200 Künstler*innen aus über 40 Ländern sind mit über 1.000 Werken auf der diesjährigen NordArt im Kunstwerk Carlshütte vertreten.
Zum 24. Mal begegnen sich hier Kunstwerke aus aller Welt, die sich zu einer gemeinsamen Erzählung verknüpfen. Dieser Gedanke steckt hinter der Non-Profit-Kulturinitiative der AOC Gruppe in enger Zusammenarbeit mit den Städten Büdelsdorf und Rendsburg. Ziel ist es, den Besuchern einen besonderen Blick auf die Kunst zu bieten, Werte zu bewahren, eine bessere Welt zu schaffen, miteinander ins Gespräch zu kommen.
„Kunst“, sagt der Chefkurator der NordArt, Wolfgang Gramm, „sucht Antworten auf alles, was den Menschen bewegt und berührt, und der Mensch kann Antworten in der Kunst finden.“ Bis 8. Oktober läuft die internationale Ausstellung auf dem Gelände der historischen Eisengießerei Carlshütte in Büdelsdorf/Schleswig-Holstein. Gastgeber und Hauptsponsor im Kunstwerk Carlshütte sind das Ehepaar Hans-Julius und Johanna Ahlmann.
Mit einer Ausstellungsfläche von 22.000 Quadratmetern in den ehemaligen Gießereihallen und dem 80.000 Quadratmetern große Skulpturenpark gehört die NordArt zu einer der größten ihrer Art in Sachen zeitgenössische Kunst in Europa. Jedes Jahr bewerben sich rund 3000 Künstler*innen aus der ganzen Welt um die Teilnahme an dieser Ausstellung. Kein leichtes Spiel also für die Kurator*innen Wolfgang Gramm und Inga Aru, die richtige Auswahl zu treffen. Ist dies gelungen? Eine Frage, die schwer zu beantworten ist, zumal jede(r) Besucher(in) eine andere Sicht- und Herangehensweise haben wird. Wer die NordArt alljährlich besucht, hat es sicher leichter, einen Eindruck zu gewinnen, zu verfestigen oder/und zu „renovieren“. Bilder, Skulpturen, Fotografien, Installationen fordern unseren Blick heraus. Sie konkurrieren miteinander, werben jeweils für sich und ziehen unsere Aufmerksamkeit an. Mal mehr, mal weniger stark – natürlich.
Wie schon seit 10 Jahren ist China wieder stark vertreten, diesmal mit Arbeiten von 21 Künstler*innen. Wie alte Bekannte begrüßen uns Pinocchio und die 16 Affen von Liu Ruowang, Träger des NordArt Preises 2022, im Skulpturenpark. Seit 2016 haben viele Hauptwerke von Liu Ruowang hier ihr zu Hause gefunden. In einer der Ausstellungshallen macht die Installation „Dress Up“ (Xiang Ying) auf sich aufmerksam. Eine fliegende Frau, die – allerdings kopflos – schwebt, von der nur die schlanken Beine und die hübsche Körperhülle zu sehen sind. Eine liebenswerte Leichtigkeit, ein Blendwerk - ganz im Sinne der Künstlerin. Denn: Solange ein solches Blendwerk sein dankbares Publikum findet, besteht sie weiter, die Eitelkeit. „Eitelkeit treibt Blüten, aber keine Früchte“, sagt Xiang Ying zu ihrer Installation. Verstörend hingegen wirken die riesigen männlichen Figuren, deren „Blick in den Himmel“ (Yue Minjun) geht. Sie sind nackt, haben muskulöse Körper und ihre grinsenden Gesichter. Ihr Lachen verzerrt die muskulösen Körper, es wirkt gequält. Die Männer erscheinen stark und lächerlich zugleich. Das soll so sein: Diese Ambivalenz steht für politische und soziale Metaphern.
Carlshütte, Halle III: YUE Minjun (China) View into the Sky No 1-2. Foto: Jörg Wohlfromm
Länderschwerpunkt der NordArt 2023 ist die Türkei. Werke von 17 Künstler*innen hat Kemal Tufan hierfür ausgewählt. Darunter die beeindruckende Installation „Correlate“ (Mahmut Aydin), die zwischen dunklen Wänden aus Beton im Halbdunkeln männliche nackte weiße Körper zeigt. An dünnen Fäden hängen verkohlte, verbrannte Hölzer; sie umhängen und verhüllen den Unterleib der Figuren. Ist es Scham, die hier dargestellt wird und die auch uns ergreifen soll? Dieser Eindruck wird verstärkt durch den gesenkten Blick der Figuren. Eher geteilter Meinung werden die Betrachter der Skulptur „Schlafwandler“ (Kadriye Inal) sein. Soll uns dieses mit roter Kappe versehene, unschuldig wirkende Mädchen an Rotkäppchen erinnern? Ein bisschen vielleicht: Denn diese Figur steht für junge Menschen am Rande der Gesellschaft, deren Träume gestohlen werden, verrät der Katalog. Eine erheiternde Installation ist auf den ersten Blick „Fragile“ (Ayala Turan). Eine Sehweise, die berechtigt ist, beweist ein Blick auf den Ansatz der Künstlerin. Hinzu kommt das Dynamische, das ebenfalls zu entdecken ist: Die Aufmerksamkeit des Betrachters soll durch genaues Hinsehen auf Details und gesellschaftliche Motive gelenkt werden, die Ayala Turans Motive umgeben. Das gelingt hervorragend, ohne belehrend zu wirken.
Türkiye Pavilion: Kemal Tufan – Hammer-Head Sharks. Foto: Jörg Wohlfromm
Special Project der NordArt 2023 ist der Bereich „Antike Games“, kuratiert von Jan Wiktor Sienkiewicz. Hier werden Arbeiten des polnischen Künstlers Michal Jakowski, einer der drei Publikumspreisträger 2022 (weitere: Dejo Denzer, Deutschland/Wu Guoyong, China) in einem besonderen Pavillon gezeigt. Er ist in einer Enfilade aus drei Räumen nach dem Vorbild eines griechischen Tempels angelegt. Die Skulpturen Jakowskis spielen mit den Grenzen der Postmoderne, bieten antike Figuren und Anleihen aus der Popkultur. Inspiriert wurde das Konzept durch Michelangelos Gruppe von sechs Sklaven, die in der Galleria dell‘ Accademia in Florenz ausgestellt sind, insbesondere durch die beiden Skulpturen „Sterbender Sklave“ und „Gefesselter Sklave“. Dass mit diesen Arbeiten Fragen nach universellen Prinzipien und Werten aufgeworfen werden, sie einem Moralstück ähneln, eingebettet in eine künstlerische Form, ist schön, erschließt sich aber nicht auf den ersten Blick. Hier wird Wissen vorausgesetzt. Warum auch nicht. Schließlich gibt es den Katalog, der zum Hineinschauen und –blättern ausliegt und der im NordArt-Shop zu erwerben ist.
Carlshütte, Halle VI: Michał Jackowski (Poland) ANTIQUE GAMES – Special Project. Foto: Jörg Wohlfromm
Sehr eindrucksvoll auch die Fotoarbeiten von Lilya Corneli (Armenien/Deutschland/Niederlande). Sie haben ebenfalls einen eigenen Bereich und einen eigenen Titel. „To Be A Muse“ will die Aufmerksamkeit weg von den Künstler:innen hin zu den Musen lenken, über die wir oft gar nichts oder nur wenig wissen. Cornelis Bilder sind keine exakten Nachbildungen der ursprünglichen Gemälde, sondern inszenierte eigenständige Kunstwerke. Ihre Models sind keine Models, sondern Menschen wie du und ich. Kleidung und Accessoires für das Bild stammen nicht aus dem Theaterfundus, sondern werden jeweils gesucht und gefunden. Historisches Beiwerk wird durch modernes ersetzt. Mit ihren Arbeiten will die zurzeit in den Niederlanden lebende Künstlerin uns Betrachter davon überzeugen, jede(r) von uns hat die Begabung, andere zu inspirieren, selbst Muse zu sein. (Foto: Marion Hinz)
Unbedingt erwähnt werden müssen an dieser Stelle die Arbeiten von Rolf Ohst (Deutschland). Er behandelt hier das Thema Gier, ein Hauptthema des Künstlers. Eigentlich möchte man sich sofort angeekelt abwenden - und dann doch wieder nicht. Vor diesem spontanen ersten Impuls sollte man sich hüten. So gut gemacht sind diese Gemälde, so thematisch wichtig. Zu sehen sind adipöse Frauen, eine Allegorie für niedere Triebe und (Ge)Lüste. Körperfett dient hier als Symbol für grenzenlose Einverleibung von immer mehr Macht, Geld, Rohstoffe, Aufmerksamkeit etc. Im Flügelaltarbild „Earth“ ist dies besonders erschütternd dargestellt. Dass Rolf Ohst auch anders kann, zeigt er beispielsweise mit seinem Stillleben „Wedding“, das ebenfalls bei der NordArt 2023 zu sehen ist. Erwähnt werden sollen hier noch andere, eher stille und augenscheinlich weniger aufregende Werke, die es in sich haben. Beispielsweise das Ölgemälde „Warten auf den Clown“ (Horst-Hagen Rath, Deutschland), die großformatigen Unterwasserfotografien „Venus“, „Date with Neptun“ und „SOS – Save our Souls“ (Gaby Fey, Deutschland), die Gemälde „Langeron“ aus der Serie „Ideal World“ (Svitlana Galdetska, Ukraine) und „Am Fenster“ (Paulis Postacs, Lettland). Hier zieht ein junges Mädchen einfach den Vorhang zu.
Belassen wir es hierbei, ziehen auch wir den Vorhang zu und fügen nur rasch noch das Fazit hinzu: Ein Besuch der NordArt 2023 erweitert den Horizont. Es lohnt sich also.
NordArt 2023
Zu sehen bis 8. Oktober 2023 in der Kunstwerk Carlshütte, Vorwerksallee
24782 Büdelsdorf
Öffnungszeiten: Di – So 11–19 Uhr
Weitere Informationen (NordArt)
Künstler*innen: https://www.nordart.de/die-kuenstler
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