Die Alpen, ein Sehnsuchtsort. Mit Beginn der Romantik um 1800 erhielt die Natur als Gottes Schöpfung einen ganz neuen Stellenwert. Erst erkundeten Künstler und Forscher die damals noch schwer zugänglichen Regionen, dann entdeckten Bildungsreisende die (vermeintliche) Alpenidylle, seit den 1960er Jahre stürmen nicht nur Sommerfrischler, sondern auch Skiverrückte die Berge.
Mit der Ausstellung „Hamburg und Tirol – eine Alpenfreundschaft?“ knüpft das Museum am Rothenbaum an die historisch gewachsenen Beziehungen der norddeutschen „Flachlandtiroler“ zu dem österreichischen Bundesland an – ein Grund mehr, um ihre lange in Vergessenheit geratenen volkskundlichen Tirol-Sammlung zu präsentieren.
Hamburg und Tirol, das ist wirklich eine besondere Beziehung. Ob Kitzbühel, Brixental, Saalbach oder Sölden – Anfang März heißt es zwischen Alster und Elbe regelmäßig: Der Berg ruft! Egal, was es kostet. Vor zwei Jahren war es vor allem die Gesundheit. Hamburger Urlauber hatten sich in Ischgl mit Corona infiziert und das Virus in die Hansestadt geschleppt. Ski-Verrückte denken jedoch nicht an die Pandemie, sondern träumen von unberührten Tiefschneehängen, wie sie ein (Amateur-)Film des Deutschen Alpenvereins von 1992 zum Auftakt der Sonderschau zeigt. Die Realität sieht heute leider meist anders aus. Der Südtiroler Künstler Walter Niedermayr hat in seinen Fotografien die Folgen der gnadenlosen Ausbeutung durch den Skitourismus eingefangen.
Kern der von Lara Ertener und Anna-Sophie Laug kuratierten Schau aber ist die Sammlung volkskundlicher Artefakte, die größtenteils Anfang des 20. Jahrhunderts entstand und der Zusammenarbeit von Georg Thilenius, dem damaligen Direktor des Völkerkundemuseums, mit dem Sammler Karl Wohlgemuth zu verdanken ist. Der Lehrer aus Bozen erkannte, was in Zeiten rasanter Industrialisierung an Kulturgut zu verschwinden drohte und bot seine aus Kirchen, Bauernhöfen und Trödelläden zusammengetragenen Objekte den Museen an.
Groteske Teufels- und Krampus-Masken, religiöse Devotionalien und bäuerliches Alltagsgerät geben nun Einblick in eine längst verschwundene Lebenswirklichkeit der Alpenbewohner*innen. Darunter Kuriositäten wie eine hölzerne, mit Stacheln besetzte rote Kugel, deren Bedeutung selbst MARKK-Direktorin Barbara Plankensteiner, einer gebürtigen Südtirolerin, bislang unbekannt war. Das merkwürdige Objekt, das aussieht wie ein kleiner „Morgenstern“ (mittelalterliche Schlagwaffe) ist ein Gebärmuttervotiv aus dem Pustertal und soll gegen Geburtsschmerzen schützen.
In Hamburg selbst bediente man die aufkommende Alpen-Faszination mit einer Vielzahl an Tirol-Klischees, davon zeugen zahlreiche historische Plakate und Postkarten dieser Schau. So gab es auf dem Heiligengeistfeld eine 10.000 Quadratmeter große „Erlebniswelt“ namens „Bergfahrt in Tirol“ mit einem begehbaren Alpenpanorama, Drahtseilbahn und Grottenfahrt. Das 1925 eröffnete „Zillertal“ am Spielbudenplatz (heute Schmidts Tivoli) feierte noch bis 1990 den „Salontiroler“ in Lederhose, Lodenjanker und Kniestrümpfen. Was Trachten mit Politik zu tun haben, erfährt man im gut gemachten Begleitheft und wer wissen will, was die Hamburger so alles an Tirol-Souvenirs aufbewahren, der wird in einer begehbaren Museums-Vitrine namens „Aquarium“ fündig.
„Hamburg und Tirol – eine Alpenfreundschaft?“
Zu sehen bis Ende 2023, im MARKK, Museum am Rothenbaum, Rothenbaumchaussee 64, 20148 Hamburg.
Weitere Informationen (MARKK)
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