Ob sie als nächste „Jahrhundertausstellung“ in die Annalen der Hamburger Kunsthalle eingehen wird, muss die Geschichte weisen.
In jedem Fall ist die Jubiläumsschau mit dem vielsagenden Titel „Kunst für eine neue Zeit“ zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich (1774 Greifswald – 1840 Dresden) in der Galerie der Gegenwart an Aufwand, Umfang und Vielseitigkeit kaum zu toppen.
Kunstliebhaber kennen diese Gemälde alle: „Das Eismeer“ (1823/24), „Die Kreidefelsen auf Rügen“ (1818), den „Watzmann“ (1824/25), den „Mönch am Meer“ (1808/10) und natürlich den „Wanderer über dem Nebelmeer“ (um 1817), von Kultursenator Carsten Brosda als „Hamburger Mona Lisa“ gerühmt. Gemälde, die zum Inbegriff der deutschen Romantik wurden und die nun in Hamburg in einer spektakulären Doppelschau den Auftakt zum bundesweiten Jubiläumsfest von Caspar David Friedrich (1774-1840) bilden.
Doppelschau deshalb, da nicht nur Friedrichs Oeuvre mit rund 60, zum Teil ikonischen Gemälden und über 100 Zeichnungen aus aller Welt ausgebreitet wird. Im zweiten Obergeschoss rezipieren Arbeiten von 21 zeitgenössischen Künstler*innen Friedrichs Werke. So kritisiert und paraphrasiert der US-Künstler Kehinde Wiley den westlichen, weiß geprägten Kunstkanon mit einer fulminanten Video-Installation, sowie einem überdimensionierten schwarzen „Wanderer“, der die Besucher im ehrwürdigen Makart-Saal auf die Schau in der Galerie der Gegenwart aufmerksam macht. Swaantje Günzel fotografiert sich, umringt von Plastikmüll vor dem „Eismeer“, Jonas Fischers poetische Wolkenbilder stammen von höchst klimaschädlichen Verbrennungsanlagen für fossile Brennstoffe, und Olafur Eliasson hat aus dem „Eismeer“ einen hinreißenden Farbkreis destilliert. Alles fantastische Arbeiten, die Bezug nehmen auf einen Künstler, der nicht nur stimmungs- und empfindungsgeschwängerte Landschaften malte, sondern sich immer auch – und das ist der neue Tenor zum 250. Geburtstag! – intensiv mit dem Verhältnis von Mensch und Natur auseinandergesetzt haben soll.
Als Inbegriff des einsamen, tiefreligiösen Visionärs und Patrioten, der Gottes Werk in stiller Andacht vereint, hatte die Kunsthalle den jahrzehntelang vergessenen, erst 1906 wiederentdeckten Caspar David Friedrich 1974 in Hamburg vorgestellt. 2006 legte der damalige Direktor Hubertus Gassner in seiner opulenten Friedrichschau den Fokus auf die Tatsache, dass Friedrich ja keineswegs real existierende Naturstücke gemalt hat, sondern sie aus vielen verschiedenen Naturstudien, im Harz, der Sächsischen Schweiz oder dem Riesengebirge – zu eindringlichen „Seelen- und Ideallandschaften“ konstruierte und überhöhte.
Und nun, eine Kunsthistorikergeneration weiter, erheben Kurator Markus Bertsch und Friedrich-Experte Johannes Grave als Co-Kurator das Naturverständnis Friedrichs zur Leitfrage der Ausstellung. Betonen, dass der gebürtige Greifswalder, der ab 1798 in Dresden lebte, nach aktuellem Stand der Forschung eben nicht nur der melancholische Geist gewesen sein soll, der mit Licht, Farbe, Wolken, Nebelmeeren und dräuender Düsternis „in der Seele die Erinnerung an etwas Bekanntes“ (Friedrich) erwecken wollte. Grave ist überzeugt, dass es dem Maler in seinem Schaffen immer auch um das Verhältnis Mensch und Natur ging. Um polarisierende Fragestellungen nach Einklang und Entfremdung, Vernunft und Urgewalt, Überlegenheit und Unterordnung. Als Indiz zieht er die prägnanten Rückenfiguren heran, die einsamen, naturbetrachtenden Menschen, die ja immer auch Standpunkte einnehmen – als Teil eines übergeordneten Ganzen. „Wenn Friedrichs Oeuvre… auch zu einem Nachdenken über das Verhältnis von Mensch und Natur anregt, könnte es in der gegenwärtigen Situation von bemerkenswerter Aktualität sein“, schreibt Grave in dem sehr empfehlenswerten Katalog.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
„Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“
Zu sehen bis zum 1. April 2024, in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall 5, in Hamburg
Geöffnet: Di-So 10-18 Uhr, Do bis 21 Uhr
Weitere Informationen (Kunsthalle)
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