Fotografie

Sie haben ihr Leben im Amerika der 1970er und 80er Jahre fotografiert, ihre Lieben, ihre Ängste, ihre Krisen und das Drogenelend in der Schwulen- und Drag-Szene, in der sie zu Hause waren.

Unter dem Titel „High Noon“ gibt es derzeit in den Deichtorhallen ein Wiedersehen mit rund 150 Fotografien von Nan Goldin, David Armstrong, Mark Morrisroe und Philip-Lorca diCorcia aus der Sammlung F.C. Gundlach – Bilder, die einen heute, gut 40 Jahre später, immer noch ergreifen.

 

„High Noon“ – „Zwölf Uhr mittags“. Wer denkt da nicht an den Western-Klassiker von Fred Zinnemann mit Gary Cooper von 1952, der als Marshal Will Kane im Duell den Mörder Frank Miller zur Strecke bringt. High Noon ist die Stunde der Entscheidung, die Zeit, da die Sonne keine Schatten wirft, alle und alles erbarmungslos ausleuchtet.

 

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So, wie es Nan Goldin (*1953), David Armstrong (1954-2014), Mark Morrisroe (1959–1989) und Philip-Lorca diCorcia (1953*) gemacht haben, die mit ihren schonungslosen Aufnahmen aus dem sozialen Abseits das Establishment der Reagan-Ära schockten.

Alle vier lernten sich an der School of the Museum of Fine Arts in Boston kennen, doch als „Boston School“ wollten sie sich nicht verstanden wissen, die fotografischen Stile waren zu unterschiedlich. Ihr Lebensstil hingegen war ein und derselbe. „Wissen Sie, es ging um Queerness, es ging um Punk und Rebellion, es ging um Drogendealer und Drag-Bars…“, so Armstrong in einem frühen Interview. Aids und Underground-Clubs, Liebe und Tod, Sucht und Sex - alles gehörte untrennbar zusammen, insbesondere bei den beiden „Seelenverwandten“ Nan und David, die eine fast schon symbiotische Beziehung verband.

 

Der Weg in die von Sabine Schnakenberg einfühlsam kuratierten Schau führt durch die Ausstellung „Franz Gertsch. Blow-up“. Was für ein krasser Gegensatz: Erst feinster Schweizer Fotorealismus, sauber, groß und klar – dahinter Subkultur im Klein- und Mittelformat. Im Zentrum stehen Nan Goldins schummerig-warmen Farbfotos, die sich lesen wie ein intimes Tagebuch in ungeschminkter Schnappschuss-Ästhetik. Armstrongs Schwarzweiß-Porträts wirken dagegen ruhiger, zurückhaltender, voller Melancholie, Sehnsucht und Zärtlichkeit. Schnakenberg stellt auch seine Stadtlandschaften vor, die sich in grobkörniger, wattiger Unschärfe an der Grenze zwischen Fotografie und Malerei bewegen.

 

Mark Morrisroes Fotografie wiederum bewegen sich um das eigene ich, seine Sexualität, aber auch seine Freundinnen und Liebhaber. Ein Werk, das sich formal übrigens durch große Experimentierfreude auszeichnet. Morrisroe überlagerte Schwarz-Weiß- und Farbnegative in „Sandwich-Technik“. Das Ergebnis: Weiche Konturen, reduzierte Farbigkeit und gezielte Unschärfen, die einen fast nostalgischen Effekt erzeugen. Nachträgliche Bemalungen verfremdeten die Fotos einmal mehr.

 

DTH Morrisroe Embrace 1985

Mark Morrisroe, Untitled [John S. and Jonathan], 1985, Color Print von Sandwich-Negativ. Haus der Photographie/Sammlung F.C. Gundlach, Hamburg. © The Estate of Mark Morrisroe

 

Während Goldin, Armstrong und Morrisroe das Medium nutzen, um sehr persönliche, dokumentarische oder experimentelle Werke zu schaffen, fasziniert Philip-Lorca diCorcia die bewusste Überinszenierung von Alltäglichkeit. Inspiriert von Mode- und Werbefotografie, erschafft er künstlich überhöhte, fast bühnenartige Szenen mit minutiös geplanter Lichtregie: Inszenierte Konstruktionen zwischen Realität und Fiktion, die die Frage aufwerfen, wie viel Wahrheit hinter der Fotografie steckt.

 

F.C. Gundlach, Gründungsdirektor des Hauses der Fotografie, erkannte schon früh das revolutionäre Potential dieser „Boston-Group“. Besonders mit Nan Goldin verband ihn eine enge Verbindung, da er sie ab den frühen 90er Jahren mit Ankäufen permanent unterstützte. Nan Goldin ist heute sicher der bekannteste Name, doch klar ist auch: Alle vier haben in den 1980er Jahren ein neues Kapitel der Fotografie aufgeschlagen.


High Noon: Nan Goldin, David Armstrong, Mark Morrisroe, Philip-Lorca Discorcia

Zu sehen bis 4. Mai 2025 in der Halle für aktuelle Kunst der Deichtorhallen, Deichtorstraße 1–2, Hamburg-City

Geöffnet: Di – So 11−18 Uhr, jeden 1. Do im Monat / langer Donnerstag: 11−21 Uhr

Mo geschlossen

Weitere Informationen (Deichtorhallen)

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