Bildende Kunst
Impressionismus – Expressionismus. Kunstwende

Die Alte Nationalgalerie auf der Museumsinsel in Berlin präsentiert mit „Impressionismus – Expressionismus. Kunstwende" eine spektakuläre Ausstellung, welche sich den Gemeinsamkeiten und Unterschieden beider Stilrichtungen widmet.
Impressionistische Meisterwerke, darunter Arbeiten von Claude Monet, Edgar Degas oder Pierre-Auguste Renoir und Max Liebermann korrespondieren mit Malereien der Expressionisten, wie Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein oder Franz Marc. Aber, gibt es überhaupt Parallelen zwischen diesen so konträr erscheinenden künstlerischen Positionen? Gibt es gar eine Kunstwende, wie es der Untertitel der Ausstellung andeutet?

Die Ausstellung im Mittelgeschoss der Alten Nationalgalerie präsentiert rund 170 impressionistische und expressionistische Werke aus eigenen Beständen sowie Leihgaben internationaler Museen. In Berlin stehen sich erstmals diese Highlights der Moderne gegenüber und ermöglichen somit dem Betrachter einen direkten Vergleich zwischen Impressionismus und Expressionismus. In den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts revolutioniert der von Paris ausgehende Impressionismus mit den zarten Farbtönen, den getupften und bewegten Pinselstrichen die damalige Kunstwelt. Ein Novum ist, dass es die Maler mit ihren Staffeleien in die Natur zieht. Sie malen „plein air" unter freiem Himmel und „sur le motiv" vor dem Motiv. Die flüchtig anmutenden Bilder fangen die Atmosphäre des Augenblicks ein, die flirrenden Impressionen von Farben, Licht und Schatten. Im Kontrast dazu steht der Expressionismus, eine sich um 1905 in Berlin formierende neue Stilrichtung der Kunst. Die Wiedergabe der Sujets ist nicht mehr naturgetreu. Die Formen sind vereinfacht, meist kräftig konturiert. Die oftmals kontrastierenden, knalligen Farben sind stark verfremdet, Bäume erscheinen in Rot, Häuser in Grün, Pferde und Kühe in Gelb, Grün oder Blau. Anders als bei der impressionistischen Schön-Malerei sind die Bilder jetzt Ausdruck (lat. expressio) eines Lebensgefühls mit all seinen positiven Emotionen aber auch gesellschaftlichen und politischen Ängsten.

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Die Ausstellung gliedert sich in elf gemeinsame Motivthemen. Jeder der Ausstellungsräume konzentriert sich auf ausgewählte impressionistische und expressionistische Bildpaare, um so Gemeinsames und Unterschiedliches zu verdeutlichen. Dem Motiv der Badenden zu Beginn des Rundganges folgen weitere Räume mit Landschaften, dem pulsierenden Großstadtleben in Paris und Berlin mit Häuserzeilen und Brücken, Straßenverkehr und nächtlichen Leben auf den Boulevards und Straßen. Breit ist die Palette der Amüsements in Bars, Theatern, Cafés und Restaurants, dem Freizeitvergnügen an der Hamburger Alster und den Berliner Seen im Westen der Stadt. Hinzu kommen die ambivalenten Beziehungen zwischen den Geschlechtern sowie zahlreiche Künstler-Selbstportraits und Portraits befreundeter Kunstmäzene. Der letzte Raum ist den Vorkriegsjahren mit seinen düsteren Visionen eines drohenden Weltkrieges gewidmet. So treffen Pierre-Auguste Renoirs „Badende mit blondem, offenen Haar" auf Max Pechsteins „Sitzendes Mädchen" und „Badende am Strand" von Ernst Ludwig Kirchner. Edgar Degas „Tänzerinnen im Probensaal" korrespondiert mit Ernst Ludwig Kirchners „Zwei Tänzerinnen" und „Varieté; Englisches Tanzpaar". Lovis Corinths „Selbstbildnis (Selbstporträt ohne Kragen)" steht im Dialog mit „Selbstbildnis" von Ludwig Meidner und Karl Schmidt-Rottluffs „Selbstbildnis mit Einglas". Edouard Manets „Im Wintergarten" trifft auf Max Pechsteins „Doppelbildnis" und Ernst Ludwig Kirchners „Selbstbildnis mit Mädchen".

Der Rundgang durch die Ausstellungsräume legt offen, wie stark die Gemeinsamkeiten dieser, auf den ersten Blick wesensfremden Kunstrichtungen sind - trotz nationaler Unterschiede, trotz konträrer künstlerischer Positionen in Malstil, Pinselduktus und Farbgebung. Gemeinsam sind beiden Kunststilen die Bildmotive sowie der Affront gegen die etablierten Kunstströmungen der Zeit. Zunächst sind es Ende des 19. Jahrhunderts die Impressionisten, welche in Berlin gegen den von Kaiser Wilhelm II. und Anton von Werner diktierten Akademismus der Historienmalerei opponieren. Max Liebermann, einer der bedeutendsten Vertretern des neuen Kunststils, gründet aus Protest gegen das Kunstdiktat im Mai 1898 mit anderen Künstlern die „Berliner Secession", deren erster Vorsitzender er bis zu seinem Rücktritt 1911 bleiben soll. Ein Jahr zuvor kommt es allerdings zum Eklat unter den Mitgliedern. Nachdem die Jury der Secession unter dem Vorsitz von Max Liebermann 27 Gemälde expressionistischer Künstler abgelehnt hat, gründen Max Pechstein, Georg Tappert und Moritz Melzer aus Protest gegen Liebermanns Konservatismus die „Neue Secession". Maler der Künstlergemeinschaften „Die Brücke" und des „Blauen Reiters", wie Wassily Kandinsky, Franz Marc, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel oder Karl Schmidt-Rottluff, schließen sich der Gruppe an. Berlin wird zum Zentrum einer neuen avantgardistischen Kunstströmung, dem deutschen Expressionismus.

Protegé dieser Avantgarde ist Herwarth Walden, Berliner Kunsthändler, Galerist und Herausgeber von „Der Sturm", einer monatlich erscheinenden Zeitschrift des Expressionismus. In dem Artikel „Die neue Malerei" von 1919 bezeichnet er unter anderem den Expressionismus als „Kunstwende". „Der Expressionismus ist keine Mode. Er ist eine Weltanschauung. Und zwar eine Anschauung der Sinne, und nicht der Begriffe. [...] Wir haben das Glück in einer Kunstwende zu leben. Kunst ist Weltanschauung. Die Kunst ist nicht mehr Nachbild. Das Bild ist wieder vorbildlich." Seit der von Walden postulierten „Kunstwende" werden in den nächsten Jahrzehnten beide Stilrichtungen von der Kunstgeschichte getrennt rezipiert.

So ist es noch im August 1919, als die neugegründete Abteilung für moderne Kunst der Nationalgalerie im Kronprinzenpalais Unter den Linden die erste gemeinsame Ausstellung französischer und deutscher Impressionisten zusammen mit den Expressionisten präsentiert - allerdings auf verschiedenen Etagen des Hauses. Ludwig Justi, damaliger Direktor der Nationalgalerie, gelingt nach dem Ersten Weltkrieg und dem Untergang des Kaiserreiches ein Neuanfang in der Berliner Museumspolitik. Die Zeiten kaiserlicher Bevormundung, die Zeiten schwülstiger Historien- und Portraitmalerei sowie der Intoleranz gegenüber der zeitgenössischen Moderne sind vorbei. "Freie Bahn liegt vor uns", schreibt Justi 1918. Ein modernes Museum solle mehr sein als ein begehbares Kunstlexikon, es solle durch geschickte Gegenüberstellungen Auge, Sinn und Verstand anregen, erklärt er die Präsentation zeitgenössischer Kunst und propagiert daher eine „Schule des Sehens", eines vergleichenden Sehens über kunsthistorische Grenzen hinweg. Justis für die damalige Zeit revolutionäres Konzept, greift knapp einhundert Jahre später die Kuratorin der Berliner Ausstellung, Angelika Wesenberg, wieder auf.

"Impressionismus - Expressionismus. Kunstwende" ist eine überaus empfehlenswerte und hervorragend kuratierte Ausstellung, der es gelingt sowohl das Trennende, als auch die Gemeinsamkeiten beider Kunstströmungen herauszustellen.

Begleitend zur Ausstellung veranstaltet der Salon „ImEx“ ein hochkarätig besetztes Rahmenprogramm, in dem Persönlichkeiten beider Länder –Schauspieler, Regisseure, Schriftsteller, Architekten, Kunsthistoriker und Musiker – zusammentreffen, um in Gesprächen, Lesungen, Vorträgen und Konzerten die Themen der Ausstellung in einer deutsch-französischen Doppelperspektive lebendig werden zu lassen.
Informationen zum Programm und Vorverkauf unter www.imexinberlin.de/salon

Die Ausstellung „Impressionismus – Expressionismus. Kunstwende" ist bis zum 20. September 2015 in der Alten Nationalgalerie, Bodestraße, 10178 Berlin zu besichtigen.
Die Öffnungszeiten sind: So 10-18 Uhr, Mo geschlossen. Di-Mi 10-18 Uhr, Do-Sa 10-20 Uhr
Zur Ausstellung erscheint im Hirmer-Verlag ein umfangreicher Katalog mit zahlreichen Essays und farbigen Abbildungen.
Weitere Informationen: www.imexinberlin.de


Abbildungsnachweis:
Header: Impressionismus - Expressionismus. Kunstwende Wort-Bild-Marke
Galerie:

01. Montage. Claude Monet: En norvégienne (Die Barke in Giverny), um 1887, Detail. Paris, Musée d'Orsay. Schenkung von Princess Edmond de Polignac, 1944. © RMN-Grand Palais (Musée d'Orsay) / Hervé Lewandowski. Franz Marc: Kühe, gelb-rot-grün, 1912, Detail. © Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München
02. Pierre-Auguste Renoir: Badende mit blondem, offenen Haar, um 1903. Öl auf Leinwand, 92,7 x 73,4 cm. Österreichische Galerie Belvedere, Wien. © Belvedere, Wien
03. Max Pechstein: Sitzendes Mädchen (Moritzburg), 1910. Öl auf Leinwand, 80 x 70 cm Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie. © 2015 Pechstein Hamburg/Tökendorf. Foto: bpk / Roman März
04. Karl Schmidt-Rottluff: Drei Akte (Dünenbild aus Nidden), 1913. Öl auf Leinwand, 98 x 106,5 cm. Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Foto: bpk / Jörg P. Anders
05. Max Beckmann: Straße bei Nacht, 1913. Öl auf Leinwand, 90 x 70 cm. Privatbesitz. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015
06. Camille Pissarro: Der Boulevard Montmartre bei Nacht, 1897. Öl auf Leinwand, 53,3 x 64,8 cm. © The National Gallery, London
07. Otto Dix: Straßenlaternen, 1913. Öl auf Papier auf Spanplatte, 51,3 x 62,9 cm. Dauerleihgabe der Otto Dix Stiftung. Vaduz in der Kunstsammlung Gera. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015
08. Ernst Ludwig Kirchner: Rheinbrücke bei Köln, 1914. Öl auf Leinwand, 120,5 x 91 cm. © bpk / Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Klaus Göken
09. Claude Monet: Charing Cross Bridge, 1899. Öl auf Leinwand, 64,8 x 80,6 cm. © Sammlung Carmen Thyssen-Bornemisza, als Leihgabe im Museo Thyssen-Bornemisza
10. August Macke: Spaziergang in Blumen, 1912. Öl auf Leinwand, 63,5 x 48,5 cm. © bpk / Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Jörg P. Anders
11. Claude Monet: En norvégienne (Die Barke in Giverny), um 1887. Öl auf Leinwand, 97,5 x 130,5 cm. Paris, Musée d'Orsay. Schenkung von Princess Edmond de Polignac, 1944. © RMN-Grand Palais (Musée d'Orsay) / Hervé Lewandowski.
12. Pierre-Auguste Renoir: Blühender Kastanienbaum, 1881. Öl auf Leinwand, 71 x 89 cm. © bpk / Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Jörg P. Anders
13. Ernst Ludwig Kirchner: Zwei Tänzerinnen, 1910/11. Öl auf Leinwand, 64,8 x 59,6 cm. Franz Marc Museum, Kochel am See. Dauerleihgabe aus Privatbesitz. © Medienzentrum Wuppertal, Foto: Antje Zeis-Loi
14. Edouard Manet: Im Wintergarten, 1878/79. Öl auf Leinwand, 115 x 150 cm. © bpk / Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Jörg P. Anders
15. Franz Marc: Kühe, gelb-rot-grün, 1912. Öl auf Leinwand, 62 x 87,5 cm. © Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München.

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