Seit zehn Jahren prägt er den Kieler Tatort: Borowski ist Markenzeichen wie Förde und Sprotten.
Mal sehen, ob seine junge Kollegin Sarah Brandt das auch noch schafft. Seit 2011 spielt Sibel Kekilli die Nachwuchsermittlerin an Axel Milbergs Seite – und ist damit in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Isabelle Hofmann traf sich zum Tatort-Jubiläums-Interview mit Sibel Kirkilli.
Isabelle Hofmann (IH): „Borowski und der Engel“, der Jubiläums-Tatort am 29. Dezember, ist mehr Psychodrama als Krimi. Die Krankenpflegerin Sabrina verursacht einen tödlichen Unfall und baut daraufhin ein unglaubliches Lügengebäude auf.
Sibel Kekilli (SK): Stimmt. Sie will eigentlich gar nicht töten.
IH: Dennoch wirkt sie wie der Inbegriff des Bösen. Dazu ist sie noch rothaarig und Heilerin. Autor Sascha Arango hat offenbar eine Vorliebe für rothaarige Psychopatinnen. Spielt er mit dem Klischee der bösen Hexe?
SK: Das kann sehr gut sein. Die Frau wirkt so unnahbar, strahlt so eine Kälte aus. Menschen, die unnahbar sind, machen uns ja eher Angst als gefühlvolle Menschen, weil man sie nicht zu fassen kriegt. Ich glaube aber nicht, dass sie geisteskrank ist. Eher, dass sie einsam ist und geliebt werden will. Sie will Anerkennung kriegen.
IH: Wenn Menschen keine Liebe und Anerkennung ihres sozialen Umfeldes erfahren, kann das bis zum Terrorismus führen. Das haben Untersuchungen erwiesen. Wenn man das extreme Gewaltpotential im Nahen Osten betrachtet, könnte das ein gesellschaftliches Phänomen sein, oder?
SK: In vielen muslimischen Familien wird man ja so erzogen, dass Schlagen normal ist und dass die Ehre im Vordergrund steht. Kinder, die viel Schläge bekommen, schlagen in der Regel als Erwachsene weiter. Was man kennt, gibt man meistens genau so weiter.
IH: In Deutschland haben Kinder auch erst seit dem Jahr 2000 ein Recht auf gewaltfreie Erziehung.
SK: Und Vergewaltigung in der Ehe wurde in Deutschland auch erst Ende der 90er Jahre zur Straftat. Unglaublich, das ist gar nicht so lange her.
IH: Kommt die Gewalt des Einzelnen also aus einer Gesellschaft, die zu wenig Liebe kennt?
SK: Ich glaube wirklich, dass die Gesellschaft egoistischer geworden ist. Nicht nur die muslimische, auch die christliche. Wenn es um den Islam geht, schrillen sofort die Alarmglocken. Hier will man keine Moscheen bauen, in der Türkei keine Kirchen. Alle Seiten verschließen sich immer mehr gegen andere Kulturen und Religionen. Das führt zu immer stärkerem Frust und Aggression.
IH: Aber nicht alle Menschen morden deshalb gleich. Warum morden die einen und andere nicht?
SK: Ich denke, es ist eine Art von Selbstkontrolle, die bei einigen besser funktioniert als bei anderen. Ich bin keine Psychologin, aber ich glaube, dass Menschen, die andere Menschen schlagen, missbrauchen, oder töten, als Kind selbst Gewalt ausgesetzt waren.
IH: Was meinen Sie genau?
SK: Ich glaube, dass in vielen Fällen von Gewaltverbrechen die Ursache in der Kindheit zu suchen ist. Wer als Kind nichts anderes erfährt als Gewalt kann meiner Meinung nach nicht unterscheiden, was richtig und was falsch ist.
IH: Klingt einleuchtend. Dabei wäre friedliches Miteinander so einfach. Der menschliche Körper setzt schon bei einem freundlichen Wort Glückshormone frei.
SK: Okay… Dann wundert es mich aber, warum in Deutschland so viel gemeckert wird und alle so griesgrämig sind. Wenn man morgens mal jemanden auf der Straße anlächelt, wird man ja schon komisch angeguckt.
IH: Die Leute sind vielleicht überrascht?
SK: Ja, das kenne ich ja auch von mir. Wenn mich jemand auf der Straße anlächelt, bin ich im ersten Moment überrascht. Und dann denke ich, ach, wie schön, dass mich jemand angelächelt hat.
IH: Als Tatort-Ermittlerin bekommen Sie ja nun jede Menge Anerkennung.
SK: Jaahaahaa. (strahlt über das ganze Gesicht)
IH: Ihre Sarah Brandt ist hoch motiviert, mutig, unkonventionell, sehr intelligent und immer gut drauf. Wenn man ihren Werdegang anschaut, könnte man meinen, das seinen alles Eigenschaften von Sibel Kekilli.
SK: Das ist jetzt sehr nett gesagt! Ja… könnte man. Aber Sarah ist manchmal auch ziemlich rechthaberisch und hat so einen Tunnelblick – dann muss alles so sein, wie sie es sich das ausgedacht hat. Schneller zu Handeln als zu Ende zu denken, das ist eindeutig keine Eigenschaft von Sibel Kekilli.
IH: Aber ihre gute Laune, ihre schnelle Auffassungsgabe und ihre Ehrlichkeit?
SK: Ja. Dass sie so ehrlich ist, das kann manchmal auch nach hinten losgehen. Sie ist überhaupt nicht diplomatisch, sondern zeigt ihren Unmut. Sie taktiert nicht, sondern sagt, was sie denkt.
IH: Das tun Sie auch, oder?
SK: Ja, leider schon. Dabei wäre es manchmal angebrachter, taktisch zu sein. Aber nein: Das bin ich nicht.
IH: Autor Sascha Arango hat Ihnen die Rolle auf die Haut geschrieben. Konnten Sie Wünsche äußern?
SK: Ja, aber, um Gottes Willen, Borowski ist Borowski. Er ist seit zehn Jahren dabei. Es war mir nur wichtig, dass Sarah Brandt mit ihm auf Augenhöhe arbeitet. Es geht mir dabei nicht um mehr Textanteile. Mir ist nur wichtig, eine eigenständige Frau zu sein und auch mal selbständig handeln zu können.
IH: Im neuen Tatort gewinnt man den Eindruck, dass Sarah nun angekommen ist. Sie ist nicht mehr die übereifrige, wissbegierige Anfängerin, sondern die verlässliche Partnerin Borowskis.
SK: Ja, das finde ich auch. Sarah ist ruhiger geworden. Sie muss sich jetzt nichts mehr beweisen. Ihr Geheimnis mit der Epilepsie ist raus. Sie hat sich geoutet.
IH: Warum muss Sarah eigentlich diese Krankheit haben? Um die Figur interessanter zu machen?
SK: Nein, das war nicht der Fall. Ich finde es ja gut bei unserem Tatort, dass die Ermittler nicht immer mit ihrem Privatleben im Vordergrund stehen. Von Sarah Brandt ist nicht viel bekannt, aber man weiß, dass sie diese Krankheit hat, die sie immer außer Gefecht setzen kann. Und am Anfang war es wichtig, dass sie dieses Geheimnis hatte, denn da ging es um die Frage des Vertrauens. Kann man sich gegenseitig vertrauen? Vertraut Borowski ihr, vertraut sie ihm? Kann sie ihn beschützen, wenn es drauf an kommt? Da war die Krankheit ein gutes Mittel, um das zu erzählen.
IH: Sie tragen im Tatort einen deutschen Namen und sagten einmal, dass Sie froh darüber sind: Endlich mal keine Figur mit Migrationshintergrund. Warum ist Ihnen das so wichtig?
SK: Weil das in Deutschland keine Rolle mehr spielen sollte. Ich finde, wir gehören alle zusammen. Allein das Wort „Integration“ – ich kann es nicht mehr hören!
Ich finde auch „Integrationspreise“ sollte es nicht mehr geben. Das sollte als selbstverständlich wahrgenommen werden. Genauso, wie es selbstverständlich sein sollte, dass ich als Schauspielerin nicht immer erklären muss, warum Sarah Brandt jetzt Sarah Brandt heißt und nicht Aische Irgendwas.
IH: Somit können Sie aber auch nicht aus dem reichen Schatz zweier Kulturen schöpfen.
SK: Ich habe nichts gegen türkische Rollen. Ich habe den Filmen „ Die Fremde“ und „Gegen die Wand“ viel zu verdanken. Ich bin froh, dass ich zweisprachig aufgewachsen bin, aber die Leute müssen langsam mal akzeptieren, dass ich auch deutsche Rollen spielen kann. Es ist doch egal, ob Sarah Brandt Deutsche oder Israelin oder, oder, oder ist.
IH: Ganz bestimmt. Aber mir scheint, als ob man mit dem Namen ein Problem unter den Teppich kehrt. Wir haben immer noch Parallelgesellschaften in Deutschland, von denen wir kaum etwas mitbekommen.
SK: Auch deswegen ist es mir wichtig, im Tatort Sarah Brandt zu heißen. Beide Seiten haben die Annäherung doch komplett verschlafen. Ich weiß noch, als ich zur Hauptschule ging, kam jemand, um sich die Förderschüler anzugucken. Es wurden meistens Spätaussiedler, wie z.B. polnische oder russische Kinder geprüft. Vielen türkischen Kindern blieb diese Chance verwehrt.
IH: Das ist mittlerweile anders. Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff hat gesagt, der Islam gehöre zu Deutschland.
SK: Ja, wie die Türken auch. Ich finde, Deutschland – alle europäischen Länder – sollten bereits weiter sein, als diejenigen Länder, in denen leider das Christentum nicht anerkannt oder akzeptiert wird. Wir sind hier eigentlich weiter, weil wir eine andere Bildung haben.
IH: Wenn Sie das Beste beider Kulturen vereinen könnten, was würden Sie auswählen?
SK: Emotionalität türkisch, Disziplin deutsch.
IH: Daher rührt offenbar auch Ihr Talent, oder? Ihre Entdeckung erinnert ja an das Märchen vom Tellerwäscher zum Millionär.
SK: Nur, dass ich die Million nicht habe (lacht). Ich weiß wirklich nicht, woher mein Talent kommt. Vielleicht aus dem Türkischen. Weil ich so emotional bin. Ich spiele mit dem Bauch und nicht mit dem Kopf.
IH: Wenn Ihnen eine Märchenfee jetzt drei Wünsche erfüllen würde, was wären die?
SK: Dass alle Menschen, die ich liebe, gesund bleiben. Dass mein Hund, ein Rottweiler-Mischling, der schon 12 Jahre alt ist, noch lange lebt. Ja, und dass mein Leben so weiterläuft wie bisher. Dass ich weiterhin so zufrieden bin.
Tatort: Borowski und der brennende Mann
28.12.2013 um 20:15 bis 21:40 Uhr in der ARD
Jingle Bells an der Kieler Förde: Während Kommissar Borowski und seine Kollegin Sarah Brandt gerade Julklapp im Präsidium feiern, bereitet im benachbarten Schleswig ein Mörder ein dunkles Verbrechen vor. Beim Lucia-Fest-Umzug an einer dänischen Schule steht plötzlich ein Mann lichterloh in Flammen. Kriminalrat Schladitz, der an diesem Ort seine Kindheit verbracht hat, wird zum unfreiwilligen Zeugen des brutalen Anschlags. Der Tote, Michael Eckart, war hier Schulleiter und Mitglied der dänischen Minderheit. Zunächst deutet alles darauf hin, dass der Mörder im direkten Umfeld des Toten zu finden ist.
Fotonachweis:
Header: ''Tatort: Borowski und der Engel'' - Sibel Kekilli als Sarah Brandt / Foto: © NDR/Christine Schröder
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