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Jüdische Friedhofskultur in Hamburg: Der Jüdische Friedhof Ohlsdorf - Trauerhalle

 

Der Hamburger Zentralfriedhof Ohlsdorf ist einer der größten Parkfriedhöfe der Welt. Gestaltet nach Plänen des Architekten Johann Wilhelm Cordes, wurde er im Juli 1877 eingeweiht. An seiner Südwestseite liegt ein ebenfalls von Cordes entworfener, rund elf Hektar umfassender jüdischer Begräbnisplatz. Eröffnet im September 1883, ist er heute der größte jüdische Friedhof Hamburgs.


Bereits während der Planung verweigerte der Hamburger Senat der jüdischen Gemeinde ein separates Gelände als Eigentum auf dem neuen Friedhof. Stattdessen vereinbarten Stadt und Gemeinde eine dauerhafte Nutzung als Grablege. Der Jüdische Friedhof Ohlsdorf ist aufgeteilt in verschiedene Bereiche und umfasst heute rund 18.000 Gräber. Nach Aufhebung der Friedhöfe Grindelhof, 1936, und Ottensen, 1939 bis 1941, wurden zahlreiche historische Grabmäler nach Ohlsdorf überführt.

 

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Nahe des Eingangs gedenkt ein Ehrenmal der gefallenen jüdischen Soldaten im Ersten Weltkrieg. Um einen hohen, mit einem bronzenen Lorbeerkranz bekrönten Obelisken gruppieren sich 88 Einzelgräber und seitlich angeordnete Stelen mit den Namen von etwa 1.000 Gefallenen.


Gleich am Anfang des Friedhofs steht die vom Hamburger Architekten August Pieper gebaute Aussegnungshalle: Ein roter Klinkerbau im neoromanischen Stil mit Kuppel, Rundbögen und einer Fensterrose über dem Eingang. Im Inneren ausgestattet mit einem kleinen Büro, einer lichtdurchfluteten Trauerhalle und einem Raum zur Waschung und Vorbereitung der Toten.


Die Bestattung erfolgt nach jüdischen Riten und Traditionen, welche für alle Verstorbenen gleich sind: Mitglieder der „Chewra Kadischa“, eine Beerdigungsvereinigung der Gemeinde, bereiten den Toten für die Beisetzung vor. Dazu gehört die Waschung, das Anlegen der Totenkleidung – ein langes weißes Gewand und eine weiße Kopfbedeckung. Unter den Kopf wird häufig ein Säckchen mit Erde aus dem Heiligen Land gelegt. Anschließend wird der Tote in einem einfachen Holzsarg aufgebahrt, der während der Trauerzeremonie hier verbleibt. Klappen im Dach werden geöffnet, denn die Trauernden dürfen sich nicht mit dem Verstorbenen unter dem gleichen Dach befinden.


Die eigentliche Feier beginnt in der Trauerhalle. Ein Rabbiner hält die Trauerrede, der älteste Sohn des Toten oder der nächste Angehörige sprechen das Kaddisch, das Totengebet. Ein Gebet für das Seelenheil des Verstorbenen schließt sich an. Nach der Zeremonie begleiten die Trauergäste den Sarg von der Aussegnungshalle über eine von Linden gesäumte Allee, deren Kronen so beschnitten sind, dass sie kein Blätterdach bilden können, bis zum offenen Grab im neuen Teil des Friedhofs. Nach dem Herablassen des Sarges, werfen alle Anwesenden drei Hände Erde auf den Sarg und rezitieren dabei jedes Mal „Von Staub bist du und zum Staub wirst du zurückkehren.“ (1. Buch Moses, 3.19) Ist der Sarg mit Erde bedeckt, sprechen die Trauernden das Kaddisch. Bis zum Ende der Trauerzeit oder bis zur „Jahrzeit“, dem ersten Jahrestag des Todes oder des Begräbnisses, bleibt die Grabstelle nur mit Erde bedeckt. Erst dann wird ein Grabstein gesetzt.


Gegenüber der Aussegnungshalle befindet sich das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus. Errichtet 1951, erinnern eine freistehende Urne mit der Asche und Erde aus Auschwitz sowie die Inschrift auf der Gedenkmauer an die über fünf Millionen Opfer nationalsozialistischer Diktatur: „Ungestillt ist die Träne um die Erschlagenen unseres Volkes“ (Jer.8, 23)


Das Friedhofsgelände ergibt, wie in Hamburg-Altona, ein von der Natur überwuchertes Gesamtbild: Rhododendren, wildes Gestrüpp und Sträucher, Koniferen und Laubbäume haben sich ausgebreitet. Dazwischen liegen oder stehen einfache, von Efeu bedeckte Grabsteine sowie aufwendig dekorierte Stelen oder ornamentierte, mit Giebeln geschmückte Grabmäler.


Der Rundgang über den Friedhof verdeutlicht die veränderte jüdische Friedhofskultur in den letzten Jahrhunderten. Mit der bürgerlichen und politischen Gleichstellung der Juden – Hamburger Verfassung von 1860 und Verfassung des Deutschen Kaiserreichs von 1871 – war die Emanzipation der Juden rechtlich abgeschlossen. Ein Prozess der Assimilation an das kulturelle Umfeld setzte ein und damit verbunden, eine Anpassung der Begräbniskultur an christliche Traditionen. So finden sich im sephardischen Bereich, neben den Plattengräbern auch Sarkophage aus der Barock- und Rokokozeit, dem Biedermeier und Klassizismus.


Ab Juni 1937 begann unter der Leitung von Oberrabbiner Dr. Joseph Zwi Carlebach die Verlegung rund vierhundert aschkenasischer Grabstelen vom Friedhof in Ottensen und vom Grindelfriedhof nach Ohlsdorf. Die Vielfalt ihrer Formen, die Symbole sowie überreiche Dekorationen und Bekrönungen, spiegeln den gesellschaftlichen Status und den Wohlstand der Verstorbenen wider. Spezifisch jüdische Symbole wie die Priesterhände und die Leviten-Kanne traten zurück. Dekorationsformen aus der christlichen Trauerkultur, wie zum Beispiel die gesenkte Fackel oder die geknickte Rose, fanden Eingang in die jüdischen Grabmäler. Waren die Aschkenasim zunächst im Kleinhandel und der Geld- und Pfandleihe tätig, erlangten sie ab dem 19. Jahrhundert politische und wirtschaftliche Bedeutung, darunter die Bankier-Familie Warburg, der Bankier Salomon Heine oder der Reeder Albert Ballin.


Ein Blick auf die Grabsteine jüdischer Frauen verdeutlicht deren soziale Stellung. Ihre Aufgaben und Pflichten beschränkten sich im orthodoxen Judentum auf den familiären Bereich. Sie übten keinen Beruf aus, durften - bis auf das Entzünden der Sabbatkerzen - keine religiös-rituellen Aufgaben wahrnehmen. Folglich finden sich auf den Grabstelen keine typisch weiblichen Symbole. Dagegen loben die Inschriften die guten Eigenschaften der Verstorbenen: ihre Ehrlichkeit, Redlichkeit, ihre Tugend, Frömmigkeit und Gottesfurcht; sie ist die „Liebliche“, „Schöne“, „Krone des Mannes“. Ihre geistigen Fähigkeiten werden dagegen nicht erwähnt.


Den Ehrenfriedhof, der 1937 nach Ohlsdorf überführten Gebeine bedeutender Mitglieder der Grindelhof-Gemeinde, markiert eine große Rasenfläche und ein mittig stehendes sarkophagartiges Denkmal. Die Seiten des Platzes säumen Grabstelen mit den Namen der Bestatteten. Die einstige Schlichtheit der Stelen wurde Mitte des 19. Jahrhunderts und während der Kaiserzeit aufgegeben, zugunsten antikisierender, gotisierender und klassizistischer Formen, zu Säulen und Obelisken, zu kleinen Grabmonumenten.


Auffallend sind zwei übermannsgroße, sich gegenüber stehende Obelisken. Dr. Georg Hartog Gerson, während der Napoleonischen Kriege 1814/1815 Militärarzt beim preußischen Regiment, war in Hamburg bis zu seinem Tod als Arzt und Chirurg tätig. Das Sockelrelief zeigt einen stehenden, bärtigen Mann mit einem großen Äskulapstab und eine sitzende Frau mit zwei Kindern, beide in antikisierender Kleidung.


Äskulapstab, Schwert und Lorbeerkranz schmücken den Obelisken von Dr. Sigmund Samuel Hahn, der als Arzt und Offizier in den Freiheitskriegen gegen Napoleon I. kämpfte. Seine Kriegsmedaille der Hanseatischen Legion, der Hansestädte Bremen, Lübeck und Hamburg, ist als Relief am Sockel des Obelisken dargestellt.


Ungewöhnlich für die jüdische Begräbnistradition ist das Grabmal von Dr. Gabriel Riesser, Rechtsanwalt und Notar, Kämpfer für die rechtliche Gleichstellung der Juden, erster jüdischer Richter in Deutschland. Dem Neoklassizismus verpflichtet, ist sein Grabstein als antiker Tempel gestaltet. Vier Säulenschäfte mit Kapitellen und Architrav tragen einen überkragenden, mit Zahnschnitt dekorierten Dachgiebel. Die als Relief dargestellte Szene, die „leuchtende und unverhüllte Wahrheit, die die Schlange der Lüge tötet“ zeigt die Göttin der Wahrheit in Siegerpose. Ihr linker Fuß steht auf dem Kopf der Schlange, das Schwert der rechten Hand bändigt den Schwanz. Das ursprünglich auf dem Grindelfriedhof stehende Grabmal, wurde nach der Räumung des Friedhofs ebenfalls nach Ohlsdorf verlegt.


Ein weiteres Indiz für die Assimilation war – neben den Grabsteinen – die Urnenbestattung. Obwohl das traditionelle Judentum eine Feuerbestattung verbietet, ließen sich etliche assimilierte Juden einäschern – 1897 erfolgte in Ohlsdorf die erste Urnenbestattung. In einigen Friedhofsbereichen deuten von Tüchern drapierte und halb verhüllte steinerne Urnen symbolisch auf eine Feuerbestattung hin.


Im Bereich des neuen jüdischen Friedhofs fällt die Verwendung zeitgenössischer Grabsteine auf, wie sie auch auf christlichen und kommunalen Friedhöfen zu finden sind. Schlichte, naturbelassene oder polierte Steine mit einfachen Inschriften, ohne schmückende Ornamente. Die Grabeinfassung bedeckt entweder eine Platte oder ein Beet aus kleinen Steinen. Die Namen verweisen auf Deutsche, aus dem Exil zurück gekehrte Juden, auf Neueinwanderer aus Ungarn und der Tschechoslowakei, aus dem Iran, Israel und aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion.


Wie der Friedhof in Hamburg-Altona, blieb auch der Ohlsdorfer Friedhof in der Nazizeit nicht von Vandalismus und Kriegsschäden verschont. So wurden 1944 auf dem Gelände Baracken errichtet, in denen die in sogenannter Mischehe lebenden Hamburger wohnen mussten.


Der Rundgang über den Jüdischen Friedhof Altona und den Jüdischen Friedhof Ohlsdorf dokumentiert eine spannende Zeitgeschichte der jüdischen Friedhofskultur im Hamburg der letzten vierhundert Jahre.


Jüdischer Friedhof Hamburg Ohlsdorf
Ilandkoppel 68, 22337 Hamburg
Weitere Informationen www.jghh.org
Öffnungszeiten: Montag - Freitag 08:00 - 16:00 Uhr, Sonntag 10:00 - 16:00 Uhr
Samstag und an jüdischen Feiertagen geschlossen
Männer müssen eine Kopfbedeckung tragen, um die Würde der Verstorbenen nicht zu verletzen. Im Eingangsbereich befindet sich eine Acryl-Box mit „Kippot“.


Lesen Sie auch den ersten Teil über „Jüdische Friedhofskultur in Hamburg: Der Jüdische Friedhof Hamburg-Altona".


Abbildungsnachweis:
Header: Trauerhalle. Foto: Claus Friede
Galerie:
01. Plan des Jüdischen Friedhofs im Eingangsbereich. Foto: Claus Friede
02. Eingang in die Trauerhalle. Foto: Claus Friede
03. Trauerhalle, innen. Foto: Claus Friede
04. Ehrenmal der gefallenen jüdischen Soldaten im Ersten Weltkrieg. Foto: Claus Friede
05. Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus. Foto: Claus Friede
06. Grabanlage. Foto: Claus Friede
07. Grabsteine aus dem Bereich „Grindel-Friedhof“. Foto: Christel Busch
08. Sephardisches Grabfeld des sogenannten „Portugiesenfriedhofs“. Foto: Claus Friede
09. Grabsteine aus dem Bereich „Ottensener Friedhof“. Foto: Christel Busch
10. Grab des Dr. Gabriel Reiser. Quelle: Wikipedia CC

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