchforsten, doch keinen Körper zu haben empfindet sie als besorgniserregendes Manko, es wird zum Problem wie einst für Pinocchio. Ihre Idee eine andere Frau zu engagieren, die sie beim Sex vertritt, endet als Desaster, denn Theodore will nicht mit jemandem zusammen sein, der versucht Samantha zu sein. Sie akzeptiert irgendwann keinen Körper zu haben, entwickelt sich mit erschreckender Souveränität weiter, während er sich linkisch-kindlich an den Status Quo klammert, nicht begreift, welches Potenzial so ein Betriebssystem hat im Gegensatz zum menschlichen Hirn. Wer will auch schon gern daran erinnert werden, dass die Geliebte mit tausend anderen kommunizieren kann. Eifersucht ist nur zu menschlich. Die Beziehung stößt an ihre Grenzen, die Tragik liegt nicht darin, dass einer von ihnen beiden eine künstliche Intelligenz ist, sondern dass Samantha über die Beziehung hinauswächst, auch wenn sie Theodore weiterhin liebt. Trost oder Prophezeiung, sie begibt sich an einen anderen Ort, den er noch nicht erreichen kann. Ein Abschied wie der Tod, aber vielleicht die Hoffnung in einem anderen Leben/Technologie vereint zu sein.
Ob „Being John Malkovich”, „Adaption”, „Wo die wilden Kerle wohnen” oder nun „Her”, die Protagonisten von Spike Jonze entfliehen ihrer Wirklichkeit in andere Welt, überzeugt, sie könnten dieses kontrollieren, bis sie feststellen müssen, auch dort lässt sich nichts unbegrenzt beherrschen. So präsent wie in diesem Film war Scarlett Johansson nie zuvor, der Magie jener rauchigen Stimme kann sich keiner entziehen, also unbedingt im Original sehen. Joacquin Phoenix, sonst eher ein Schauspieler der Extreme und großen Gesten wie in „The Master” ist hier genauso so überzeugend, indem er sich völlig zurücknimmt als linkisch kindlicher Nerd, der langsam aufblüht, zu lachen lernt, euphorisch die unsichtbare Samantha beim Tanzen durch die Luft wirbelt. Das ist schon rührend, selbst nörgelige Kritiker, die für „Anna Karenina” nur eine zynische Bemerkung übrig hatten, finden diesen Film nun entzückend. Eben vielleicht, weil er von einem Protagonisten handelt, der sich mit Gefühlen schwer tut. Sophia Coppola drehte 2003 nach der Trennung von Spike Jonze „Lost in Translation” in der Hauptrolle mit Scarlett Johansson als ihrem Alter Ego, viele sehen in „Her” das Gegenstück dazu. Die Dreharbeiten waren schon abgeschlossen, da entschied Regisseur Spike Jonze die Rolle der Samantha, gesprochen von der britischen Schauspielerin Samantha Morton, umzubesetzen und in der Postproduktion durch Scarlett Johansson zu ersetzen.
Originaltitel: „Her“
Regie und Drehbuch: Spike Jonze
Darsteller/Sprecher: Joacquin Phoenix, Scarlett Johansson, Amy Adams
Produktionsland: USA, 2013, Länge: 126 Min.
Verleih: Warner Bros GmbH
Kinostart: 27.März 2014
Fotos & Trailer: Copyright Warner Bros GmbH
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