Bildende Kunst
Mechanismen der Gewalt – Regina José Galindo und Arcangelo Sassolino

Es ist eine Ausstellung die unter die Haut geht, insbesondere die Werke der aus Guatemala stammenden Künstlerin Regina José Galindo. Ihr Kollege, der Italiener Arcangelo Sassolino, zeigt in den sachlichen Räumen des Frankfurter Kunstvereins eine Auswahl seiner Arbeiten, die ihren gegenüber abstrakter wirken, aber nicht minder ihre Wirkung entwickeln.

In der Ausstellung geht es um Macht, Gewalt, Kraft und gesellschaftliche Fragilität, um Grenzerfahrungen und Belastung, dicht an der Zerstörung und um ein Gefühl des Ausgeliefert-Seins und der Angst.

Regina José Galindo, Jahrgang 1974, stammt aus einem Land, indem von 1960 bis 1996 Bürgerkrieg herrschte. Wie in vielen anderen Ländern Mittel- und Südamerikas fielen dem Jahrzehnte-langen Konflikt Hunderttausende zum Opfer – auf Seiten der linke Guerilla genauso wie auf Seiten der Regierung – aber vor allem die Zivilbevölkerung hatte zu leiden. Viele Familien verließen das Land, auch nach 1996, weil selbst nach dem Friedensabkommen die Unruhen immer wieder aufflammten. Menschen verschwanden spurlos, Massaker und Folterungen wurden verübt – die Geschichte wiederholt sich in ihren Gewaltexzessen. Als der sich 1982 an die Macht geputschte guatemaltekische Diktator Efrain Rios Montt, der für viele Massaker, besonders an der indigenen Bevölkerung verantwortlich war, sich 2003 auf das Präsidentenamt bewarb, reagierte Galindo mit einer Performance, die als filmische und fotografische Dokumentation im Kunstverein zu sehen ist. „¿Quién puede borrar las huellas?“ (2003), zu deutsch „Wer kann die Fußspuren verwischen?“ ist eine Performance und gleichzeitig Erinnerung an die Opfer. Die Künstlerin tränkt ihre bloßen Füße immer wieder in einer Emaille-Schale, die mit menschlichem Blut gefüllt ist und marschiert in einem schwarzen Kleid zwischen Verfassungsgericht und Nationalpalast in Guatemala Stadt und hinterlässt so ihre blutigen Spuren. Montt wurde übrigens später im eigenen Land wegen Genozid-Verbrechen angeklagt und verurteilt.

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„Feminizid“ ist ein weiterer Begriff, der in der Ausstellung zentrale Bedeutung bekommt, um die Gewalt an Frauen benennen zu können, und die Werke „No perdemos nada con nacer“ (2000, dt. Wir verlieren nichts dabei, geboren zu werden), „Piel“ (2003, dt. Haut), „Perra“ (2007, dt. Hure) nehmen sich dem Thema an. Galindo ist es wichtig, ihre Werke allgemeingültig zu machen, nicht auf spezifisch guatemaltekische oder gar persönlich-private Befindlichkeiten zu reduzieren – das gelingt ihr gut. In „Piel“ geht sie nackt und aller Körperhaare beraubt durch Venedig, anlässlich der 49. Biennale. Geschoren zu werden ist ein Mittel der Unterdrückung und Demütigung und gilt als Markierung für jene, die sich mit Feinden eingelassen haben: Verräterinnen und Huren.

Frei nach dem Motto des deutschen Künstlers Franz Erhalt Walther definiert sich Regina José Galindo neben den gesellschaftskritischen Aspekten künstlerisch als „Ich bin die Skulptur“. Der entblößte Körper ist schutzlos all dem ausgeliefert, was um ihn herum geschieht, die Blicke der Passanten sind da noch eher harmlos. „Marzorca“ (2014, dt. Mais) ist so eine Arbeit. Da steht die Künstlerin nackt mitten in einem Maisfeld und die Feldarbeiter beginnen mit Sensen und Macheten die hohen Pflanzen abzuschalgen. Sie bleibt bewegungslos stehen, auch dann, als die Erntehelfer immer näher kommen und die Gefahr besteht, sie wird von einer scharfen Klinge getroffen oder gar selbst gemäht. Oder bei „Tierra“ (2013, dt. Erde). Bei dieser Performance steht die Künstlerin erneut nackt auf einer Wiese. Ein großer Industriebagger gräbt sich um sie herum, tief ins Erdreich, und zum Abschluss des Werks steht sie wie aus der Welt heraus gehoben auf einer Insel, einem Grassockel, einsam in der Landschaft – aber dennoch überwindet sie hier und bei den vorher genannten Arbeiten die Angst mit ihrer Gradlinigkeit, würdevoll und trotzig zugleich.

Galindos Performances sind mit jenen von Marina Abramovic und Ulrike Rosenbach verwandt aber auch mit der Intension und der Kraft der Werke der mexikanischen Künstlerin Teresa Margolles, bei der es ebenso um Erfahrungen mit Macht und Gewalt geht.

Der aus Vicenza stammende und 1967 geborene italienische Bildhauer Arcangelo Sassalino thematisiert in seinen Werken die Belastungsgrenzen von Material und Mensch. Zwischen absoluter Stille und Bewegungslosigkeit scheinen die extrem schweren mechanischen Skulpturen ihren eigenen Ruhepol gefunden zu haben, aber schon wenige Augenblicke später ändert sich deren Aggregatszustand und Holz wird in einer großen hängenden Arbeit durch enorme Spannung zum Knarren gebracht: „Purgatory“ (2016. dt. Fegefeuer), Flaschen werden mit einen gellenden Knall und 900 km/h auf eine Stahltafel geschossen, die dort in kleinste Einzelteile zerplatzen: „Afasia 1“, (2008) und die unbetitelte schwarze Kralle eines Baggers bewegt ihre sechs ankerartigen Glieder unter metallischem Lärm und furchen den Schieferplattenboden des Kunstvereins auf. Die tiefen Verletzungen sind im Boden sichtbar, es vibriert und die Geräusche sind im ganzen Gebäude hörbar. Erschrecken ist gewollt, die Grenzerfahrung ebenfalls. Die Objekte sind präzise, mechanisch nachvollziehbar, maschinenartig zwischen ein- und abgeschaltet wie „Schläfer“, die jederzeit und schlagartig unkalkulierbares vollbringen. Irgendetwas zwischen Zerstörung und Verstörung.

Auch Sassalinos Werke sind von Gewalt und ungeheurer Kraft geprägt, aber keine die menschlicher Natur wäre, sondern wildgewordene Maschine oder Avatar sein können, außer Kontrolle geraten und die Potenz in sich tragen, Unheil anzurichten, wie bei „Afrasia 2“ (2008). Der metallene ästhetische Körper beinhaltet 250 Bar komprimierten Stickstoff, der jederzeit explodieren könnte und damit eine gewaltige Energie freisetzen würde. „Lass uns schnell daran vorbeigehen“, höre ich ein Ehepaar sagen, denen die Arbeit im Eingangsbereich nicht geheuer ist.

Beruhigend an der Präsentation der vier Werke des Künstlers ist die menschliche Bedienungsfähigkeit von Maschinen nun nicht gerade. Vielmehr üben sie in ihrem solitären Zustand eine permanente abstrakte Bedrohung aus.

Soweit weg die formalen und visuellen Erscheinungen auch sein mögen, beide Künstler verbindet, dass sämtlich gezeigte Arbeiten eine eindringliche Kraft haben und den Mechanismen der Gewalt mit einer menschlichen und kulturellen Würde begegnet wird, die Gewalt, in welcher Form sie auch erscheint, jederzeit entblößen kann. Die Werke berühren jeden Besucher des Kunstvereins und auch noch nach dem Besuch der Räume im Steinernen Haus begleiten sie gedanklich weiter.

Die Ausstellung „Mechanismen der Gewalt“, Regina José Galindo / Arcangelo Sassolino ist noch bis zum 17. April im Frankfurter Kunstverein zu sehen, Steinernes Haus am Römerberg, Markt 44 in 60311 Frankfurt/M.
Kuratorführung mit Franziska Nori (Direktorin und Kuratorin) am Do. 7. April 2016, 19h
Öffnungszeiten: Di-Fr 11-19h, Do bis 21h, Sa und So 10-19h
Eintritt: 8 € erm. 6 €
www.fkv.de

YouTube-Video:
Mechanismen der Gewalt. Regina José Galindo / Arcangelo Sassolino (ca. 6 Min.)


Abbildungsnachweis: © Frankfurter Kunstverein
Header: Regina José Galindo; „Tierra“, 2013, Fotografie , 90x135cm. © Foto: Bertrand Huet Courtesy the artist and prometeogallery di Ida Pisani, Milan / Lucca
Galerie:
01. Ausstellungansicht Frankfurter Kunstverein 2016 mit den Arbeiten von Regina José Galindo „Tierra“, 2013 (vorne) und „Caparazon“, 2010 (hinten). Foto: Norbert Miguletz
02. „Quien puede borrar las huellas“, 2003, Fotografie, 110x150cm. © Foto: Victor Pérez. Courtesy the artist and prometeogallery di Ida Pisani, Milan / Lucca
03. „Nadie atraviesa la región sin ensuciarse“, 2015. Foto: Eddie Arroyo. © the artist. Courtesy the artist and prometeogallery di Ida Pisani, Milan / Lucca
04. Ausstellungansicht / installation view Frankfurter Kunstverein 2016. Foto: Norbert Miguletz. © Frankfurter Kunstverein
05. „Raíces“, 2015, Fotografie. © the artist. Courtesy the artist and prometeogallery di Ida Pisani, Milan / Lucca
06. Arcangelo Sassolino; „Purgatory“, 2016 . Ausstellungsansicht Frankfurter Kunstverein 2016
Ölkolben, Stahl, Holz, Hydraulik, 360x400x35 cm. Foto: Norbert Miguletz. © Frankfurter Kunstverein. Courtesy Galleria Continua and Galerie Rolando Anselmi
07. „Afasia 1“, 2008. Ausstellungsansicht Frankfurter Kunstverein 2016. Stahl, Glas, Stickstoff, Druckluftanlage, PLC Computer, 300x500x2200 cm. Foto: Norbert Miguletz. © Frankfurter Kunstverein. Courtesy Galleria Continua and Galerie Rolando Anselmi
08. „Untitled“, 2006-7. Ausstellungsansicht Frankfurter Kunstverein 2015. Stahl und Hydraulikpumpe, Geschlossen: 95x100x100cm; Offen: 60x195x195 cm. Foto: Norbert Miguletz. © Frankfurter Kunstverein Courtesy Galleria Continua and Galerie Rolando Anselmi
09. „Afasia 2“, 2008. Ausstellungsansicht Frankfurter Kunstverein 2016. Stahl, Stickstoff 250 Bar, 53x70x70 cm. Foto: Norbert Miguletz. © Frankfurter Kunstverein
10. Portrait Arcangelo Sassolino. Foto und ©: Pamela Randon.
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