Ensemble Resonanz: Gastspiel in der Staatsoper und neue CD mit C.P.E. Bach
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Zwei Highlights mit Riccardo Minasi am Pult: Das Ensemble Resonanz spielte bei Glucks „Iphigénie en Tauride“ erstmals im Orchestergraben der Hamburgischen Staatsoper. Und eine neue CD präsentiert Orchestersymphonien von Carl Philipp Emanuel Bach – hochenergetische Musik voller Überraschungen.
Riccardo Minasi am Pult im weit hochgefahrenen Orchestergraben der Staatsoper tanzt jeden einzelnen Ton von Glucks „Iphigénie en Tauride“. Man erlebt eine hinreißende zweite Oper, wenn man ihm zuschaut: Er dirigiert federnd elegant, mit sehr weichen, runden, harmonischen Bewegungen. Mal kriecht er in die Pianissimo-Passagen förmlich hinein, dämpft den Orchesterklang bis an die Grenze zur Unhörbarkeit, mal animiert er zum breiten Auskosten eines Akzents, mal reißt er die Arme hoch, und der Klang explodiert schier vor Energie.
Seine Lippen sprechen jedes Wort prononciert mit, beim Chor wie bei den Solisten. Es ist kein selbstverliebtes Spiel, sondern penible allgegenwärtige Aufmerksamkeit, greifbare physische Präsenz, funkensprühende Hochspannung, sie holt aufregende Emotionen aus der Tiefe des Dramas. Minasi empfindet vor, inspiriert die Resonanz-Musiker, reißt sie mit – wobei die Zusammenarbeit mit dem Ensemble Resonanz ja bestens eingeübt ist.
Es sind „bloß“ Repertoirevorstellungen, Premiere hatte diese „Iphigénie“ schon 2009. Aber wenn Minasi das dirigiert, wird Glucks Musik, Zeugnis einer so empfindsamen wie schon stürmisch drängenden Übergangszeit zwischen Barock und Mozart („Iphigénie“ entstand nur 12 Jahre vor der „Zauberflöte“), für diesen Moment zur spannendsten Sache der Welt.
Ein naheliegender, vorher nie gewagter Glücksgriff, das Ensemble Resonanz zu einer kleinen Gastspiel-Serie als Opernorchester zu verpflichten: Mit silberfeinem Klang, äußerster Präzision und hörbar leidenschaftlichem Einsatz ließen die Resonanzler mit Minasi in großer, fast vierzigköpfiger Besetzung neue, spannende Dimensionen in Glucks Musik aufblitzen.
Was wohl nur zustande kam, weil das Hausorchester, die Philharmoniker, in ihrer Mehrheit auf Südamerikatournee gingen, sollte durchaus zur Wiederholung in Betracht gezogen werden. Vielleicht bekommen so ja auch mal die wunderbaren Händel-Inszenierungen „Alcina“, „Radamisto“ oder „Giulio Cesare in Egitto“ wieder eine Chance, die Hamburg seit Jahren schändlicherweise im Depot verstauben lässt?
Zweimal noch geht die „Iphigénie“ mit dem Ensemble Resonanz über die Hamburger Opernbühne, dann ist erstmal Schluss mit einem Experiment, das im Lauf der Vorstellung durchaus Suchtpotenzial entfaltet.
C.P.E. Bach – Entdeckungen und Überraschungen
Wie gut, dass Resonanz-Fans sich gleich CD-Nachschub besorgen können. Nach den sechs Hamburger (Streicher-)Symphonien Wq 182 von Carl Philipp Emanuel Bach hat die Erfolgskombi Resonanz/Minasi jetzt auch die vier Orchestersymphonien eingespielt. Und wenn sie das spielen, klingt die Musik, als hätte der Hamburger Bach eben erst die Feder beiseitegelegt – so frisch, spannend, überraschend und überwältigend präsent lebendig kommen diese Symphonien aus den Lautsprechern.
Bach lässt im Orchester erstmals die Bläser von Leine, er gibt ihnen eigenständige Parts und lässt sie nicht nur Streicherlinien doppeln und erweitert so die Ausdrucksmöglichkeiten des Orchesterklangs enorm. Vier Jahre nur vor Glucks „Iphigénie“ geschrieben, reißen sie ein Universum neuer musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten auf: kühne Konventionsbrüche, überraschende melodische Einfälle, verwegene Modulationen – diese Musik braucht den Vergleich mit der des dem Salzburger Wunderknaben kein bisschen zu scheuen, der denn später auch lobte: „Er ist der Vater, wir sind die Bub’n.“. Und es ist wieder Riccardo Minasi, der das Ensemble Resonanz zu Höchstleistungen anspornt, die mit unüberhörbarer Freude geliefert werden, ob bei irrwitzigen Tempi oder dem betörenden vibratolosen Streicherklang im Larghetto aus Wq 183/3.
Das C.P.E.-Bach-Jubiläum – 200.Geburtstag im Jahr 2014 – hat gezeigt, dass bei diesem Sohn des Leipziger Bachs noch viel zu entdecken ist. Eine solche Entdeckung enthält auch diese CD: die sechs Bläsersonaten Wq 184, ein Beitrag Bachs zu den damals gerade als Outdoor-Entertainment oder Tafelmusik in Mode kommenden Harmoniemusiken für Holz und Blechbläser. Für Bach waren das auch hübsche Fingerübungen beim Entwickeln seiner neuen symphonischen Bläserparts.
Symphonien wie Sonaten sind keine Dutzendware aus einer blassen Übergangszeit, sondern man hört, vom Ensemble Resonanz klug geführt, Takt für Takt, wie der Hamburger Bach musikalisches Neuland betritt. Ein spannendes Hörabenteuer.
Gluck: Iphigénie en Tauride
Mit dem Ensemble Resonanz und Riccardo Minasi. Hamburgische Staatsoper,
Do, 13.10. und Sa, 15.10., jeweils 19:30.
Karten im Internet oder unter (040) 3568 68.
C.P.E. Bach: 4 Symphonies Wq 183 und 6 Sonatas Wq 184
Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788); Orchester-Sinfonie D-Dur Wq 183/1
Joseph Haydn (1732-1809); Konzert G-Dur für Violine und Orchester
Carl Philipp Emanuel Bach; Orchester-Sinfonie Es-Dur Wq 183/2
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791); Sinfonie Nr. 40 g-Moll KV 550
Riccardo Minasi (Violine und Dirigent), Ensemble Resonanz
CD Es-Dur
ES 2070
CD-Release-Konzert: Fr 14.10.2016, 18:30 Uhr
resonanzraum St. Pauli
Der Eintritt ist frei.
Abbildungsnachweis:
Headerfoto: Jann Wilken
CD-Cover
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