Ein wenig Werbung für das Lübecker Grass-Haus, und für das Schickimicki-Strandbad – ist es das? – Timmendorfer Strand ein niedrigschwelliges Kulturangebot: In der Trinkhalle zwischen dem Zentrum des Ostseebades und der Ostsee kann sich der Badegast mit dem graphischen wie mit dem literarischen Werk von Günter Grass bekannt machen, ohne Eintritt zu bezahlen.
Natürlich ist es nicht mehr als ein Appetithappen, den die kleine Ausstellung bieten kann, und das gilt sowohl für die Literatur und Kunst des Nobelpreisträgers als auch für das Objekt seiner Leidenschaft, die Ostsee.
In fünf Kapiteln kann sich der Besucher anschauen, warum dem Dichter diese flache und unübersichtliche Bucht des Atlantiks wichtig war und wie er seine Beziehung zu ihr darstellte. Aber es ist nur ein Teil der Ostsee, der eine Rolle spielt, denn wenn man von der Insel Møn absieht, kommt nur die Südküste zwischen Lübeck und Danzig vor. Die dänische Südsee, die schwedische und finnische Schärenküste, die Ålandinseln oder gar der äußerste Norden erscheinen nirgendwo. Nicht einmal die Küste der baltischen Länder mit den beiden großen Nehrungen spielt eine Rolle, wiewohl sie doch vergleichsweise nahe bei Danzig liegen.
Wie unglaublich populär Günter Grass in Polen ist, erfuhr der Berichterstatter vor etlichen Jahren in Gdynia (dt.: Gdingen), wo er die Romane des Wahl-Lübeckers in hohen Stapeln auf Käufer warten sah. Und natürlich war es sofort deutlich, wessen Bücher da herumlagen, denn in welcher Sprache die Titel auch immer geschrieben sein mögen: Grass‘ Bücher erkennt man schon auf Distanz – vor allem natürlich wegen seiner Graphiken, des Trommlers auf der „Blechtrommel" oder wegen der Lithographien auf „Butt“ und „Rättin“.
In Timmendorfer Strand gliedern blau-grüne Schautafeln in einer lichtdurchfluteten Rotunde die Ausstellung, und die Farbe der Ostsee – ihr halbherziger Versuch, das trübe Grau zu überwinden und blau zu leuchten – spielt in manchen Texten und Bildern des Meisters eine Rolle, der sich seinem Lieblingsgewässer auch onomapoetisch zu nähern versuchte: „Blubb, pifff, pschsch“. Wer wollte da widersprechen?
Es sind also fünf Kapitel. Das erste ist „Heimat und Erinnerung“ überschrieben, und natürlich wird damit die »Danziger Trilogie« angesprochen. Teil 2 ist dem „Butt“ gewidmet und thematisiert die politische und kulturelle Geschichte von Polen und Deutschland. Die Verschmutzung der Ostsee ist das Thema der „Rättin“, von der man im dritten Kapitel Zitate lesen und Lithographien anschauen kann, bis dann die – wie mancher findet: nicht immer gelungene – Gedichte des Poeta laureatus vorgestellt werden. Eigentlich ist es nur merkwürdig gesetzte Prosa, die sich dann Gedankenlyrik nennen darf und wohl vor allem vom Leben des Dichters kündet. Endlich ist das fünfte Kapitel den mit Lyrik angereicherten Aquarellen von Grass. Oder sind es mit Tusche illustrierte Gedichten? In jedem Fall sind es Arbeiten, die er schuf, nachdem der Kritiker aller Kritiker, Reich-Ranicki höchstpersönlich, 1995 sein Buch „Das weite Feld“ nicht allein in Wort, sondern auch im Bild (nämlich auf dem Titel einer bekannten Illustrierten) zerrrissen hatte. Diese unfassbar geschmacklose Aktion hatte Grass getroffen, und er flüchtete nach Dänemark, wo er am Strand malte und dichtete.
Es wird für viele Besucher interessant sein, die sehr charakteristischen und jedem bekannten Titelillustrationen seiner Bücher oder die Handschriften mancher Gedichte im Original anzuschauen. Und im Anschluss mag man auch nach Lübeck ins Grass-Haus fahren, wenn es am Timmendorfer Strand gar zu sehr regnet.
Wanderausstellung „Günter Grass und die Ostsee“
Timmendorfer Strand, Trinkhalle, zu sehen bis 23. August
Trinkkurhalle, Kurpromenade 3, in 23669 Timmendorfer Strand
Öffnungszeiten: täglich 10 bis 17 Uhr
Im Anschluss zu sehen in Travemünde, A-Rosa-Resort
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