Literatur

„Monas Augen“ ist der erste Roman des Kunsthistorikers Thomas Schlesser. In Frankreich stand das Buch wochenlang auf Platz eins. Teilweise schon vor Erscheinen wurde es in mittlerweile 35 Sprachen übersetzt und erschien in 60 Ländern. Man darf hier also zu Recht von einem Bestseller sprechen.

 

„Monas Augen“ ist eine schöne Geschichte über ein 10jähriges Mädchen und seinen Großvater. Es ist zugleich eine Reise zu 52 der schönsten Kunstwerke unserer Zeit. Gewidmet ist der Roman allen Großeltern dieser Welt. Im Prolog wird uns erzählt, warum das so ist und was es mit Monas Augen und dem ganzen Kunstgeschehen in diesem Buch auf sich hat.

 

Die zehnjährige Mona erblindet von einem Augenblick zum anderen. Warum? Eigentlich ist alles wie immer. Es ist Sonntag. Die Mama bereitet in der Küche das Essen vor, Mona macht Hausaufgaben am Küchentisch, der Vater sitzt im Nebenzimmer und ist privat wie beruflich mit seiner Antiquitätensammlung (und dem Alkohol) beschäftigt. Da geschieht es: Mona spürt, wie sich ein schwerer Schatten auf ihre Augen legt. Ein undurchdringlicher Nebelteppich breitet sich aus: Mama, alles ist dunkel! Doch schon während der Fahrt in die Augenklinik ist die urplötzlich aufgetretene Blindheit wieder aufgehoben, ist sie wie ein Spuk wieder verschwunden. Genau dreiundsechzig Minuten hatte der Anfall gedauert. Dann hatte sich der Schleier wieder gehoben, der über Monas Augen lag - wie ein Rollo, das man hochzieht. […]Die Blindheit hatte Mona gepackt und wieder losgelassen, heißt es im Roman. Die Sorge der Eltern ist groß: Wird Mona wieder erblinden und dann womöglich endgültig? Was ist die Ursache dieser Störung? Was kann helfen, diese Störung zu überwinden? Ein MRT und alle weiteren durchgeführten Untersuchungen bringen keine Klärung. Eine eindeutige Diagnose steht aus. Der behandelnde Arzt schlägt vor, einen Kinderpsychologen aufzusuchen.

 

Monas Augen Thomas Schlesser F Roberto Frankenberg

Buchumschlag. Thomas Schlesser. Foto: Roberto Frankenberg

 

Damit kommt Großvater Henry Vuillemin ins Spiel, der wie Monas Familie in Paris lebt und von seinen Lieben Dadé genannt wird. Henry, der 1982 bei einer Fotoreportage im Libanon sein rechtes Auge verlor. Dadé, der die Kunst liebt und der von Mona mit all seinen Lebensjahren und seiner Kraft geliebt wird, in dessen Gesellschaft sie sich geborgen und beflügelt fühlt und der immer mit Mona auf Augenhöhe spricht, wie mit einer Erwachsenen. Das mag und genießt Mona jedes Mal aufs Neue. Das Einzige, worüber nie gesprochen werden darf, ist Großmutter Colette, die vor sieben Jahren starb… Henry mag Monas Ausdrucksweise, mag ihre Wortmusik. Auch Monas Mutter Camille gesteht sich irgendwann ein – wenn auch etwas verwundert, dass diese Beziehung zwischen Henry und Mona wunderbar funktionierte und ihre Tochter glücklich machte. Henry zitierte gerne Victor Hugos „Die Kunst, Großvater zu sein“ und erinnerte jeden ungefragt an eines der Grundprinzipien der Wissensvermittlung: Es sei unerheblich, ob man auf Anhieb alles verstehe, nicht jedes Wort müsse schon ein blühender Baum im riesigen Obstgarten des Geistes sein. Solange Furchen gegraben werden und Samen gepflanzt worden seien, würden die Knospen sich eines Tages schon öffnen.

 

In diesem Bewusstsein, in diesem Sinne handelt der Großvater auch in dieser betrübten Situation. Er ist überzeugt, dass Mona die Werke großer Künstler und Künstlerinnen wie Botticelli, Rembrandt und Frida Kahlo mehr helfen können als ein weiterer Arzt. Henry will verhindern, dass Mona womöglich in Dunkelheit leben muss, ohne je die wahre künstlerische Schönheit kennengelernt zu haben und ohne sich daran erinnern zu können. Statt also Mona wie mit den Eltern vereinbart zu einem Kinderpsychologen zu begleiten, besuchen die beiden nach und nach die drei berühmten Museen in Paris. Jede Woche betrachtet Mona ein einziges Bild und erschließt es für sich, zunächst stumm, dann immer beredter. Anfangs kann Mona hierfür nur wenige Minuten Aufmerksamkeit aufbringen. Am Ende hat sich Großvaters „Lehr“-Methode als richtig erwiesen. Das letzte Bild, das Mona betrachtet, schlägt sie für eine ganze Stunde in Bann: es ist ein schwarzes Gemälde von Pierre Soulages.

 

Bild für Bild, Kapitel für Kapitel wandern wir mit den beiden durch den Louvre, ins Musée d`Orsay und schließlich ins Centre Pompidou. Wir besuchen Botticelli, da Vinci, Raffael, Tizian, Michelangelo und andere berühmte Künstler*innen der Kunstgeschichte. Das allein wäre schon interessant genug. Zusätzlich neugierig aber machen die Kapitelnamen, die den einzelnen Künstlern gewidmet sind. Da gibt es literarisch-künstlerisch-menschliche Zuordnungen in Form von Untertiteln wie „Respektiere die kleinen Leute“ (Frans Hals), „Das unendlich Kleine ist unendlich groß“ (Jan Vermeer), „Gegen die Rassentrennung“ (Marie Guillemine Benoist), „Das Tier ist dir ebenbürtig“ (Rosa Bonheur), „Du sollst das Leben tanzen“ (Edgar Degas) und „Schwarz ist eine Farbe“ (Pierre Soulages). Natürlich erfahren wir in diesem Buch, in diesem Roman, nicht nur viel Wissenswertes und viel Schönes über die einzelnen Werke, sondern auch über das Leben der Künstler und Künstlerinnen, über das Leben von Mona und ihrer Familie, über Henry und sein Verhältnis zur Liebe und zum Tod. All das ist aus der Feder eines Kunsthistorikers geflossen, der gleich mit diesem seinem ersten Roman einen Weltbestseller schuf. Thomas Schlesser ist – man glaubt es kaum - ein Kunstkenner, der selber nie Kunstgeschichte studiert hat, sondern an der Universität Kurse für Literatur und Geschichte belegte!

 

Als er 2002 mit seiner Doktorarbeit begann, wurde er gebeten, Studienanfänger in Kunstgeschichte zu unterrichten. Sein diesbezügliches Wissen hat Thomas Schlesser – wie er selbst im Interview (Verlagsseite Piper) erzählt - erworben, indem er anderen etwas beigebracht hat. Seinen Namen werden wir uns für die Zukunft gerne merken und hoffen ab jetzt auf weitere Bücher von ihm. Auf Bücher, die Kunst auf solch schöngeistige und zugleich auf solch populäre Art vermitteln. Auf Romane also von einem, dessen Kunstbeschreibungen auf wundersame Weise die beschriebenen Bilder vor unseren Augen als altbekannt und zugleich wie neu entstehen lassen. Der Roman „Monas Augen“ ist bestimmt für ein breites Publikum. Er schafft es tatsächlich, Kunstgeschichte leicht zugänglich für alle zu machen. So wie es der Autor gewollt hat. Für die Kunst. Für uns.


Thomas Schlesser: „Monas Augen“

Piper Verlag

Roman.

Übersetzt aus dem Französischen von Nicola Denis
544 Seiten. Hardcover.

ISBN 978-3-492-07296-0

Weitere Informationen (Verlag)

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