Kultur, Geschichte & Management

Pionierprojekte, die soziale Nachhaltigkeit zu einem funktionierenden Faktor für die Arbeitswelt machen, bringen Wien eine Vorreiterrolle in diesem Bereich. Der Grundstein dafür wurde schon 1919 gelegt, als die Sozialdemokraten des Roten Wien die Vision einer lebenswerten Stadt in die Tat umsetzten.

Heute bestreitet Social Business seinen Weg in die Hotellerie und in die Gastronomie – Soziale Konzepte, die internationale Beachtung finden.

 

Ein Überblick: Wiens sozialer Charakter hat sich seit dem Roten Wien von 1919 immer wieder bewährt. Wie diese Denk- und Handlungsweise auch in der Gegenwart zum Tragen kommen, zeigen Projekte im Social Business.

 

Magdas Hotel, Social Business als Antwort auf Arbeitskräftemangel

Das magdas Hotel ist Österreichs erstes Social Business Hotel und gehört zu der 2012 gegründeten Social Business Gruppe der Erzdiözese Wien. Die „magdas-Gruppe“ verfolgt das Ziel, soziale Fragen dort, wo es sinnvoll und möglich erscheint, unternehmerisch zu lösen. Auch der Name spielt darauf ab, den Mitarbeiter*innen ein „(Ich) Mag das!“ (magdas) zu entlocken. Zu den magdas-Geschäftsfeldern gehören neben dem Hotelbetrieb Reinigung, Recycling und Essenslieferung. Derzeit werden über 200 Mitarbeiter*innen im magdas Social Business beschäftigt. Der Social-Business-Gedanke geht auf Nobelpreisträger Muhammad Yunus zurück: Keine Gewinne, die nicht reinvestiert werden. Keine Förderungen, die nicht auch jedem anderen privaten Unternehmen offenstehen.

 

Social Business magdas hotel hotelzimmer c BWM Architekten Severin Wurnig

magdas Hotel, Hotelzimmer. . © BWM Architekten. Foto: Severin Wurnig

 

Von 2015 bis 2021 war das magdas Hotel im 2. Bezirk, im Herbst (die offizielle Eröffnung war am 10. November 2022) eröffnete es mit gleichem Konzept an einer neuen Adresse: Ein ehemaliges Priester- und Senior*innenwohnhaus der Caritas in der Ungargasse 38 im 3. Bezirk wurde mit 57.306 Euro aus einer Crowdfunding-Aktion, sowie einem auf fünf Jahre angelegten Kredit der Caritas in Höhe von 1,5 Millionen Euro finanziert. Um mit diesen Mitteln auszukommen, wurde auf Re- und Upcycling gesetzt. Mit dem Architekturbüro von BWM und dem österreichischem Künstler Daniel Büchel wurde in der von Februar 2021 bis Oktober 2022 dauernden Umbauphase Bestehendes, wie etwa die Einbauschränke des ehemaligen Senior*innenheimes, zerlegt und zu Tischen, Lampen und Bänken umfunktioniert. Zahlreiche gespendete Stücke, aber auch hochwertige Materialien wie Backhausen-Stoffe und sorgfältig restaurierte Möbel ergänzen das einzigartige Interieur im Hotel. Besondere Highlights des neuen Standortes sind die erhaltene Kapelle aus den 1960er-Jahren im 6. Stock, zwei rollstuhlgerechte Zimmer, zwei Zimmer speziell für seh- und hörbehinderte Menschen sowie die energieeffiziente Ausstattung des gesamten Hauses.

 

Über 80 Menschen mit Fluchthintergrund haben im magdas Hotel ihre Karriere bereits begonnen – Menschen, die den Arbeitsmarkt in der Zwischenzeit in anderen Betrieben bereichern. Auch Langzeitarbeitslosen, Menschen mit Behinderung, Migrant:innen, aber auch Haftentlassenen soll ein leichter Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht werden. Integration und Ausbildung sind vor allem in aktuell krisenreichen Zeiten funktionierende Maßnahmen und zukunftsweisende Antworten auf den herrschenden Arbeitskräftemangel. Derzeit haben zwei Drittel der 35 Mitarbeiter:innen in allen Einsatzbereichen des Hotels (Housekeeping, Gastronomie, Front Office Manager etc.) einen Fluchthintergrund. Die Erfolge werden durch individuelle Betreuung und Unterstützung begünstigt: Oft sind das Deutschkurse, manchmal Nachhilfe für die Berufsschule oder spezielle Fachkurse. Einmal pro Jahr wird für die gesamte Belegschaft ein interkultureller Workshop organisiert, um die Zusammenarbeit im internationalen Team zu erleichtern. Eine Sozialarbeiterin steht den Mitarbeiter:innen für alle Fragen zur Verfügung.

 

Habibi & Hawara setzt auf drei Säulen: soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit

Habibi & Hawara verfolgt seit 2016 ein erfolgreiches Konzept, welches sich auf die drei Säulen soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit stützt: Die Habibi & Hawara Gastronomiebetriebe GmbH ist ein privates und unabhängiges Ausbildungs- und Integrationsprogramm für Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund. Seit der Eröffnung werden über 50 Mitarbeiter*innen beschäftigt, 2/3 davon haben einen Flucht- oder Migrationshintergrund. Der Betrieb bietet sichere und fair bezahlte Arbeitsplätze, ein hochwertiges Ausbildungsprogramm sowie ein wertschätzendes Arbeitsumfeld. Besonders an diesem Konzept ist, dass spezielle Maßnahmen gesetzt werden, um den Mitarbeiter*innen den Einstieg ins eigene Unternehmer*innentum zu ermöglichen.

 

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Habibi & Hawara, Buffet. Foto: Tim Dornaus

 

In den letzten Jahren sind neben dem ersten Lokal im 1. Bezirk noch vier weitere eröffnet worden: Das Wiener Sozialunternehmen und Senior*innencafé Vollpension, in dem Pensionist*innen backen und kellnern, wurde vor zehn Jahren gegründet. Die Idee dahinter ist einerseits das Entgegenwirken gegen Altersarmut und andererseits eine wirksame Maßnahme gegen die – vor allem in Städten vorherrschende – Alterseinsamkeit. Die Vision der Gründer*innen Mike Lanner, Moriz Piffl, Julia Krenmayr und David Haller: eine Welt, in der Alt und Jung auf Augenhöhe miteinander und voneinander lernen, gemeinsam leben und einander helfen. Das Gemeinsame muss vor dem Trennenden stehen – Armut und Einsamkeit im Alter dürfen in der Gesellschaft keinen Platz haben.

Generationen Café: Inklusion gegen Altersarmut

Das Wiener Sozialunternehmen und Senior:innencafé Vollpension, in dem Pensionist:innen backen und kellnern, wurde vor zehn Jahren gegründet. Die Idee dahinter ist einerseits das Entgegenwirken gegen Altersarmut und andererseits eine wirksame Maßnahme gegen die – vor allem in Städten vorherrschende – Alterseinsamkeit. Die Vision der Gründer:innen Mike Lanner, Moriz Piffl, Julia Krenmayr und David Haller: eine Welt, in der Alt und Jung auf Augenhöhe miteinander und voneinander lernen, gemeinsam leben und einander helfen. Das Gemeinsame muss vor dem Trennenden stehen – Armut und Einsamkeit im Alter dürfen in der Gesellschaft keinen Platz haben.

 

Social Business Vollpension Schleifmuehlgasse F Mark Gassner

Vollpension: Charlotte, Elisabeth und Susanne. Foto: Mark Glassner

 

Das neueste Projekt sind Back-Kurse mit Omas – für Wiener*innen, aber auch Wien-Gäste. Alle Senior*innen sind unter der Geringfügigkeitsgrenze angestellt, um zu ihrer monatlichen Pension steuerfrei etwas dazuverdienen zu können. 45 Pensionist*innen arbeiten um die zehn Stunden pro Woche für die Vollpension. Bis zu acht Torten können in einer regulären Schicht im Senior*innencafé gebacken werden.

 

Vor dem Café in der Schleifmühlgasse im 4. Bezirk stehen Gäste am Wochenende nicht nur für die berühmten Germ-Buchteln mit Powidl-Füllung und Vanillesauce Schlange. Der zweite Standort ist seit 2019 in der Musik- und Kunstuniversität im ersten Bezirk in der Johannesgasse, wo nur an Wochenenden Betrieb herrscht. Am Schwedenplatz ist der kleine Vollpension-Kiosk ebenfalls eine gut besuchte Anlaufstelle.

 

Bierbrauen und betreutes Wohnen

In einem Pensionist*innen-Wohnheim in Atzgersdorf im 23. Bezirk sind die Bewohner*innen regelmäßig Teil von sogenannten Werkstätten, wo gemeinsam Bier gebraut wird, aber auch eigener Honig, Kräutermischungen, Nussschnaps und Süßspeisen produziert werden. Die Bewohner*innen werden so weit wie möglich in den Prozess miteinbezogen – vom Brauen bis zum Bekleben der Flaschen, diese Aufgabe hat einen positiven Einfluss auf das Wohlbefinden der Pensionist*innen, gleichzeitig werden das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Motorik gestärkt.

 

Rotes Wien ab 1919

Nach dem Ersten Weltkrieg galten in Wien alle Kräfte dem Wiederaufbau, Wohnraum war knapp. In den Randbezirken hausten die Menschen in illegal erbauten Siedlungen, wo Kälte und Krankheit das ganze Jahr über herrschten. Die ersten, uneingeschränkt freien Wahlen zum Wiener Gemeinderat im Mai 1919 brachten der “roten” Sozialdemokratischen Arbeiterpartei die absolute Mehrheit an Stimmen und Mandaten – die Geburtsstunde des Roten Wien. „Eines Tages werden diese Steine für uns sprechen“, prophezeite Bürgermeister Karl Seitz bei der Eröffnung des Karl-Marx-Hofes am 12. Oktober 1930 in Heiligenstadt – benannt nach dem Theoretiker des Kommunismus.

 

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Amalienbad. © WienTourismus. Foto: Paul Bauer

 

Not und Armut wurde mit wirkungsvoller sozialdemokratischer Politik entgegengewirkt. Vor allem mit baulichen Maßnahmen, die bis heute sichtbar geblieben sind. Die Stadt errichtete in den folgenden Jahren selbst mehr als 64.000 Gemeindewohnungen und vergab sie nach einem Punktesystem. Das Geld stammte aus einer Lohnsteuer und der 1923 eingeführten Wohnbausteuer. Arbeiter*innen zogen in praktisch durchdachte Wohnkomplexe mit Heizungen, Gärten, genügend Platz und Zugang zu Kultureinrichtungen und medizinischer Versorgung. In vielen der Gemeindebauten, die heute noch das Stadtbild prägen, stößt man auf schöne Details und bemerkenswerte Stilelemente von Art déco und Bauhaus. Bemerkenswerte Bauwerke wie der Karl-Marx-Hof als längster zusammenhängender Wohnbau Europas, aber auch das Amalienbad als Jugendstil-Juwel im Arbeiter-Bezirk Favoriten sind international bekannt. Viele der Architekten waren Schüler Otto Wagners.

 

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Karl Marx Hof. © WienTourismus. Foto: Paul Bauer


Social Business in Wien

 

Weitere Informationen und Links:

- Ungargasse 38, magdas Hotel

- Wipplingerstraße 29, Habibi & Hawara Eins

- Schleifmühlgasse 16, Vollpension Wien

- Seegasse 9, Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser

- Rotes Wien

 

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