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Film Festival Cologne 2017: Einiges Bekanntes, einiges Brandneues

Das Film Festival Cologne bringt Berlinale-Erfolge wie „Call me by your name“ und gehypte TV-Serien wie „Babylon Berlin“ in Köln auf die Leinwand. Dass Starbesetzung aber nicht immer Erfolgsgarant ist, zeigt sich schnell – und über wahre Schätze stolpert man dann ganz unerwartet.

Kaum ein Monat im Jahr, in dem nicht irgendwo ein Filmfestival stattfindet, und doch scheinen sich im Herbst die Termine besonders zu stapeln: Nicht nur in Toronto, New York und London, Reykjavik, Haifa und Warschau, sondern auch in Zürich, Hamburg und Köln finden entsprechende Events statt; gleich einer La-Ola-Welle wandern dabei die Stars und Sternchen, die hochgehandelten Preisträger-Produktionen und Film-Geheimtipps um die Welt. Wir machen Zwischenstopp beim Film Festival Cologne, vormals als Cologne Conference, das sich mit der Namensänderung zwar offiziell stärker zum (Kino-)Film hingewandt hat, aber nach wie vor auch noch zeigen will, was in der TV-Landschaft gerade so angesagt ist: Was ist hier zu entdecken, wer kommt vorbei?

Zunächst einmal sind da natürlich Aushängeschilder wie Robert Pattinson, den meisten wohl bekannt als Teenie-Star aus Filmen wie „Twilight“ und „Harry Potter“, der nicht nur das Festivalplakat ziert, sondern auch persönlich vor Ort ist, um seinen neuen Film „Good Time“ (Regie: Josh & Benny Safdie) vorzustellen. In Cannes wurde der New-York-Thriller bereits ausgezeichnet, in den Reviews überwiegend gelobt. Und tatsächlich sieht man einen Robert Pattinson, der sich endlich von seinem Mädchenschwarm-Image löst, was nicht nur gelingt, weil er optisch kaum wiederzuerkennen ist. Deutlich abgemagert, blass, tiefe Augenringe, so schlüpft Pattinson in die Rolle des Kleinkriminellen Connie, der mit seinem geistig zurückgebliebenen Bruder Nick (gespielt von Benny Safdie selbst) eine Bank überfällt. Der Traum der Brüder: Eine eigene Farm, weitab von der überforderten Großmutter, die sie aufgezogen hat, und der Stadt mit wenig Chancen.

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Nur geht beim Bankraub alles schief; Nick wird verhaftet, und Connie setzt alles daran, seinen Bruder wieder frei zu bekommen. Eine atmosphärisch wahnsinnig dichte Geschichte, vor allem, weil sie die zunehmende Verzweiflung Connies angesichts einer immer auswegloser scheinenden Situation sowohl im atemlosen Tempo des stetigen Gejagt-Werdens zu erzählen vermag, bei dem zeitweilige Verbündete ebenso schnell wieder zu Feinden werden können, aber auch zutiefst rührende Szenen menschlicher Verbundenheit zeigt. „Good Time“ verzichtet dabei ganz auf Romantik-Kitsch, New-York-Glamour und Happy-End; er lebt ganz von der schauspielerischen Stärke seiner Charaktere. In die bittere Alltagsrealität der Protagonisten mischt der Film daher auch eine Spur Milieu-Studie und Systemkritik: die Ausweglosigkeit aus der Armut, die Brutalität des Gefängnisses, die Programme psychiatrischer Institutionen, die Nick betreuen. Mit dem elektronisch-psychedelischen Soundtrack von Oneohtrix Point Never erhält die Story noch eine drängendere, eindrücklichere Intensität – kein Wunder, dass „Good Time“ auch hierfür bereits ausgezeichnet worden ist.

Noch so ein prominenter Titel auf dem Film Festival Cologne ist „Call me by your name“ (Regie: Luca Guadagnino). Mein Sitznachbar im Kino erklärt, er habe gehört, das sei der beste Film auf der diesjährigen Berlinale gewesen; wenig später steht Programmleiter Johannes Hensen auf der Bühne und wiederholt: seit der Sundance-Premiere im Januar der „beste Film des Jahres“. „Call me by your name“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von André Aciman; er spielt im Jahre 1983 und erzählt von dem 17-jährigen Elios, der die sonnenglühenden Ferientage mit seinen Eltern in einer Villa Norditaliens verbringt und dort die Tage mit Lesen, Schwimmen, Klavier spielen und Langeweile vertrödelt. Erst als sein Vater, ein Professor, einen neuen Assistenten aus Amerika bekommt, scheint endlich Leben in die trägen Sommertage zu kommen, denn der charmante und gutaussehende Olivier fasziniert nicht nur die Mädchen des Ortes, sondern auch Elios. Einerseits findet er das allzu selbstbewusste Auftreten des jungen Manns arrogant, andererseits fesseln ihn sein Intellekt und seine Schönheit. Auf gemeinsamen Ausflügen kommen sich die beiden näher, bis Elios es wagt, seine Gefühle sich selbst und dem älteren Olivier einzugestehen. Es entspinnt sich eine zarte Liebesgeschichte zwischen den beiden, deren Intensität im Laufe des Sommers immer mehr zunimmt.

„Call me by your name“ ist ein wunderschön inszeniertes Filmdrama, das romantisch-verträumt daherkommt, aber seine Charaktere ernst nimmt, ihre Zerrissenheit zwischen einer verbotenen Liebe und wehmütiger Sehnsucht nacheinander. Timothée Chalamet (Elios) und Armie Hammer (Oliver) brillieren in ihren Rollen: das überraschende Coming-out des Jüngeren, der sich zaghaft an seinen ersten sexuellen Erfahrungen wagt, erst tollkühn, dann aber auch immer wieder zurückschreckend vor seinem eigenen Wagemut; und die Vorsicht des Älteren, der die Liebe erst zurückweist, um sie erst zögernd anzunehmen, und doch ebenfalls hadert mit der Verantwortung und den Konsequenzen, die damit verbunden sind. Schön auch, das homosexuelle Liebe endlich mal nicht ein nur als Problem dargestellt wird, das bewältigt werden muss. Kleine Wehmutstropfen des Films bleiben dann höchstens die allzeit überaus malerischen Landschaftsbilder mit Klaviergeplätscher, oder das vielleicht etwas zu perfekte Idyll der reichen jüdischen Intellektuellenfamilie, die sich in Villa und beim Pool schöngeistig auf mehreren Sprachen miteinander unterhalten und in doch recht prätentiös daherkommenden Dialogen über historisches Wissen und bedeutende Theoretiker austauschen. Selbstredend, dass in dieser Welt auch Elios Coming-out gänzlich konflikt- und reibungsfrei aufgenommen wird. Ob der Film damit das Label „bester Film des Jahres“ verdient, sei dahingestellt; zweifellos kann er aber mit seiner poetischen und einfühlsamen Darstellung überzeugen.

Daneben zeigt das Film Festival Cologne noch einen weiteren Berlinale-Insider-Tipp: „Casting“ (Regie: Nicolas Wackerbarth). Eine Komödie aus Deutschland, ojeh – kann das gut gehen? Es kann. Sogar sehr – denn der Film wirft einen herrlich bitterbösen Blick auf die eigene Branche und ist dabei unglaublich witzig, ohne ins Alberne zu verfallen. Auf gleich mehreren Erzählebenen entspinnt sich das Geschehen: Regisseurin Vera (Judith Engel) soll fürs Fernsehen ein Remake von Fassbinders Film „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ realisieren, findet aber einfach nicht die ihr vorschwebende Idealbesetzung. Wenige Tage sind es nur noch vor Drehstart, und dennoch kann sie sich nicht entscheiden; eine Schauspielerin nach der anderen muss (erneut) vorsprechen. Während ihr Team an Vera verzweifelt, freut sich der provisorisch eingestellte Anspielpartner Gerwin (Andreas Lust) über die Mehrarbeit – und hofft insgeheim, die Hauptrolle zu ergattern. Regisseur Wackerbarth erzählt also mittels Film vom Film im Film, und zeigt in seiner Backstage-Geschichte die sich entspinnenden Abhängigkeiten, Machtkämpfe, Techtel-Mechteleien und Intrigen auf, deren Dynamiken sich immer wieder aufs Neue verschieben. „Casting“ ist größtenteils durch Improvisation der Schauspieler entstanden, was noch mehr Spaß macht, dem Film zuzusehen; nie ist man ganz sicher, was als nächstes kommt. Der eigentlich als TV-Spielfilm konzipierte SWR-Produktion kommt nun wohl doch in die Kinos; ein herrlich kurzweiliges Vergnügen.

Nun aber zum Fernsehen, immerhin nach wie vor gleichberechtigter Schwerpunkt beim Film Festival Cologne. Oscarpreisträgerin Jane Campion („The Piano“) ist ebenfalls nach Köln angereist; sie erhält den Filmpreis Köln für die Miniserie „Top of the Lake: China Girl“, ein Sequel zum der bereits 2013 erschienenen, hochprämierten Vorgängerserie „Top of the Lake“. Die Geschichte setzt nun vier Jahre später ein, erneut macht sich Polizistin Robin Griffin (gespielt von Elisabeth Moss, auch bekannt aus „Mad Men“) an die Lösung eines brutalen Kriminalfalls: Während sie zuvor das Verschwinden eines 12-jährigen schwangeren Mädchens in Neuseeland aufklären musste, sucht sie nun in Sydney nach der Identität einer toten Asiatin, die in einem vom Meer angespülten Koffer gefunden wurde.

Das Festival zeigt uns nach der ersten auch die neue Staffel „China Girl“ komplett, alle sechs Folgen à 60 Minuten; ein Marathon also von 18 Uhr bis Mitternacht. Auch hier sind die Erwartungen hoch: Nicht nur, dass „Top of the Lake“ bereits die Messlatte in Sachen spannungsgeladene Mystery-Crime-Serie sehr weit oben angesetzt hat; Hauptdarstellerin Elisabeth Moss bekommt nun auch prominente Unterstützung von Nicole Kidman und Gwendoline Christie („Game of Thrones“). Da schmerzt es umso mehr, dass „Top of the Lake: China Girl“ im Vergleich so überhaupt gar nicht zündet: Da gibt es einen unglaublich zurechtgebogenen Plot, der verzweifelt alle Handlungsstränge verbinden will; fassungslos machende unbeholfen-holzige Dialoge; ein beinahe banal erscheinender leibliche-Mutter-Ziehmutter-Konflikt; und ein brutaler Kriminalfall inmitten von Zwangsprostitution mit illegalem Leihmütter-Ring, dessen Auflösung dann so unglaublich scheint, dass er den Zuschauer nicht mehr wirklich einholen kann. Über lange Strecken lässt einen das Schicksal der leidgeprüften Figuren seltsam unberührt, und daher verpufft auch jegliche Spannung im Nichts. Das ist angesichts hochrelevanter Themen, die die weiblichen Charaktere betreffen (Alltagssexismus, der unerfüllte Wunsch nach Mutterschaft, Vergewaltigung, die Sexindustrie) nicht nur schade, sondern fast schon ärgerlich.

Einziger Trost bleibt hier, dass man Elisabeth Moss beim Film Festival Cologne auch noch in der wirklich großartigen US-Serie „The Handmaid’s Tale“ sehen kann: Darin spielt sie eine der Magd, die in einer dystopischen Welt in naher Zukunft lebt, nur wenige Frauen – die „Mägde“ genannt werden – können noch Kinder kriegen, müssen diese jedoch aber mit Vertretern des totalitären Staats zeugen und diesen übergeben. Spannend, schaurig, eindrücklich, beklemmend, und doch mit Themen wie Terror, globaler Krise, Umweltverschmutzung und Unterdrückung der Frau nah an unserer Gegenwart. So toll geht Fernsehen dann auch.

Kein Filmfest-Bericht kommt ganz ohne Anekdoten aus. Für den Abend ist Sean Bean („Lord of the Rings“, „Game of Thrones“) angekündigt, der seine Fernsehserie „Broken“ beim Film Festival Cologne präsentiert; der rote Teppich liegt bereit, zahlreiche Fans drängen sich mit ihren Handykameras an die Absperrungen. Als der Schauspieler dann aus seiner Limousine steigt, geht das Blitzlichtgewitter los, in der Menge hört man jedoch vereinzelt ein verstohlenes Zischeln: „Wer ist das denn?“ Offenbar, so wird uns später erst im Austausch mit anderen Besuchern klar, sind diese wartenden Fans doch nicht alle für Sean Bean hier, sondern für die Band Tokio Hotel. Ja, Tokio Hotel, die vier Jungs aus Magdeburg, die anno 2005 mit ihrem Hit „Durch den Monsun“ weltbekannt geworden sind. Nun sind sie zur Premiere des Dokumentarfilms über ihr Leben, „Hinter die Welt“, eingeladen, und können sich augenscheinlich trotz mehrjähriger Schaffenspause auf die Treue ihrer Anhänger verlassen. Tatsächlich wird das Gekreische der Fans um einige Dezibel lauter, als Tom und Bill Kaulitz vor dem Filmpalast vorfahren, das hört man dann selbst drinnen noch.

Wir entscheiden uns trotzdem für Sean Beans „Broken“, der in dem TV-Sozialdrama einen katholischen Priester in einem kleinen Dorf in Nordengland spielt. Er selbst ist von Vorfällen in seiner Kindheit traumatisiert, hat sich jedoch fürs Priesteramt entschieden, um so den Menschen besser helfen zu können, und kämpft so gegen Armut, Ungerechtigkeit und Hoffnungslosigkeit des Alltags. Das klingt erstmal nach altbekannten Motiven: Priester, selbst zerrüttet, hadert mit seiner Zugehörigkeit zur katholischen Kirche, macht sich aber für die Hilflosen stark. Trotzdem ist die Fernsehserie, von der wir nur zwei Episoden zu sehen bekommen, vielversprechend: Wir sehen die täglichen Kämpfe der Protagonisten, die dreifache Mutter, die ihren Job verliert; die Spielsüchtige, die sich umbringen will; der geistig beeinträchtigte Junge, der aus Kostengründen nicht mehr in seinem Pflegeprogramm bleiben darf. Dabei scheint der Kampf beinah gänzlich aussichtslos; radikal ehrlich wird hier von den fatalen Zuständen des Alltags berichtet. Für die bei ihm Hilfesuchenden ist Pfarrer Michael Kerrigan mal Trostspender, mal Seelsorger, mal Sozialarbeiter; und dennoch blicken wir hinter die Fassade und sehen seine Zerbrechlichkeit. Hier wird spannend, wie das BBC-Drama weitererzählt wird: Bleibt es bei der episodenhaften Konfliktbewältigung, oder kann sich die Dramaturgie auch über den gesamten Handlungsbogen der Serie halten? Wir sind gespannt.

Film Festival Cologne 2017
Weitere Informationen
Vimeo-Video
Trailer 2017


Abbildungsnachweis: Alle Fotos (c) Film Festival Cologne
Header: Filmstill „Good Time“ (Regie: Josh & Benny Safdie)
Galerie:
01. Filmpreisträgerin 2017 Jane Campion. Foto: Sally Bongers
02. Still: „Top of the Lake: China Girl“
03. Still: „The Handmaid’s Tale“
04.
Still: „Tokio Hotel - Hinter die Welt"
05.
Still: „Broken“
06. Still: "Casting"
07. Still: "Call me by your name"
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