Film

Regisseur Guan Hu inszeniert mit „Black Dog“ am Rande der Wüste Gobi die post-industrielle Odyssee zweier Außenseiter: einem bissigem Windhund-Mischling und dem wortkargen Ex-Häftling Lang (überragend Eddie Peng). Was die beiden verbindet, ist anfangs nur jener Argwohn der Gescheiterten und Verfolgten.

 

Das atemberaubende, ästhetisch virtuose Erlöser-Epos zwischen Noir Melancholie, Slapstick Komik und der rauen Poesie eines Neo-Westerns reflektiert die gesellschaftlichen Spannungen innerhalb Chinas. Der Fortschritt fordert seine Opfer grade unter den Ärmsten. „Black Dog“ wurde bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes mit dem Hauptpreis der Sektion „Un Certain Regard“ ausgezeichnet.

 

Überwältigend schon die erstens Breitwand-Tableaus des surrealen Dramas: Eine karge, trockene nie enden wollende Steppe unter bläulichem Himmel, ohrenbetäubend das Gebell mit dem ein riesiges Rudel verwilderter Hunde wie aus dem Nichts auftaucht und den Berghang hinunter stürmt auf die Straße zu. Ein klappriger Bus kippt um. Niemand ist verletzt, nur ein Fahrgast behauptet, Opfer eines Diebstahls zu sein und schon ist der Protagonist wieder ein Verdächtiger.

 

Nach zehnjähriger Haft wegen Totschlags kehrt Lang in seine Heimatstadt am Rande der Wüste Gobi zurück. Kaum etwas erinnert noch an den einstigen Wohlstand. Industrie-Ruinen, die Gebäude stehen leer, sind verfallen, ihre Bewohner umgesiedelt in andere Regionen, zurück blieben die Hunde. Überall in der fast menschenleeren Geisterstadt streunende Vierbeiner auf der Suche nach Unterschlupf oder Fressen. 2008, wenige Wochen vor den Olympischen Spielen in Peking beschließen die Behörden gegen die wachsende Zahl herrenloser Tiere vorzugehen, insbesondere gegen jenen offenbar tollwütigen schwarzen Hund. Ein hohes Kopfgeld wird auf ihn ausgesetzt. Amtliche Tierfänger sollen die unerwünschten Kreaturen in Lagern internieren, selbst die lieb gewonnenen Haustiere der noch verbliebenen Einwohner. Der Rückkehrer schließt sich der Hundefänger-Patrouille an. Entlassene Häftlinge müssen einer geregelten Arbeit nachgehen, so verlangen es die Vorschriften.  

 

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Damals, vor zehn Jahren, war der Protagonist ein gefeierter Rockstar, berühmt auch für seine waghalsigen Motorrad-Stunts. Der Neffe eines Mafioso und Schlangenzüchters kam durch ihn ums Leben. „Butcher Hu", so der Name des Gangsters verlangt nun finanzielle Kompensation. Langs Vater trinkt sich derweil entschlossen Richtung Tod und erwartet, dass der Sohn seinen heruntergekommenen Zoo übernimmt. Lang will ihn nicht sehen, hält bewusst Distanz zu den Menschen seiner Umgebung, selbst Freundlichkeit weist er kühl wie ein ungebetenes Almosen zurück. Das einzige Wesen, das seine Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist der schwarze bissige Hund. Er scheint Lang zu verfolgen und doch lässt er ihn nicht an sich heran. Der räudige Windhund-Mix verschwindet und taucht plötzlich wieder auf, markiert sein Revier, und Lang nimmt die Kampfansage an. Sie sind beide wendig, reaktionsschnell und ihre Energie unerschöpflich. Geht es dem Ex-Häftling anfangs vielleicht noch um die Fangprämie, begreift der Zuschauer bald, es ist ein existenzielles Ringen zweier Außenseiter um Anerkennung, Zugehörigkeit- unabhängig von den Normen einer Welt, die sie ausgestoßen hat. Das Thema der Heimat und des Heimkehrers ist ein immer wiederkehrendes Motiv im chinesischen Kino. „Black Dog“ schildert die Herausforderungen, die mit der Rückkehr an einen Ort verbunden sind, der sich sowohl äußerlich als auch innerlich verändert. Aus der Perspektive von Lang erleben wir die verzweifelte Suche nach Identität im post-industriellen China. Was wenige Jahre zuvor noch eine blühende Industriestadt war, verfällt, wird dem Erdboden gleich gemacht für den nächsten meist bietenden Investor.

 

„Black Dog“ ist einer der ungewöhnlichsten Filme dieses Jahres, berührend, zeitlos schön, er verändert den Blick auf die Welt, das Kino und uns selbst. Bereits das weiße Pferd in „The Eight Hundred“ oder der Strauß in „Mr. Six“ waren ein Versuch von Guan Hu, auszudrücken, dass sich in jedem Menschen ein Tier verbirgt. „Diese „Animalität“, so der Regisseur, „existierte schon immer im Leben von Individuen und kann sich in furchtlosem Mut oder einer mutigen Herausforderung gegenüber Autoritäten manifestieren.“ Hier am Rande der Wüste Gobi begehren die Männer nicht auf gegen eine übermächtige Regierung und deren Vertreter. Aus Frust, Wut, Verzweiflung prügeln sie auf die Schwächeren ein, ob Tiere oder Kollegen. Über Lautsprecher ertönen Befehle und Bekanntmachungen. Die Angst vor der Tollwut wird geschürt, die Ordnungshüter allgegenwärtig. Langs Lebenswille kehrt zurück, auch das Rebellische seines Charakters. Sein Name bezieht sich auf die taoistische Schutzgottheit Erlang Shen, ein edler ruhmreicher Krieger, oft begleitet von einem Hund, der in der Statur durchaus an „Black Dog“ erinnert

 

Eine stürmische eiskalte Nacht zusammen draußen in der Wüste entscheidet über den Beginn der Freundschaft. Das Misstrauen ist gebrochen. Lang ist bereit alles zu riskieren, selbst der Biss des angeblich tollwütigen Streuners schreckt ihn nicht, er verbarrikadiert sich mit dem noch störrischen Hund in seiner alten Werkstatt für eine siebentägige Quarantäne. Wie wenig gesprochen wird im Film, ist einem kaum bewusst. Die Ereignisse überstürzen sich, überbordend die Eindrücke. Frappierend realistisch wird das prekäre Leben in der sterbenden Stadt geschildert, man glaubt den Schweiß der Männer zu riechen, die Gewürze der grade bereiteten Speisen, sie streiten und sie unterstützen sich, eine verschworene Gemeinschaft, zu der Lang nicht gehören will. Er und der Hund sind irgendwann unzertrennlich. Sie beginnen immer mehr einander in Haltung und Ausdruck zu ähneln, grade bei den gemeinsamen Motorradfahrten. Ein Zirkus kommt in die Stadt und mit ihm eine Spur von Romantik. Grape (Song Liya), verkörpert in Langs Augen Freiheit, Mut und Reinheit. Er bewundert ihre Energie, Lebensfreude und schonungslose Offenheit. Aber niemand steht ihm so nah wie sein Gefährte der schwarze Hund

 

Während die Stadtbewohner sich auf dem Hügel versammelt haben, um die Sonnenfinsternis zu beobachten, brechen die Tiere aus dem Zoo aus und ziehen mit den streunenden Hunden durch die leeren Straßen. Regisseur Guan Hu: "Tatsächlich fand zu dieser Zeit eine Sonnenfinsternis im Nordwesten Chinas statt, die als glücksverheißendes Omen angesehen wurde. Gleichzeitig hoffte ich, dass in „Black Dog“ das gemeinsame Strahlen von Mond und Sonne und das Eins-Werden von Himmel und Erde dem Hauptcharakter ermöglichen würde, die Veränderungen in seinem Inneren nach außen zu tragen. Wir möchten, dass er wieder auf eigenen Beinen steht und die Veränderungen, die er durchmacht, annimmt.“ 

 

Guan Hu, geboren 1967 in Beijing, gilt nicht nur als einer der einflussreichsten Filmregisseure und Drehbuchautoren des zeitgenössischen chinesischen Kinos sondern auch als einer der selbstbewusstesten. Er gehört wie Jia Zhang-ke zur sogenannten „Sechsten Generation“, jener Bewegung von Filmemachern, die durch einen realistischen, oft düsteren Blick auf das moderne China geprägt ist. Zu seinen bekanntesten Filmen zählt „The Cow“ (2009), „The Chef, the Actor, the Scoundrel“ (2013), „Mr. Six“ (2015) und das historische Kriegs-Epos „The 800“, ein Blockbuster der 450 Millionen Dollar einspielte, das Zehnfache seines Budgets

 

Statement des Regisseurs Guan Hu

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts erreichte Chinas Wirtschaftswachstum und gesellschaftlicher Wandel seinen Höhepunkt. Ehrlich gesagt, das, was in China nur dreißig Jahre dauerte, hätte in einem anderen Land oder in einer anderen Epoche über hundert Jahre gedauert. Jeder profitierte von dieser Transformation, aber in diesem rasanten Veränderungsprozess war es unvermeidlich, dass manche Dinge verloren gingen, vergessen wurden oder dass die Welle der Entwicklung diejenigen traf, die mit der Geschwindigkeit des Wandels nicht mithalten konnten. 

Wenn wir in eine einst blühende, aber nun vergessene Stadt kommen und eine Person sehen, die am Boden lag, aber nun versucht wieder auf eigenen Beinen zu stehen, beobachten wir Lang, wie er einer weiteren einsamen Seele begegnet, - einem schnell laufenden schwarzen Hund, der das Tier in ihm weckt. Jeder Mensch hat animalische Seiten, auch wenn sie lange unterdrückt wurde. Lang beschließt, wieder aufzustehen und weiterzugehen.

 

Wir richten die Kamera auf Dinge, die in vielen Filmen übersehen werden, und konzentrieren uns auf die seltenen Individuen, denen es gelungen ist, ein Gefühl von Würde wieder aufzubauen. Wir glauben, dass dies entscheidend für die Zukunft dieser Gemeinschaft und für unsere gemeinsame Zukunft ist. Diese Menschen mögen in der Minderheit sein, aber sie sind dennoch ein Teil von uns. Wenn wir in einer paar Jahren zurückblicken und erkennen, dass darin ein Wert liegt, können wir auch sagen, dass dies der Wert des Kinos ist

 

Der taiwanisch-kanadische Schauspieler und Sänger Eddie Peng über seine Rolle

 Wie bei früheren Filmen, bereitete Peng sich intensiv auf die Dreharbeiten vor, recherchierte die Hintergrundgeschichte seiner Figur. Nur hier war alles anders, weil niemand vorhersagen konnte, wie die Hunde agieren würden. Der Schauspieler musste sich voll und ganz auf den Moment jeder Szene einlassen und allein seinem Instinkt vertrauen. „Während des Drehs erlebte ich Momente der Hilflosigkeit, des Selbstzweifels und sogar Angst, weil ich nicht wusste, ob meine Leistung den Erwartungen entsprach. Der Hund, der mir gegenüber spielte, war im Wesentlichen das Einzige, woran ich mich festhalten konnte, um zu glauben, dass ich Lang war.  Der Hund konnte nur echt und authentisch sein. Der Regisseur sagte daher auch, dass er kein einziges Anzeichen eines „Schauspielers“ in mir sehen wollte, er wollte, dass auch meine Figur real und authentisch ist. In meiner bisherigen Karriere war ich noch nie während eines Films mit so viel Unsicherheit und Unbekanntem konfrontiert gewesen. Das Einzige, worauf ich reagieren konnte, waren die Reaktionen des Hundes.

 

Der Film bewegt sich im Bereich des magischen Realismus und erzählt die Geschichte eines gebrochenen Mannes, der in einer trostlosen, heruntergekommenen Stadt nach Erlösung sucht. Hätte ich das Drehbuch vor zehn Jahren gelesen, hätte es wahrscheinlich keine starken Emotionen in mir geweckt. Aber jetzt, da ich mich der 40 nähere, fiel es mir leicht, mich in Lang und seine Reise hineinzuversetzen. Die durch die Pandemie erzwungene Einsamkeit bot Gelegenheit zur Selbstreflexion, die meine Lebenseinstellung veränderte. Es war während dieser Phase, dass ich das Drehbuch las. Die Begegnung mit der Figur Lang zu einem solch entscheidenden Zeitpunkt, ermöglichte es mir seine Kämpfe durch das Prisma meiner neu gewonnenen Einsichten zu interpretieren. Ich konnte seine Gefühle, ein Außenseiter in der neuen Welt zu sein, nachvollziehen. Während alle anderen um ihn herum voranschritten, verlor Lang viele Jahre. Die Figur, die ich spiele, ist schwach und verwirrt, aber das waren auch die Emotionen, mit denen ich zu kämpfen hatte.“

 

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„Black Dog – Weggefährten“

Originaltitel: Gou Zhen, 狗阵; internationaler Titel: Black Dog

Regie: Guan Hu

Drehbuch: Rui Ge, Guan Hu

Darsteller: Eddie Peng, Chu Bu Hua Jie, Youwei Da, Quiang Gao

Produktionsland: China, 2024

Länge: 116 Minuten 

Kinostart: 12. Dezember 2024

Verleih: Filmwelt Verleih

 

Fotos, Pressematerial & Trailer: © Filmwelt Verleih

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