Rezensiert! Amelia
- Geschrieben von Dagmar Seifert -
Wieder hat sich die aus Indien stammende Regisseurin Mira Nair (nominiert für den Goldenen Löwen für die Regie von "Vanity Fair") eine starke Frauensperson vorgeknöpft: Amelia Earhart, amerikanische Legende, Pilotin, Avantgardistin und ‚Die Frau, die keine Grenzen akzeptierte’.
Da Amelia am liebsten Hosen trug, extrem abenteuerlustig war, kompromisslos ihren eigenen Weg ging und über sehr große Vorderzähne mit entsprechend umwerfendem Strahlen verfügte, wurde sie folgerichtig mit Hilary Swank besetzt, dem Tomboy für schwere Fälle (mehrfach platt gehauen in ‚Boys don’t cry’ oder ‚Million Dollar Baby’). Und Hilary kroch Amelia perfekt in den Pelz, unterstützt durch Kasia Walicka Maimone (Kostüme), Vivian Baker (Maske) sowie unendlich viel vorhandenes Bild- und Filmmaterial. Solange Swank nicht ihre schwarzen Knopfaugen zeigt – die richtige Amelia hatte helle Augen – ist bei vielen Fotos kaum zu unterscheiden, um wen von beiden es sich handelt, so exakt sind Sommersprossen, kurzer, dichter Wuschelkopf und schlaksige Körperhaltung kopiert.
Hierzulande kennen vermutlich (noch nicht) allzu viele Menschen überhaupt den Namen Amelia Earhart, es sei denn, sie hätten sie als lebendig gewordene Wachsfigur im Film ‚Nachts im Museum 2’ gesehen.
1897 in Kansas geboren, nie ein liebes kleines Mädchen - sie kletterte auf Bäume und schoss treffsicher auf Ratten – aber immer liebenswert: Amelia muss einen umwerfenden Charme besessen haben. Mit Anfang zwanzig machte sie zum Missfallen ihrer Eltern den Flugschein (übrigens bei einem weiblichen Fluglehrer), damals eine extrem teure Sache, ganz auf eigene Faust erarbeitet und bezahlt.
1928 wurde sie schlagartig bekannt, weil sie als erste Frau den Atlantik überquerte. Keineswegs am Steuerknüppel, wie sie gern wollte. Das Technische übernahmen zwei richtige Männer, man ernannte Amelia lediglich zum „Commander", doch auch das galt bereits als Sensation.
Später überquerte sie als erste Pilotin den Atlantik im Alleinflug, 1935 überflog sie als erster Mensch im Alleinflug einen Teil des Pazifischen Ozeans zwischen Hawaii und Kalifornien, eine Strecke, länger als der Flug von Amerika nach Europa.
Innerhalb kürzester Zeit wurde Earhart ein Idol, ein Star, gab Interviews, hielt Vorträge, gründete mit anderen bekannten Pilotinnen den Club ‚Ninety Nines’, aus 99 fliegenden Mädels bestehend und nahm am „Puderquastenrennen“ teil, einem Wettflug für weibliche Piloten. Da erflog sie nur den dritten Platz. Ansonsten war sie unbestritten die Nummer Eins.
Sie warb für ihre eigene Modekollektion - todschicke, sehr androgyne Sachen –ebenso wie für Motoren und Kosmetik, ihr Gesicht war allgegenwärtig, sie war das, was wir heute eine Werbe-Ikone nennen würden.
Das lag ganz bestimmt auch daran, dass es sich bei einem der beiden Männer ihres Lebens ausgerechnet um George P. Putnam handelte (von Richard Gere souverän und sympathisch dargestellt), Verleger und gewissermaßen Erfinder der Public Relations.
Putnam, von Amelia ‚G.P’ oder ‚Dschiepie’ genannt, unterstützte die Fliegerin seit dem Anfang ihrer Karriere. Er ließ sie durch jeden Reifen springen, er vermarktete sie gnadenlos und sie machte relativ ergeben mit, um neue Flugabenteuer finanzieren zu können.
Dass Putnam, als er Earharts Manager wurde, noch verheiratet war (seine Frau reichte die Scheidung ein, sobald ihr klar wurde, was da lief), lässt Regisseurin Mira Nair großzügig unter den Tisch fallen. Ihr lag sicher daran, die Sympathie des Zuschauers für die ungezähmte Pilotin zu erhalten. Die nimmt Putnams soundsovielten Heiratsantrag nur unter Vorbehalt an – sie besteht auf einer Art offener Ehe – verweigert vor dem Altar ausdrücklich den Passus des Gehorsams und stürzt sich trotz besten Einvernehmens mit dem Gatten alsbald in eine Affäre.
Allerdings muss man ihr mildernde Umstände zubilligen, wenn plötzlich Ewan McGregor auftaucht, sehr kleidsam zum Gentleman aufgeputzt, kiloweise Seelenverwandtschaft rauspackt und romantische Augen macht. Er spielt den Piloten und Pionier der Luftfahrtindustrie, Eugene ‚Gene’ Vidal, mit dem Amelia wohl ziemlich unbestreitbar eine längere Romanze verband.
Richard Gere, leidend, aber weise, macht dazu sein buddhistisches Gesicht und zeigt bewundernswerte Gelassenheit. Er verweigert nur, dass der Rivale im Haus wohnt, während er selbst abwesend ist.
Gene Vidal, ganz nebenbei, hat dauernd sein engelsschönes Söhnchen (William Cuddy) im Schlepptau, das sich über seinen komischen Vornamen ‚Gore’* ärgert und Amelia fragt, ob sie nicht seinen Daddy als Zweitmann heiraten könnte. Das Drehbuch (Ron Bass, Anna Hamilton Phelan) orientierte sich stark an zwei aktuellen Biografien: ‚East To The Dawn’ von Susan Butler beschäftigt sich mit unbekannteren Fakten aus dem Leben der Flugpionierin wie ihrer Freundschaft mit Eleanor Roosevelt, der damaligen First Lady und eben der Liebesgeschichte mit Gene Vidal – ‚Sound Of Wings’ von Mary Lovell beschreibt vor allem die Ehe mit Putnam und die durch ihn in Gang gesetzte Promotions-Lawine.
Leidenschaftliche Frauenrechtlerinnen könnten Mira Nair vorwerfen, sie vernachlässige etwas das ständige Bemühen der Heldin, die Stellung der Frau zu stärken, sowohl in der Luftfahrt als auch ganz allgemein. Tatsächlich scheint Amelia Earhart lebenslang ein sehr politischer Mensch gewesen zu sein, der unermüdlich für feministische Ziele eintrat, für Erziehungssysteme plädierte, die niemanden nach seinem Geschlecht benachteiligten und für die Zulassung von Frauen an technische Hochschulen.
Aber eigentlich wird das ja bereits durch das Benehmen und durch viele spontane Aussprüche klar, die Hilary Swank als Amelia von sich gibt. Auch wenn die manchmal schrecklich pathetisch klingen.
Und außerdem dauert das Kinowerk ohnehin schon zwei Stunden.
Etwa zehn Jahre, vom Anfang ihrer enormen Popularität bis zum Versuch, als erster Mensch die Erde am Äquator zu umrunden, umfasst der Film.
Bei diesem letzten Abenteuer befand sich Fred Noonan (Christopher Eccleston) mit ihr an Bord, der damals beste Navigator – allerdings mit einem kleinen Alkoholproblem. Drei Viertel der Strecke legten die beiden einigermaßen problemlos mit Zwischenlandungen in Brasilien, Westafrika (mit den obligatorischen, in Zeitlupe galoppierenden Giraffen im goldenen Abendsonnenschein) Indien und Neuguinea zurück.
Dann folgte das gefährlichste Stück der Reise, über den Pazifischen Ozean. Um zu Tanken sollte dabei die vergleichsweise winzige Howland-Insel angeflogen werden.
So kam es, dass Amelia Earhart, kurz, bevor sie vierzig wurde, ganz einfach verschwand.
Der perfekte Abgang für eine Legende.
Nach ihrem letzten, verstümmelten Funkspruch wurde eine riesige, wochenlange Suchaktion gestartet, 64 Flugzeuge und 8 Kriegsschiffe durchstöberten den Pazifik, bis man sie schließlich für „verschollen, vermutlich tot“ erklärte.
Natürlich entstanden Mythen wie die, sie habe mit Fred Noonan irgendwo anonym ein neues Leben angefangen oder sie sei amerikanische Spionin gewesen und von den Japanern geschnappt worden.
Ganz am Schluss des Films werden Fotos und Wochenschauaufnahmen der echten Amelia gezeigt. Und wenn Hilary Swank auch sicher ihre Burschikosität treffend darstellt und das strahlende, breite Grinsen, so ist da doch in diesen wenigen, kurzen Aufnahmen etwas enthalten, was der Schauspielerin nicht gelingt. Swank wirkt zweifellos (manchmal fast allzu) liebenswert, offen, herzlich. Aber sie hat ungefähr so viel Sexappeal wie Julie Andrews als Mary Poppins.
Die echte Amelia hingegen, auch sie absolut keine makellose Beauty, (eine ungeschminkte Mischung aus Pippi Langstrumpf mit einigen Löffelchen Katharine Hepburn) hat es besessen, das gewisse Etwas. Ihretwegen wären möglicherweise wirklich zwei Männer wie Richard Gere und Ewan McGregor zusammen gescheppert, während ihr auch noch Navigator Noonan einen kleinen schmutzigen Antrag gemacht hätte. Das alles Hilary Swank abzukaufen fällt schon schwerer…
*Gore Vidal wurde später ein bekannter Schriftsteller.
Amelia
(Amelia, 2009)
Start: 17. Juni 2010
Länge: 112 min
Darsteller: Hilary Swank (Amelia Earhart), Richard Gere (George Putnam), Ewan McGregor (Gene Vidal), Mia Wasikowska (Elinor Smith), Virginia Madsen (Dorothy Binney Putnam), Christopher Eccleston (Fred Noonan)
Regie: Mira Nair
Drehbuch: Ronald Bass, Anna Hamilton Phelan
Copyright Fotos & Trailer: Twentieth Century Fox Film Corporation
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