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In der Literatur entdeckte sie etwa Christa Wolf für sich, die mit der DDR-Schriftstellerin Brigitte Reimann befreundet war, als Gedeck in “Hunger auf Leben” (2004) die Rolle der Reimann übernahm: Reimann hat ein 800-seitiges Tagebuch über die DDR der 1950er bis 70er Jahre hinterlassen, mit dem sich Martina Gedeck intensiv beschäftigte, bevor sie sich in Hamburg mit dem Bruder von Brigitte Reimann traf. Ein ausgiebiges, tagesfüllendes Gespräch bei einem “Riesen Tablett mit Broten” in dessen Küche ergab jene wertvollen Rechercheergebnisse, die sie für die Vorbereitung ihrer Rollen so dringend benötigt, um die Poesie in der Figur zu entdecken und um die Figur in “verschiedenen Schichten anzulegen”, wie sie es ausdrückt. Die Literatur begleitet sie immer, nicht nur im Film über die aufschlussreiche Geschichte der Brigitte Reimann, den Gedeck u.a. für eine Portraitreihe des Emder Festivals mit vier Kino- und drei Fernsehproduktionen, die Gedeck in den weiblichen Hauptrollen zeigen, ausgewählt hat. Auch in Florian Henckel von Donnersmarcks oscargekrönten “Das Leben der anderen” (2005/06) fokussiert Gedeck das Poetische: In der Geschichte bespitzelt eine Frau, die Berufsschauspielerin ist, ihren Mann, doch nicht diese fiktive biographische Ebene inspiriert Gedeck für ihr Rollenverständnis. Sie sucht so lange nach einem “Bild von der Figur”, das sie aus der Poesie und Literatur - und nicht primär aus den Fakten - schöpft, bis die Figur der Gedeck “wie ein Schmetterling oder ein seltener Vogel” erscheint. Dann erst sieht sie ihre Aufgabe als erfüllt an.

Filmfest Emden-Norderney: Martina Gedeck erhält Emder Schauspielpreis 2011Offensichtlich hat sich Gedeck einer sehr gewissenhaften, tiefgründigen Auffassung schauspielerischer Interpretation verschrieben, und es ist eine Wohltat, ihren Ausführungen zu folgen. Hollywood? – Ja…, sie habe sich stark am amerikanischen Kino orientiert. Insbesondere die alten sentimentalen, romantischen Schwarz-Weiß-Filme hätten es ihr angetan. Ihre Idole? - Katharine Hepburn, Ingrid Bergman, Bette Davis… Gedecks Ansichten überzeugen, ihre Urteile wirken durchdacht und authentisch, nicht nur weil sie die USA aus schauspielerischer Sicht unweigerlich als eine innovative, lebendige, unterhaltsame Kultur wahrnimmt. Andererseits merkt sie kritisch an, dass es in den Staaten kaum einen Markt für nicht amerikanische, d.h. europäische Filme gäbe, und differenziert innerhalb Europas unterschiedliche Haltungen: In der Kinokultur Frankreichs, Spaniens und Italiens halte man primär nationale Filmgrößen hoch, während man sich in Deutschland stark an Hollywood messe. Nachdem Martina Gedeck, auf ihren feministischen Standpunkt innerhalb der Filmbranche hin befragt, anmerkt, dass Schauspielerinnen unverständlicherweise immer noch weniger als Männer verdienen und sie sich selbst – bei aller Liebe zu Hintergrundinformationen und Recherchefieber - nicht für die Regiearbeit eigne, da sie zu “unnachsichtig” sei und es sie wütend machen würde, wenn die Schauspieler “nicht gut lernen”, rundet sie ihre Selbstreflexion mit der Wahl einer weiblichen Lieblingsfigur ab: Als “echte Freundin” unter den von ihr dargestellten Figuren könnte sie sich im wahren Leben die “Bella Martha” (2002) am besten vorstellen. Die wurde von der Kritik mit den Wesensmerkmalen “obsessiv, perfektionistisch und menschenscheu” tituliert. So illustriert auch dieser Film eine Facette des breiten Gefühls- und Ausdrucksspektrums Gedecks, die als eine der führenden, international bekannten deutschen Charakterdarstellerinnen mit fraglos weiterem Entwicklungspotenzial gilt, und ist mit den sechs weiteren Filmen der Portraitserie Gedecks im Rahmenprogramm der Besonderen Ehrung von Martina Gedeck in Emden vertreten.

Fotonachweis: Filmfest Emden-Norderney. Martina Gedeck und Dorothee Wenner im Gespräch beim "Film-Tee" am 18. Juni 2011.
Fotos: Karlheinz Krämer

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