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Im nördlichen Teil des Hafen von Port Louis, der Hauptstadt von Mauritius, liegt ein Migrationsmuseum, das sich intensiv mit der Einwanderungsgeschichte des ostafrikanischen Inselstaats auseinandersetzt: das Aapravasi Ghat.

Der Name stammt aus einer in Indien gesprochenen Sprache, dem Hindi und bedeutet übersetzt: „Einwanderungsgrenze“.

 

Die einstmals unbewohnte Insel sah arabische Händler, Portugiesen (1507-1580) sowie ab dem Ende des 16. Jahrhunderts Holländer (1598-1710), die sich dort ansiedelten und – ganz im Stil jener Zeit und nachfolgender Jahrhunderte – als Kolonialmacht auftraten. Moritz von Oranien (lat.: Mauritius) war der Namensgeber der Insel. Mit den Niederländern begann der Zuckerrohranbau und das Einschiffen von Sklaven, vornehmlich aus der westlich gelegenen Nachbarinsel Madagaskar und der ostafrikanischen Küste. Mauritius wurde beherrscht von Europäern und unfreiwillig besiedelt von afrikanischen Sklaven. Von den Niederländern verlassen – Ausbeutung, Krankheiten und fehlende Strukturen zwangen sie, die Insel aufzugeben. Nach fünf Jahren Piratenherrschaft wurde das Eiland 1715 zu einer französischen Kolonie (1715-1810), als Guillaume Dufresne D'Arsel auf der Route nach Indien Mauritius als Anlaufhafen nutzte und für Frankreich beanspruchte und ihr den Namen Île de France (dt.: „Insel Frankreichs“) gab. Nach den Napoleonischen Kriegen wurde Mauritius britisches Territorium (1810-1968).

 

1968 wurde Mauritius schließlich unabhängig und seit 1992 ist der Inselstaat parlamentarische Republik. Die heute 1,3 Millionen Einwohner des Staates konstituieren sich als Abkömmlinge mit besonderer Geschichte und den damit verbundenen Verschleppungen und Einwanderungen. Heute sind weit mehr als die Hälfte der Einwohner indischer Abstammung.

 

Nach dem Beschluss des britischen Parlaments im Jahr 1833 zur Abschaffung der Sklaverei in den Kolonien suchten die Plantagen- und Salinenbesitzer mit Hilfe der britischen Behörden ab 1834 in den anderen Kolonialteilen ihres Imperiums nach billigen Arbeitskräften, da die Zuckerindustrie rasch expandierte. Das führte zu einem Anwerbungssystems, das ebenfalls in der Karibik und in Nordamerika praktiziert wurde: der sogenannten Arbeitsverpflichtung oder Schuldknechtschaft (engl.: indentured labour).

 

Arbeitsverpflichtete war ein freier Mann oder eine freie Frau, der/die einen Vertrag unterzeichnete, um für einen bestimmten Zeitraum, in der Regel fünf Jahre, außerhalb seines/ihres Heimatlandes für einen Arbeitgeber zu arbeiten. In den Verträgen wurden die Arbeitsbedingungen festgelegt sowie der allgemeine Lebensstandard: Lohn, Arbeitszeiten, Art der Arbeit, Verpflegung, Unterkunft und eventuell die medizinische Versorgung geregelt.

Zunächst wurde das Anwerbungsprojekt als Testfall angesehen, um zu demonstrieren, dass freie Arbeit (Coolie Trade /Lohnarbeit) effektiver sei als Sklaverei. Am 2. November 1834 kamen mit dem Segelschiff Atlas die ersten 36 Arbeitsmigranten aus dem Norden Indiens (Bihar) an.

 

T Bradshaw Port Louis from Views in the Mauritius by TBradshaw engraved by William Rider 1831

Thomas Bradshaw: Port Louis aus der Mappe Ansichten von Mauritius, gestochen von William Rider, 1831 (gemeinfrei)

 

Jedoch wurde zwischen 1839 und 1842 die Einwanderung von Vertragsarbeitern ausgesetzt, da die ersten von ihnen auf Mauritius von Pflanzern misshandelt wurden. Die Wiederaufnahme der Einwanderung von Vertragsarbeitern erreichte ihren Höhepunkt zwischen 1843 und 1865, um dem steigenden Bedarf der Zuckerindustrie gerecht zu werden, die Mauritius um 1845 zur produktivsten Zuckerkolonie des britischen Empire machte. Ab den 1870er Jahren ging die Arbeitsmigration zurück und fand 1910 ein formelles Ende. 1918 wurde das Anwerbeverbot erlassen und 1923 das Durchgangslager geschlossen. In Erinnerung an den Tag der Ankunft der ersten Kontraktarbeiter im Jahr 1834 ist der 2. November nationaler Feiertag auf Mauritius.

 

1849 wurde im Hafen, dem „Trou Fanfaron“, im Stil von steinernen Lagerhallern, das 1.640 qm große Einwanderungslager Aapravasi Ghat errichtet und 1860 erweitert, um die fast fünfhunderttausend Arbeitskräfte aus Indien, China, Südostasien, dem Yemen, Mozambique etc. bis 1910 aufzunehmen, sie weiter zu verschiffen oder sie zurück in ihre Heimatländer zu bringen, wenn Verträge abgelaufen waren. Zeitgleich konnten tausend, später tausenddreihundert Menschen dort untergebracht werden.

 

Zweidrittel der Arbeitsverpflichteten blieben auf Mauritius, so stellt die indisch-stämmige Bevölkerung heute 68%.

Seit 1987 ist der Ort Nationalmonument und seit 2006 Welterbestätte der UNESCO – in dem darauffolgenden Jahrzehnt wurden die wenigen Gebäudereste in Stand gesetzt, bis zur Eröffnung eines Museums (Beekrumsing Ramlallah Interpretation Center) am 3. November 2014.

 

Galerie - Bitte Bild klicken
Das Museum hat auf einem geführten Parcours mit einzelnen Stationen die gesamte, für die Insel sehr bedeutsame Geschichte aufgearbeitet, zeigt neben Dokumenten und Fotografien auch Systematiken, die weltweit angewandt wurden. Artefakte sind präsentiert und anhand von Modellen – z.B. wie der Hafen 1850 aussah – und wie die Menschen die ersten Schritte in die Arbeitsverpflichtung begingen, mit welcher Hoffnung sie kamen und welche enttäuschenden oder positiven Entwicklungen sie nahmen. Einzelne Lebensgeschichten werden geschildert und zeigen im globalen Kontext, wie sich die Arbeitsmigration auf Mauritius zum Weltgeschehen verhielt.

 

Bis heute gibt es auf verschiedenen Kontinenten der Welt immer noch derlei Unternehmen oder Personengruppen die Arbeitsverträge unterzeichnen lassen, die an Indentured Labour stark erinnern. Die Menschen werden in ihren Heimatländern zum Arbeiten angeworben, um in fernen Ländern zu schuften – angefangen von der Bauindustrie über die Landwirtschaft bis zu privaten Haushalten. Modern Slavery nennt man das. Der Global Slavery Index 2023 schätzt erschreckende 50 Millionen Menschen in solchen Verhältnissen.

 

Beekrumsing Ramlallah Interpretation Centre F Pixabay

Aapravasi Ghat; Beekrumsing Ramlallah Interpretation Center. Foto: pixabay

 

Das Besinnen auf diese Vergangenheit ist ein gewichtiger Teil der Identität der Einwohner von Mauritius. Es zeigt sich in der heutigen Zeit wie sich die Migration trans- und interkulturell auswirkt(e), wie Menschen mit sehr unterschiedlichen kulturellen Hintergründen sowie Migrationsgeschichten ihrer Vorfahren, ein weitgehendes Mit- und Nebeneinander ergeben kann.


Aapravasi Ghat – World Heritage Site

Quay Street, Port Louis, Mauritius

Geöffnet: Mo.-Fr. 9-16h, Sa. 9-12h, So. geschlossen

- Weitere Informationen (Regierung von Mauritius, engl.)

- Weitere Informationen (UNESCO, engl.)

- Modern Slavery Index (Walk Free)

 

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