Unser Gesprächsangebot an die Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtags
Der Schleswig-Holsteinische Landtag will den Gedenktag 27. Januar 2025 erstmals mit einer zentralen Gedenkfeier am NS-Täterort Mürwik begehen, plant aber keine eigene Veranstaltung zum anstehenden 80. Jahrestag des 8. Mai, obwohl der Landtag den 8. Mai als Gedenktag in Schleswig-Holstein selbst eingeführt hat. Die unterzeichnenden Organisationen fordern mehr öffentliche Aufmerksamkeit und eine eigene Veranstaltung des Landtages an diesem Tag.
In Flensburg, im „Sonderbereich Mürwik“, zu dem auch die Marineschule Mürwik zählte, residierte ab dem 3. Mai 1945 die letzte Regierung der nationalsozialistischen Diktatur. Hitler hatte vor seinem Suizid im Berliner „Führer“-Bunker am 30. April 1945 in seinem politischen Testament Großadmiral Karl Dönitz zu seinem Nachfolger bestimmt. Die britische Armee setzte die geschäftsführende Reichsregierung am 23. Mai ab und verhaftete sie. Dönitz wurde im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher am 1. Oktober 1946 wegen der Planung eines Angriffskrieges und Kriegsverbrechen zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Als Bundespräsident Roman Herzog 1996 den 27. Januar 1945, das historische Datum der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Ar- mee, zum „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ bestimmte, ging es ihm darum, „nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken“, wie es in seiner Proklamation vom 3. Januar 1996 heißt. Seither ist der 27. Januar offizieller Gedenktag in der Bundesrepublik Deutschland, also auch in den Bundesländern. 2005 hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen den 27. Januar zum Internationalen Holocaust-Gedenktag erklärt.
Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat 2001 mit dem jährlichen Gedenken des 27. Januar 1945 begonnen. Seither hat sich eine vielfältige Gedenkpraxis entwickelt. Meistens findet das Gedenken im Wechsel im Landeshaus und an unterschiedlichen Orten im Land
statt. Rendsburg, Elmshorn, Lübeck und Kiel (Schloss) waren solche externen Veranstaltungsorte. Das Gedenken findet auch in wechselnden Kooperationen und thematischen Schwerpunkten statt.
In Schleswig-Holstein ist zudem – wie in einigen anderen Bundesländern – der 8. Mai 1945 offizieller Gedenktag des Landes: als Tag der bedingungslosen Kapitulation, des Zusammenbruchs der NS-Gewaltherrschaft, der Befreiung der überlebenden Opfer des Regimes sowie als Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat dies aus Anlass des 75. Jahrestags des 8. Mai im Jahre 2020 beschlossen – als Reaktion auf eine Petition der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein und der Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein. Daraus ist inzwischen – erweitert um die Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten – der Initiativkreis Gedenktag 8. Mai in Schleswig-Holstein hervorgegangen, der alljährlich landesweit Dutzende Veranstaltungen zum 8. Mai koordiniert und eigene Veranstaltungen organisiert.
In diesem Jahr lädt der Landtag zur zentralen Gedenkfeier am 27. Januar erstmals in die Marineschule Mürwik ein. Kooperationspartner ist die Bundeswehr. Neben der „Erinnerung an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz“, so heißt es in der Einladung des Landtags, wolle er auch „an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren“ erinnern.
Es ist für uns nicht nachvollziehbar, das Gedenken an die Opfer des NS-Regimes – zentrale Aufgabe des 27. Januar – am ausgewiesenen Täterort in Mürwik zu praktizieren und damit möglicherweise auch auf einen rein militärischen Kontext zu reduzieren. Völlig unverständlich ist für uns die Entscheidung, zum 80. Jahrestag des Kriegsendes vollständig auf eine eigene Landtagsveranstaltung zu verzichten. Gerade an diesem Datum gilt es auch der Entwaffnung eines vielfach verbrecherischen Militärs zu gedenken. Dazu gehört zudem eine Reflexion der heute veränderten Rolle der Bundeswehr als Parlamentsarmee.
Fraglos ist die Marineschule Mürwik heute ein Ort der Bundeswehr als Institution der deut- schen Demokratie, sodass es nicht darum gehen kann, die heutige Institution zu delegitimieren. Auch unterstützen wir die Aufarbeitung der NS-Zeit an der Marineschule – Re- flexion der Tätergeschichte an diesem herausragenden, aber bislang unentwickelten schleswig-holsteinischen Erinnerungsort ist von elementarer Bedeutung mit hoher geschichtspolitischer Symbolik.
Wir brauchen aber mehr Gelegenheiten politischer Stellungnahme in einer Gegenwart, in der Rechtspopulismus und -extremismus Zulauf und Einfluss verzeichnen können wie noch nie seit 1945 und die Erinnerungskultur zu einem zentralen Feld des Kulturkampfes rechtsradikaler Akteur*innen geworden ist.
Wir können auch nicht verstehen, weshalb der Landtag den 80. Jahrestag des 8. Mai 1945 mit dem Tag des Gedenkens für die Opfer des Nationalsozialismus verknüpft. Laut Landtagsverwaltung plant die Präsidentin des Parlaments im Datumsfeld des 8. Mai 2025 eine „Gedenkreise“ zu ausgewählten Gedenkstätten. Warum findet beispielsweise eine zentrale Gedenkveranstaltung zum 8. Mai 2025 nicht in Mürwik statt oder im Marinestützpunkt Kiel-Wik, dem einstigen „Reichskriegshafen“ wo am 8. Mai 1945 britische Alliierte das Kommando übernahmen? So wie es die Ratsversammlung der Stadt Flensburg tat, als sie am 70. Jahrestag des Kriegsendes 2015 in der Marineschule Mürwik tagte? Das wären treffendere historisch-politische Verbindungen zum Thema Kriegsende in Schleswig-Holstein und zur letzten Reichsregierung unter Dönitz.
Die unterzeichnenden Organisationen protestieren gegen die Verkürzung des Gedenkens und die unreflektierte Vermischung beider Gedenktage. Wir fordern den Landtag auf, beide Gedenktage, den 27. Januar und den 8. Mai, gemäß ihrer historischen und erinnerungskulturellen Bedeutungen zu begehen und bieten auch weiterhin unsere Offenheit und nachdrückliche Bereitschaft zu gemeinsamer erinnerungspolitischer Arbeit an.
Kiel, 16. Januar 2025
Unterzeichnende Organisationen und Personen
Vorstand und Beirat der Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein e.V. (LAGSH)
Uta Körby, Ehrenvorsitzende der LAGSH
Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein e.V.
Marc Czichy, Leiter der KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen in Springhirsch
Dr. Ingaburgh Klatt, Sven-Michael Veit, Vorstand des Trägervereins der Gedenkstätte Ahrensbök/Gruppe 33 e.V.
Johanna Jürgensen, Direktorin der Stiftung Nordfriesland und Leiterin der KZ-Gedenkstätte Husum-Schwesing
Dr. Katja Happe, Leiterin der KZ-Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund
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