Überall – nur nicht im Gesicht. Für einen „anständigen Tätowierer“ ein ungeschriebenes Gesetz. Christian Warlich (1891-1964) war mehr als nur anständig – er war der „König der Tätowierer“.
Eine Kultfigur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die zu Hamburg gehörte wie Michel und Fischmarkt. In der opulenten Schau „Tattoo-Legenden – Christian Warlich auf St. Pauli“ breitet das Museum für Hamburgische Geschichte nun das Schaffen des Körperkünstlers aus, den die internationale Tattoo-Szene bis heute als Vorbild verehrt.
„Alles, was der männliche Körper ausdrücken soll, steche ich ein: Politik, Erotik, Athletik, Aesthetik, Religiös!! In sämtl. Farben nur elektrisch an allen Stellen. Streng reell!“. So steht es auf einer Werbekarte aus der Zeit vor 1945. Daneben ist die Rückenansicht eines komplett tätowierten jungen Mannes zu sehen. Es fällt nicht leicht, dieses Plakat von „Prof. Electric Christian Warlich, Tattooing Artist“ mit dem seriösen älteren Herrn in Verbindung zu bringen, der da im gediegenen Dreiteiler und Fliege so freundlich-jovial lächeln hinter dem Tresen seiner Gastwirtschaft in die Kamera prostet. Auf diesem Schwarzweiß-Foto um 1960 ginge der Star-Stecher und Gastronom glatt als hanseatischer Senator durch, als honoriger Kaufmann oder Rechtsanwalt.
Christian Warlich, 1891 in Hannover geboren und seit 1917 in Hamburg ansässig, war in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung. Zunächst einmal, das zeigen schon die vergrößerten Zeichnungen aus dem legendären Vorlagealbum im Vorraum der Ausstellung, war er ein hervorragender Künstler, der von Farbholzschnitten aus dem alten Japan inspiriert war. Das Plakatmotiv, der ausdrucksstarke Tigerkopf, aber auch die Fische, Hähne, Schmetterlinge, Schlangen und Zauberdrachen könnten in ihrer Formsprache und Farbkompositionen von Kuniyoshi, Hiroshige, Kunisada oder anderen Meistern der Edo-Zeit stammen. Eine weitere Inspirationsquelle waren für Warlich die USA. Wohl, weil er als junger Mann kurze Zeit zur See fuhr und dabei nach New York kam. Insbesondere der Wilde Westen mit Lasso werfenden Cowboygirls, Indianern, Pferden und dem Weißkopfseeadler hatten es ihm angetan. Aber auch die europäische Kunstgeschichte, insbesondere Dürer-Stiche aus der Albertina in Wien, interessierten den Mann, der Anstand, Ehrbarkeit und Verlässlichkeit, die Tugenden eines waschechten Hanseaten, mit einem Gewerbe verband, das lange Zeit als zwielichtig galt. Eine Ursache dafür war die vielbeachtete Studie des italienischen Mediziners und Anthropologen Cesare Lomborso von 1876, der bei den von ihm untersuchten Kriminellen vielfach Tätowierungen fand und daraus den Umkehrschluss zog: Tätowierte sind Verbrecher. Obwohl auch gekrönte Häupter mit Körperbildern verziert waren, Zar Nikolaus beispielsweise, König Friedrich IX. von Dänemark und Kaiserin Elisabeth von Österreich, besser bekannt als Sissi, galt das Tattoo fortan als Brandmal für schwere Jungs und leichte Mädchen.
Christian Warlich verstand es als einer der ersten, sein Metier aus der Schmuddelecke zu holen. Er arbeitete nicht mobil, wie damals üblich, stand nicht in irgendeinem dunklen Hauseingang, wie die vielen „Pfuscher“, vor denen er auf seinen Plakaten warnte. Er hatte eine feste Adresse: „Hamburg-St. Pauli, Kielerstr. 4, Wirtschaft“. So konnte er mit seiner Kundschaft „bei einem Glas Grog im Musterbuch blättern“ und anschließend in seinem Atelier hinter dem Vorhang zur Tat schreiten. Einem Raum übrigens, der laut Augenzeugen eher einer Arztpraxis als einer Werkstatt glich. Mit dem Selbstverständnis, hier ein grundsolides, bürgerliches Gewerbe auszuüben, korrespondierte Warlich auch mit Wissenschaftlern und Hautärzten in aller Welt, und entwickelte sich dabei zunehmen zu einem Spezialisten auf dem Gebiet der Tattoo-Entfernung.
Als Christian Warlich 1964 starb, war es Walter Hävenick (1905-1983), der damalige Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte, der hellsichtig die Bedeutung des Nachlasses erkannte und ein umfangreiches Konvolut an Arbeiten erwarb. 40 Jahre später entdeckte es der Kunsthistoriker Ole Wittmann im Vorfeld seiner Promotion über „Tattoos in der Kunst“ und initiierte das Forschungsprojekt „Nachlass Warlich“. Das Ergebnis ist nun die Ausstellung „Tattoo-Legenden“ mit zahlreichen Zeichnungen, Fotos, Postkarten und Objekten des Meisters, eingebettet in einen historischen Überblick zur Tätowiergeschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert mit Fokus auf die Hamburger Szene. Das Herzstück aber ist Christian Warlichs handgemaltes Vorlagealbum mit über 300 Tattoo-Designs. Die Fangemeinde wird es freuen: Jeden Montag, 12 Uhr, schlägt ein Restaurator eine neue Seite des „Heiligen Grals“ (Wittmann) auf. Wer mag, darf dabei sein.
„Tattoo-Legenden. Christian Warlich auf St. Pauli“
Zu sehen bis 25. Mai 2020 im Museum für Hamburgische Geschichte, Holstenwall 24, 20355 Hamburg.Weitere Informationen
Vimeo-Video:
Tattoo Legenden. DGS-Führung
Abbildungsnachweis:
Header: Zeichnung um 1934 aus dem Vorlagealbum von Christian Warlich. Museum für Hamburgische Geschichte. Foto: Christoph Irrgang
Galerie:
01. Christian Warlich und sein Kunde Paul Brodeck. Foto: SHMH
02. Warlich Flash-Blatt, 1930er Jahre. Privatsammlung William Robinson, Hamburg
03. Doppelseite aus dem Vorlagealbum von Christian Warlich, Zeichnungen um 1934. Museum für Hamburgische Geschichte. Foto: Christoph Irrgang
04. Christian Warlich zeigt Kunden sein Vorlagealbum, ca.1936. Foto: Erich Andres, SHMH
05. Geschäftskarte von Christian Warlich, vor 1948. Foto: SHMH
06. Christian Warlich im Tätowierbereich seiner Gaststätte auf St. Pauli, ca. 1960. Foto: SHMH
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