Meinung
19 Lange Nacht der Museen in Hamburg

Die Terminänderung, die Lange Nacht der Museen in Hamburg in den Mai, anstatt in den April zu legen war eine gute Idee. Denn der Tag war schön, nicht kalt! – im Gegenteil, angenehm warm und die Menschen strömten voller Vorfreude und fast ein wenig aufgedreht zum Deichtorplatz.
18 Uhr – die Nacht kann kommen, aber so früh wird es gar nicht dunkel – macht nichts – eigentlich viel besser so.

Die Schlangen an den drei Stationen der 12 Buslinien sind überschaubar, dafür die am Eingang zu den Deichtorhallen umso länger. Traditionell fangen viele genau hier ihre Lange Nacht (LNdM) an.
Im Vorhinein habe ich mir eine Route akribisch zurechtgelegt, wann ich in welches Museum möchte, aber wie jedes Jahr kommt alles ganz anders und meistens wird es richtig gut so.
Buslinie 303 fährt mit ein paar Zwischenstationen zum Medizinhistorischen Museum auf dem UKE-Gelände. „Beware“ ist deren Motto der Nacht.

Medizinhistorisches Museum

An dem alten schönen Gebäude von Fritz Schumacher, das kurz vor dem Ersten Weltkrieg, 1914 als Institut für Pathologie fertiggestellt wurde, prangen die goldenen Buchstaben des Museums und leuchten im Abendlicht. Die Besucher zeigen brav ihre Karten oder digitale Zugangsberechtigungen vor oder kaufen sich noch schnell diese. Es ist voll im Eingangsbereich, denn gleich geht die erste Führung los.

Pathologiesaal. Foto: Claus Friede

Umso besser, denn der große nüchterne Saal der Pathologie mit den steinernen Tischen auf Stahlgestellen kann nach Führungsbeginn dann seine ganze sterile Atmosphäre entfalten.
„Irgendwie fühle ich mich hier nicht wohl“, sagt eine junge Frau zu ihrer Begleiterin und verschwindet.

Pathologiesaal. Foto: Claus Friede

So ganz unrecht hat sie nicht, so geht es vielen, die Vorstellungskraft birgt aber auch etwas Neugieriges und spannend Gruseliges. Abgehend vom langen Flur sind die einzelnen Räume nach medizinischen Themen geordnet. Ein Schwerpunkt liegt auf Seuchen (Syphilis, Cholera), ein anderer auf Technik, Medikamenten und Forschung.

Medizinhistorisches Museum. Foto: Anja Meyer, Foto- und Grafikabteilung UKE. © LNdM / Medizinhistorisches Museum Hamburg/UKE

Schon erstaunlich, wie sich die Medizin in den letzten 100 Jahren entwickelt hat, freue ich mich. Die hier in Vitrinen gezeigte Anästhesie-Gerätschaft sieht eher nach dem Prinzip Zufall aus, als nach Präzision. Und alles scheint weit entfernt zu sein von heutiger Vorstellung zum Thema Sterilität. Eine Statistik an einer der Textbeschreibungen verrät es: Die Aufenthalte in Krankenhäusern – früher als Anstalt bezeichnet – war um das Vielfache länger.

Medizinhistorisches Museum. Foto: Adolf-Friedrich Holstein. © LNdM / Medizinhistorisches Museum Hamburg

Die NS- und Euthanasie-Aufarbeitung kam spät, aber sie kam. Ein Lern- und Gedenkort ist eingerichtet und gut und präzise ausgestattet. Anhand von wenigen Schicksalen, wird die Menschenverachtung, die Gräueltaten und die ganze Perfidität im Namen der Wissenschaft unter einer Ideologie und aller Beteiligten beispielhaft aufgezeigt. Allein für diese beiden thematischen Räume braucht man viel Zeit…

slg Eckart

Eine Sonderausstellung widmet sich einem Thema, das mit dem Ort eng verknüpft ist, denn das Gebäude wurde gleich nach seiner Fertigstellung als Kriegslazarett genutzt. Der Heidelberger Medizinprofessor Wolfgang Eckart hat seine große Sammlung von Fotopostkarten ab 1914 aus Lazaretten für die Ausstellung „Lebenszeichen“ zur Verfügung gestellt. Auffällig sind die vielen jungen Besucher in der Ausstellung.

slg eckart

Fand sich noch in der Dauerausstellung, im unteren Stockwerk, ein Hinweis darauf, was Patienten, in den oft über 30 Menschen fassenden Sälen am Bett haben durften, wie karg und spartanisch die Einrichtungen war, so wirkt dieses Foto aus der Sammlung verklärt. Und in der Tat: historische Postkarten liefern einen oft einen idealisierten Blick auf den Alltag im Lazarett. Die Fotografie wurde – wie hier aus einem Berliner Lazarett – gezielt komponiert. Die zentrale Botschaft lautete „Mir geht es noch gut" – auch hier, kurz vor dem Weihnachtsfest 1915.

Zugegeben, ich war das erste Mal so ausführlich in diesem Museum unterwegs und so nahm ich mir die Zeit dafür, die ich eben brauchte! Dass dadurch mein Zeitplan komplett aus dem Tritt kam, ist nicht weiter schlimm, man muss sich auch treiben lassen dürfen, sagte ich mir und schlenderte quer über das UKE-Gelände zurück zur Bushaltestelle.

Das nächste Museum wartet schon unter dem Motto: „Die Bedeutung der Dinge“ auf mich: Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt, kurz MARKK genannt. Und prompt höre ich im Bus auf dem Weg dorthin auch schon die Kommentare: „Wer hat sich denn den Namen ausgedacht?“, „Jemand, der von Phonetik keine Ahnung hat“, „Allein die Länge des Museumsnamen – man muss ja nicht alles da reinpressen…“, „Wieso denn nicht mehr Völkerkunde?“, „Also, das ist doch Krampf und wurde bestimmt von einer teuren Agentur ausgedacht…“ geht es hin und her.

Außenansicht MARKK. Foto: © P. Schimweg/MARKK

Mir hätte auch einfach „Kulturen und Künste der Welt“ gereicht, denn das will ich jetzt sehen. Vor dem Gebäude stehend denke ich: Von Fritz Schumacher zu Albert Erbe. Hamburg hat diesen Stil damals genauso gewollt und er ist auch heute noch eindrucksvoll.

Blick in die Ausstellung „Von Wölfen und Menschen“. Foto: © P. Schimweg/MARKK

„Von Wölfen und Menschen“ heißt eine Ausstellung im großen Raum, der für Wechselausstellungen vorgesehen ist. Auf dem ersten Blick wirkt das ganze wie ein Sammelsurium, jedoch entpuppt sich die Schau schnell als eine umfang- und facettenreiche Analyse, über das Tier, den Menschen und die Verhältnisse, die beide miteinander verbinden, weit über die Grenzen unseres Kulturkreises hinaus. Zwischen Mythologie, schamanistischen Religionen, Lebensräumen, rudimentären und wissenschaftlichen Sichtweisen bereitet diese Ausstellung viel Freude. Auch hier wie bereits zuvor: durch den Umfang benötige ich viel Zeit, zumal noch eine andere Ausstellung im ersten Stock lockt.

Gruppenbild mit Arthur Byhan, Kustos der Europa-Sammlung. Foto: unbekannt, entstanden zwischen 1914 und 1918. © MARKK

Die Ausstellung widmet sich einem mir vollkommen unbekannten Thema, den Mitarbeiterinnen des Museums für Völkerkunde, wie es damals hieß, dem „Technischen Hilfspersonal“ um die vorletzte Jahrhundertwende. Bedenkt man, dass die Sammlungsgegenstände innerhalb kürzester Zeit von 20.000 Exponate auf 150.000 anstiegen, so ist verständlich, dass zur Inventarisierung Mitarbeiter gebraucht wurden. Es waren Mitarbeiterinnen, die die Gegenstände zeichneten, akribisch, teilweise äußerst präzise und gut.

Inventarzeichnung. © MARKK (siehe Bildunterschrift)

So ist diese Inventarkarten-Federzeichnung auf Büttenppapier, wahrscheinlich von Margarete Fündling ausgeführt und undatiert, wohl in einer Zeit entstanden als das Deutsche Reich fernab die Kolonie Papua-Neuguinea besaß. Damals wurden viele Expeditionen in den Südpazifik unternommen und Exponate wie diese „Tatuana-Maske“ von dort mitgebracht oder von Hamburger Händlern dem Museum vermacht.

Diese Ausstellung ist nicht so voll wie die der Wölfe und so habe ich viel Zeit. Ich beschließe, noch einmal an einem anderen Tag zurück zu kehren, um ausführlicher über die Ausstellung zu schreiben.

Es ist längst dunkel geworden. Mir fällt auf, dass ich mir insbesondere historische Ausstellungen ausgesucht habe, aber schließlich interessiert mich das brennend. Rein in den Bus, raus aus dem Bus zu einer Institution, die erstmalig an der Langen Nacht teilnimmt. Im Helmut Schmidt-Forum erinnert eine neu konzipierte Ausstellung an einen bedeutenden Staatsmann und Publizisten, der eng mit Hamburg verbunden war: als Hamburger Innensenator zur Zeit der großen Flutkatastrophe und als Bundeskanzler.

Blick ins Helmut Schmidt-Forum. Fotos: Claus Friede

„Pflicht – Vernunft – Leidenschaft" ist die Schau betitelt und wenn man ins Souterrain hineinkommt, erhält man das Gefühl, der Kanzler a.D. käme auch gleich, denn Sofa und Sessel stehen so, als ob eine Talkrunde mit Helmut Schmidt begönne. Fehlt nur noch der Aschenbecher…
Mitarbeiter Dr. Magnus Koch ist in seinem Element, bei der Kuratorführung zu später Stunde. Er scheint alles aus dem Leben von Schmidt zu wissen, die kleinen lustigen Anekdoten, die großen Geschichten, die schweren und unmenschlichen Entscheidungen, die zur RAF-(Rote Armee Fraktion)-Zeit anstanden. Die Terroristen wollten der Welt vorführen, welche Nazi-Mentalität noch im (West-)deutschen Staat steckt. Die staatliche Reaktion darauf war – trotz einiger diskussionswürdiger Aussagen und groben Verhaltens – alles andere. Belustigt sind die Besucher beim Thema Haarnetz. Als Schmidt im Verteidigungsministerium als oberster Dienstherr, das Haarnetz für langhaarige Soldaten einführte, wurde nach viel Häme und belustigten Kommentaren alles wieder rückgängig gemacht. Ach, viele Seelen wohnten in seiner Brust.

Blick ins Helmut Schmidt-Forum. Fotos: Claus Friede

Zum Abschied grüße ich den fröhlich lachenden Kanzler im Türrahmen und fahre in Ruhe weiter in die Lange Nacht.

19. Lange Nacht der Museen Hamburg

Weitere Informationen


KulturPort.De — Follow Arts ist Medienpartner der Langen Nacht der Museen Hamburg.


Abbildungsnachweis:
Header: Collage LNdM HH. Foto: Claus Friede
01. Das zwischen 1913 und 1926 errichtete Fritz Schumacher-Haus beherbergte unter anderem das Pathologische Institut. Im restaurierten Baudenkmal hat heute das Medizinhistorische Museum Hamburg seinen Platz. Foto: Adolf-Friedrich Holstein. © LNdM / Medizinhistorisches Museum Hamburg
02. und 03. Pathologiesaal. Foto: Claus Friede
04. Medizinhistorisches Museum. Foto: Anja Meyer, Foto- und Grafikabteilung UKE. © LNdM / Medizinhistorisches Museum Hamburg/UKE
05. Medizinhistorisches Museum. Foto: Adolf-Friedrich Holstein. © LNdM / Medizinhistorisches Museum Hamburg
06. und 07. Titelbild "Lebenszeichen". Fotopostkarten aus dem Lazarett waren oft das erste Lebenszeichen, das Angehörige von den Verwundeten des Ersten Weltkriegs erhielten. Foto: Sammlung Wolfgang Eckart, Heidelberg
08. Außenansicht MARKK. Foto: © P. Schimweg/MARKK
09. Blick in die Ausstellung „Von Wölfen und Menschen“. Foto: © P. Schimweg/MARKK
10. Gruppenbild mit Arthur Byhan, Kustos der Europa-Sammlung. Foto: unbekannt, entstanden zwischen 1914 und 1918. © MARKK
11. Inventarzeichnung. © MARKK (siehe Bildunterschrift)
12. und 13. Blicke ins Helmut Schmidt-Forum. Fotos: Claus Friede

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