Unter den Goldschmieden ist er ein Pionier – nicht in Punkto Design, sondern in Punkto Bewusstsein. Seit 2005 verarbeitet Jan Spille für seine Schmuck-Kollektionen Gold aus ökologischer Gewinnung und fairem Handel – mit dem Vorsatz, nicht nur seinen Kunden bestmögliche Qualität zu liefern, sondern auch die Lebensqualität der Goldschürfer und ihrer Familien vor Ort zu verbessern.
Wer Sebastiao Salgados Fotografien aus der brasilianischen Goldmine Serra Pelada kennt, kann sich ein Bild von der Hölle auf Erden machen: Hunderte, tausende Minenarbeiter in Lumpen, schwarz, verdreckt und verschwitzt, schwer bepackt mit Gestein. Der Berg, an dem sie stehen gleicht einem gigantischen Ameisenhügel, das Maß an Fron und Leid, das aus diesen Aufnahmen von 1986 spricht, kann man nur als biblisch bezeichnen.
Als Jan Spille 2002 für „drei Jahre und einen Tag“ auf die Walz ging, die traditionelle Wanderschaft der Gesellen, hatte er Salgados Fotografien zwar nicht vor Augen, wusste aber dennoch, unter welch grauenhaften Umständen Gold und Diamanten in Asien, Afrika und Südamerika abgebaut wurden: In etlichen Minen müssen Kinder arbeiten, fast immer herrschen unsägliche Umwelt- und Arbeitsbedingungen. Ein Dilemma für den jungen Goldschmied und bekennenden Umweltaktivisten, den Berichte über „Blutgold“ aus dem Kongo und andere Schreckensnachrichten an seinem Berufswunsch zweifeln ließen. Umso erleichterter war Spille, als er Importeure kennenlernte, die ökologisch- und sozialverträgliches Gold und Silber von den weltweit ersten Bergbau-Kooperativen in Südamerika bezogen. „Es war für mich eine große Befreiung zu wissen, dass es Alternativen zum kommerziellen Goldabbau gab. So konnte ich meine politischen Wertevorstellungen und das, was ich in meinem privaten Leben lebe, auf mein Handwerk übertragen“.
Zurück in Hamburg machte sich Jan Spille selbständig und begab sich nebenbei auf eine „akademische Wanderschaft“, wie er sagt: Ein Studium der Kulturanthropologie, Volkskunde und Politikwissenschaften. „Mit 30 Jahren war ich schon ein relativ alter Student und wusste, was ich wollte. Mein Schwerpunkt war Kleidungs- und Materialforschung, insbesondere Schmuck. Was verbindet man zum Beispiel mit einem Ring? Letztlich erklärt die Kulturanthropologie, was dem Menschen wichtig ist und wie die Gesellschaft funktioniert“, sagt Spille, der durch das Studium nur darin bestätigt sah, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Damals war er in seiner Branche noch ein Exot, „saubere“ Rohstoffgewinnung interessierten damals noch viel zu wenige. In Kolumbien hatte im Jahr 2000 gerade die erste umweltverträgliche und sozial verantwortliche Gold- und Platin-Kooperative Oro Verde (Grünes Gold) ihre Produktion aufgenommen. Etwas früher, seit Ende der 1990er Jahre, setzt sich die Stiftung EcoAndina für bessere Lebens- und Umweltbedingungen der Andenregion in Argentinien ein. Aber es sollte noch zehn Jahre dauern, bis 2010 die Standards zur Zertifizierung der Lieferketten entwickelt wurden. Großbritannien war Vorreiter auf diesem Gebiet. Seit 2015 gehört das Unternehmen Jan Spille Schmuck zu den ersten zertifizierten und lizensierten Goldschmieden in Deutschland, die das Fairtrade-Siegel tragen dürfen.
Heute hält der Hamburger Vorträge über „Ethical Gold“, entwickelt Ausstellungen und Seminare über Fairen Handel und Ökologie von Gold. Seine Philosophie: Von der Rohstoffgewinnung bis zum fertigen Schmuckstück sollen alle an der Produktions- und Lieferkette beteiligten Menschen eine möglichst hohe Lebensqualität haben.
Selbstbestimmung, körperliche Gesundheit, Gleichheit und Gerechtigkeit – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch die Realität bei den Goldschürfern in der „Dritten Welt“ sieht anders aus.
Grundsätzlich, das noch vorab, gibt es zwei Formen des Goldabbaus: den Kleinbergbau und den Großbergbau. Während im Großbergbau weltweit agierende Konzerne gigantische Minen aufmachen und häufig im Tagebau ganze Berge mit hochmodernen riesigen Maschinen abtragen – dabei immer wieder auch ganz Dörfer zerstören und ihre Bewohner zwangsenteignen – ist der Kleinbergbau meist illegal und informell. Nach Schätzungen der UNO arbeiten 15 bis 20 Millionen Kleinschürfer im Goldbergbau, davon etwa ein Drittel Frauen und Kinder. Insgesamt sind mehr als 100 Millionen Menschen vom Gold-Kleinbergbau abhängig. Meist sind es einfache Bauern, die neben ihrer Hütte ein Loch graben und anfangen zu schürfen. Oder sie stellen sich, wie im Amazonasgebiet, in ausgetrocknete Flussarme und waschen das Sedimentgestein aus. Mit extrem schädlichen Chemikalien, wohlgemerkt. Rund 100. 000 Tonnen Quecksilber werden pro Jahr allein in den Amazonas gekoppt, rechnete Fairtrade-Deutschland aus. Mittlerweile kennt Jan Spille solche Zustände nicht mehr nur aus Zeitungsberichten oder einschlägigen Webpages. In den vergangenen Jahren besuchten er und sein Team Minen und Schürfplätze in aller Welt.
So war Spille bei einer Reise ins Amazonasgebiet Augenzeuge, als das aus dem Fluss ausgewaschene Sedimentgestein in große, blaue Plastiktonnen geschüttet und mit flüssigem Quecksilber versetzt wurde. „Die Arbeiter sind dann barfuß in die Tonne gestiegen und haben das Material gestampft“, erinnert sich der engagierte Goldschmid. Im nächsten Schritt wird der Brei in einem Tuch ausgewrungen, das übrig gebliebene Goldamalgam später erhitzt, bis nur noch das Gold übrigbleibt. „Die Menschen nehmen das Quecksilber über die Haut und über die Dämpfe auf, nehmen aber die Gefahren nicht ernst. Wir haben in Südamerika einen Goldschürfer getroffen, der uns erzählte, dass er mitunter ein Schnapsglas Quecksilber trinkt. Das würde ihm Glück bringen“.
Vor einem Jahr, bei seinem Besuch der Fairtrade-Kooperativen in Kenia und Uganda, in Gegenden, in denen seit Generationen Gold abgebaut wird, hatte Spille dann Erlebnisse, die ihn „wirklich umgehauen haben“. Während bei dem Pilotprojekt SAMA (Syanyonja Artisan Miners’ Alliance) in Uganda, der ersten afrikanischen Kooperative, die 2017 für Faires Gold zertifiziert wurde, Frauen und Männer gleichberechtigt arbeiten und Kinderarbeit verboten ist, sind die Zustände in den unzähligen konventionellen Minen der Nachbarschaft katastrophal und die Todesrate entsprechend hoch. Immer wieder kommt es zu Kohlenmonoxid-Vergiftungen, da das Grundwasser in den Stollen mit einfachen Diesel-Pumpen abgepumpt wird, deren Schläuche oft marode sind. „In Kenia hat man uns nur in eine Mine gelassen, wo der Dieselgenerator draußen stand. Über eine Holzleiter ging es 20 Meter tief, da kommt man in den ersten Stollen. Dann geht es weiter runter, bis insgesamt 100 Meter tief. Es sind sehr enge Stollen, die engsten Passagen maximal ein Meter mal ein Meter groß. Und überall hocken Menschen“. Spille steht das Erlebnis noch ins Gesicht geschrieben: „Es ist alles sehr klein, sehr schlecht abgestützt und es stinkt gewaltig nach Urin und Exkrementen“. Schockiert haben den Goldschmied aber nicht nur die Enge und der Gestank. Viel schlimmer fand er, dass die Arbeiter völlig ungeschützt sind: „Sie tragen keine Helme, keine Schutzbrillen, haben nur Taschenlampen um die Köpfe gebunden, Die gehen da in T-Shirts Shorts und Badelatschen unter Tage. Man braucht aber Atemschutzmasken, die Arbeit ist extrem anstrengend und gefährlich. Die Quarze werden mit Hammer und Meißel abgebaut, da fliegen Steine rum“.
Drei Tage später, in Uganda, kam er gerade an einem Loch vorbei, in dem der Bauer eine halbe Stunde zuvor verschüttet wurde. „Da war natürlich großer Aufruhr. Aber das krasse bei der Geschichte: Im Gespräch mit den Menschen stellte sich heraus, dass so ein Unglück hier alle naslang passiert. Es gibt kein gutes Werkzeug und häufig fehlt es auch an Wissen. Der eine nimmt den Generator mit runter, der nächste hat gar keinen.“
Aber nicht nur die Arbeit unter Tage ist in den konventionellen kleinen Minen brandgefährlich und menschenunwürdig, auch die Lebensumstände in den umliegenden Dörfern sind katastrophal. „Alles sind in die Goldgewinnung einbezogen. Der Vater ist in der Mine, die Frauen waschen das Gestein mit Quecksilber aus und haben noch ein Säugling an der Brust.“ Spille hat auch Kinder von Minenarbeitern in der Schule besucht. „Es gibt nur einige Tische, die meisten sitzen auf dem Boden. 800 Schüler für zehn bis zwölf Lehrer, manchmal 100 Kinder in einer Klasse. Es gibt kein Papier, keine Stifte. Der Lehrer steht einfach und spricht. Viele der Kinder haben HIV und Typhus, es gibt immer wieder Fälle von Cholera, weil das Grundwasser verunreinigt ist. Es gibt keine Toiletten in den Minengebieten. Die Leute gehen einfach in die Pampa, um sich zu erleichtern. Das geht ins Trinkwasser. Und nebenan steht auch noch eine Cyanid-Anlage“.
Aber nicht nur das ist schockierend. Auch die Tatsache, dass so viele Kinder, vor allem die Mädchen, sehr früh von den Schulen genommen werden, um beim Goldwaschen zu helfen. „Viele gehen auch in die Prostitution“, weiß Spille. „Wenn im Schacht Hochbetrieb ist, 20 bis 30 Leute unten, dann stehen um den Eingang zur Mine hundert Menschen, die Verkäufer und Prostituierten. Für Mädchen, die ihre Eltern verloren haben, viele durch Grubenunglücke oder HIV, bleibt oft nur die Prostitution. Das führt wieder zu HIV.“
Diese Zustände sind nur schwer auszuhalten, aber Jan Spille wird nicht müde davon zu erzählen: „Die Leute müssen sich den Kram auch anhören, um zu verstehen, warum ökologischer und sozialgerechter Goldbergbau so wichtig ist.“ Aber er weiß auch: „Nur, weil es Fairtrade ist, ist es nicht Hundertprozent gut.“ Zu verbessern gibt es immer etwas und bislang ist es häufig unmöglich, Gold aus Erzen ausschließlich mit ökologischen Methoden zu gewinnen: „Die ökologische Methode klappt nur, wenn die Goldkörner in den Erzen groß genug sind. Leider ist das meist nicht der Fall, so dass doch wieder Cyanid verwendet werden muss. Wir verarbeiten zum Beispiel ökologisch gewonnenes Fairmined Gold aus Erzen von einer Kooperative in der Mongolei. Daneben auch ökologisch gewonnenes Fair Trade Gold von Ecoandina, Argentinien, das in der Schwerkraftmethode aus Flüssen ausgewaschen wurde – ohne Quecksilber und Cyanid“.
Aber auch die konventionell produzierenden Fairtrade-Minen haben sich verpflichtet, Mindestpreise, strenge Sicherheitsbestimmungen und hohen Umweltauflagen einzuhalten. „Die zertifizierten Minen, die wir besuchten, waren alle Klasse“, so Spille. „Der Unterschied zu den nicht zertifizierten Minen ist gewaltig“.
Das vermitteln auch die Bilder, die er vor Ort aufgenommen hat: Den Menschen scheint es offensichtlich gut zu gehen. Alle Minenarbeiter tragen Helme und Schutzkleidung. Klar, dass Rohstoffe, die auf diese umsichtige und nachhaltige Weise gewonnen werden, auch merklich teurer sind, doch der Trend geht in die richtige Richtung.
„Wir haben da etwas angestoßen“, sagt Jan Spille zufrieden. „Während meiner Wanderschaft als Geselle habe ich keinen Goldschmied getroffen, der mit „sauberem‘ Gold gearbeitet hat. Mittlerweile sind bei Fairtrade Deutschland rund 50 Goldschmiede-Unternehmen eingetragen. Das ist doch immerhin ein Einfang“.
Jan Spille Schmuck Atelier
Weitere Infos unter www.janspille.deAbbildungsnachweis: © Alle Jan Spille
Header: Jan Spille (Mitte) mit SAMA-Minenarbeitern
Galerie:
01. Ungeschützt unter Tage. Ein afrikanischer Goldschürfer in einer konventionellen Goldmine.
02. SAMA-Kooperative-Mitarbeiter. Die erste zertifizierte afrikanische Goldmine
03. In Shirts und Shorts in den Goldabbau. Konventionelle Goldschürfer in Afrika
04. Jan Spille. Foto: Isabelle Hofmann
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