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Martina Gedeck - Filmfest Emden-Norderney

Die in Berlin wohnhafte Schauspielerin Martina Gedeck, geboren 1961 in München, ist anlässlich des diesjährugen Internationalen Filmfests Emden-Norderney mit dem erstmals vergebenen Emder Schauspielpreis 2011 für herausragende künstlerische Leistungen ausgezeichnet worden.
Im Rahmen der Verleihung äußerte sich Gedeck in einem als “Film-Tee” von Dorothee Wenner moderierten Gespräch ausführlich zu den persönlichen Ritualen ihres Schauspielerinnenlebens, zu ihrem Verhältnis zu Drehbüchern, zur Literatur und Bedeutung von Poesie in ihrem Leben, zu den Figuren, die sie in bisher über 60 Filmen verkörpert hat, zur deutschen Nachkriegsgeschichte bis hin zum Mauerfall und zur Arbeit der Regisseure, mit denen sie filmte, sowie zum amerikanischen Kino und schließlich über Geschlechterfragen in der Filmbranche.

Während die Sonne hinter Wolkentürmen durch hohe, holzumtäfelte Saalfenster in den “Rummel”, den Veranstaltungsraum im Emder Rathaus am Delft, auf das geladene Publikum fällt, das bei Ostfriesischem Tee und Rosinenbrot an kleinen runden Tischen Platz genommen hat, betont Gedeck, die vor ihrer Schauspielausbildung ein Geschichts- und Germanistikstudium begonnen hatte, die Bedeutung, die sie der Literatur im Alltag beimisst. Das Lesen bezeichnet sie als eine frühe Leidenschaft: “Einen Tag ohne Lesen oder ohne ein Buch kann ich mir gar nicht vorstellen”. Sie nähme überall hin mindestens ein Buch mit. Selbst wenn sie einkaufen gehe, habe sie “vorsichtshalber ein Buch dabei” - falls sie irgendwo warten müsse. Es sei für sie besonders schön, parallel zu den Stoffen, mit denen sie sich beschäftige, zu lesen oder Hintergründe zu erforschen: “Eigentlich bin ich eine Erforscherin. Ich forsche gerne, was es alles so gibt. Wenn man anfängt, entdeckt man immer mehr. Es gibt so viel, was man gar nicht weiß.”

In der ungekünstelt anmutigen, ruhig entspannten, selbstverständlich überlegten und doch so lebendig talentierten Tonart ihrer Antworten schwingt die ganze Neugier einer ausdrucksstarken Frau mit, die sich nicht nur ihres Forscherdrangs bewusst ist. Ihre Lust auf Leben und die Freude, die sie dabei beflügelt, immer wieder Neues und Verborgenes zu entdecken, durchdringen auch ihre physische Ausstrahlung und ihre Körpersprache, die ein figurbetontes, ärmelloses, khaki-grünes Cocktailkleid, kombiniert mit schwarzen Lackpumps, die am Ende ihrer adrett übereinander geschlagenen Beinen wippen, unterstreichen. Die sympathische Offenheit, Natürlichkeit und intellektuelle Souveränität, die ihren Auftritt prägen, übertragen sich vom Podium unmittelbar auf das Publikum.

Die Zeit des ersten Drehbuch-Lesens, so Gedeck, empfindet sie als sehr bereichernd. Zunächst freut sie sich über das Angebot, sucht ihre Rolle im Drehbuch, filtert sie mental heraus und ist daraufhin “mit dem Text einige Wochen unterwegs”, d.h. sie beginnt in dieser Phase, den Text “im Kopf zu bewegen”. Das Auswendiglernen integriert Gedeck in den Alltag, indem sie ihre Rolle während der häuslichen Routine laut vor sich hin spricht oder in ein Heftchen abschreibt, das sie immer mit sich führt. Nach zwei, drei Wochen entsteht so etwas wie eine Phantasie, die in ihr zu keimen beginnt. Sie sieht Szenen vor sich, entdeckt Dinge über die Person, die interessant sein könnten, und entwickelt eine Vorstellung, wie dieser Mensch sein könnte – “ein sehr kreatives Moment!”. Die Figur beginnt nun in ihr zu sprechen und sie imaginiert Bilder von dieser Person, die sie im Film spielen wird. Das sei nach der Freude über das Angebot die schönste Zeit.

Aus ihren Worten spricht die Hingabe an ihren Beruf. Man spürt förmlich, wie gerne sie ihn ausübt. Wenn sie drehe, führe sie ein fast klösterliches Leben: “Dann drehe ich oft vier bis sechs Wochen am Stück in München oder Frankfurt, stehe morgens gegen fünf Uhr auf und telefoniere abends täglich mit meinem Mann, wenn ich nach dem Dreh in ein - meist größeres, komfortables - Hotelzimmer zurückkehre, das in der Zeit dann mein Zuhause ist, in dem ich nachdenke, lese und telefoniere.” Nach der sogenannten Postproduction sei es oft ein Schock, den fertigen Film zum ersten Mal zu sehen. “Das ist eher schwierig für mich. Meistens bin ich entsetzt darüber, wie viel von mir weggeschnitten wurde”, weil sie den Film in einer anderen Erinnerung hatte und viele andere Momente darin ja noch nicht kannte. Nach zwei- bis dreimaliger Sichtung “ginge das dann auch”, generell aber scheut Gedeck davor zurück, sich ihre Filme in Nachhinein anzuschauen, weil sie sich inzwischen verändere und weil sie meist damit beschäftigt sei, bereits einen neuen Film vorzubereiten. In diesem Zustand der Vorbereitung sei man sehr viel unsicherer, als wenn man einen Film gerade abgeschlossen habe, und hege Zweifel. Im Übrigen besäße sie gar keine DVDs von ihren Filmen.

Tatsächlich findet sie es “gar nicht gut”, sich mit ihrem Äußeren so stark zu beschäftigen. Sie konzentriert sich lieber darauf, wie sie eine Figur von innen her wahrnimmt und diese als Mensch durchlebt. Für Gedeck gilt es, den Zustand der Selbstvergessenheit als Schauspieler auf der Bühne oder am Set zu praktizieren. Der Drehbuchtext, erklärt sie, sei im Grunde nicht materiell, sondern Fiktion: Was sie daran wesentlich fasziniere, seien die poetischen Aspekte, “der Geist des Textes”, mit dem sie korrespondiere. Was sie aufregend findet, ist die Begegnung und der Dialog mit dem Text. Ihre anschließenden eigenen Recherchen bereichern die Figur noch.

Hörbeispiel über die Arbeit zum Film "Baader-Meinhof-Komplex" (2008)


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