„Entartete Musik“ – zurück ins Musikleben
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Es war ein Kampf mit ungleichen Mitteln: Auf der einen Seite Musik, Musiker und Komponisten, auf der anderen Seite Schlägertruppen, Hetzschriften, Diffamierungen und persönliche Angriffe, die für viele Musiker und Komponisten „nur“ den Bruch ihres Lebenswegs, Vertreibung und Exil, für andere Haft und auch den Tod bedeuteten. Analog zur NS-Ausstellung „Entartete Kunst“ in München 1937, in der missliebige Stilrichtungen und Personen der bildenden Kunst an den Pranger gestellt wurden, gab es 1938 in Düsseldorf eine ähnliche zur Ausgrenzung und Verfemung der modernen Musik.
Auch wenn diese Ausstellung rekonstruiert wurde, wenn immer wieder engagierte Musiker sich für die angeblich „entartete“ Musik einsetzen: Der nationalsozialistische Kulturbruch und das ihm folgende Vergessen wirken bis heute fort. Nur wenige der damals verfolgten Komponisten konnten sich nach dem Ende der Gewaltherrschaft und des Krieges einen Platz in den Konzertprogrammen zurückerobern. Umso wichtiger sind CDs wie das eben bei Brilliant Classics erschienene Doppelalbum „Entartete Musik“ des Duos Disecheis. David Brutti (Altsaxophon) und Filippo Farinelli (Klavier) holen acht Werke von acht Komponisten zurück ins Musikleben. Und machen sinnlich erfahrbar, was da alles dem Bannspruch einer totalitären Gesellschaftsordnung verfiel.
Es war eine der aufregendsten Epochen der Musikentwicklung, in den ersten Jahrzehnten es vergangenen Jahrhunderts wurden Konventionen aufgebrochen, die Grenzen der Tonalität überschritten, man gab der Musik ein großes Spektrum an Sinnlichkeit zurück im Aufkommen des Jazz. Individualität im Ausprobieren neuer Formen, in der Verbindung von Altem und Neuem, Protest, Propaganda und die Suche nach neuen Ordnungen – was damals die gesellschaftspolitischen Debatten bewegte, spiegelte sich ganz direkt in den Tönen.
Das alles war von den NS-Gleichschaltern nicht gewünscht, sie brauchten Musik, die illustrierte, wie der Einzelne in der Masse aufgeht – Gleichtakt, Marschrhythmen, Staccato, unisono. Kein Wunder, dass damals sogar der sonst kritisch beäugte Carl Orff 1937 mit den monumentalen Chören seiner „Carmina Burana“ reüssierte, obwohl die Zeitung „Völkische Beobachter“ noch gefährliche „Jazzstimmung“ witterte. Strawinsky verspottete Orffs Stil als „neo-neandertalische Schule“, während die linientreue Musikkritik wohlwollend einen „Triumph der Einfachheit“ konstatierte. Orff durfte Musik für die Olympia-Eröffnung 1936 schreiben, so wie auch Richard Strauss. Er bekam in der Folge etliche gut dotierte Kompositionsaufträge – und war 1972 mit Musik für die Olympischen Spiele wieder dabei.
Die Komponisten der Werke auf den beiden CDs „Entartete Musik“ hatten es da schwerer. Wie viele Namen kennen Sie von den acht, die hier versammelt sind? Wahrscheinlich noch Paul Dessau, der als links, wegen seiner jüdischen Abstammung und als Modernist gleich dreifach verdächtig war. Er floh 1933 nach Paris und 1939 weiter in die USA. Paul Hindemith zog sich wegen „untragbarer Gesinnung“ und der jüdischen Abstammung seiner Frau den Zorn des Regimes zu, er ging 1937 in die Türkei, zog 1939 ins Schweizer Exil, dann in die USA. Aber Bernhard Heiden? Er entkam 1935 nach Detroit. Erwin Dressel? Hans Gál? Wolfgang Jacobi, der wegen seines jüdischen Vaters ins Fadenkreuz geriet, den Terror aber in der inneren Emigration in München überlebte? Oder Erwin Schulhoff, der 1939 nach Prag floh, 1941 verhaftet wurde und 1942 im KZ Weißenburg in Bayern zu Tode kam?
Diskutieren könnte man über Ernst-Lothar von Knorr auf diesem Album. Nicht über die Qualität seiner Musik, aber über seine Nähe zum System. Er war in der Nazi-Zeit Musikfunktionär, Professor und Musikreferent des Oberkommandos des Heeres, später auch Parteimitglied, aber er rettete über eine Liste, die Hitler unterschrieb, 360 Musiker vor dem Kriegseinsatz. Die meisten seiner Kompositionen verbrannten bei einem Bombenangriff.
Dass das Saxophon auf beiden CDs im Zentrum steht, ist kein Zufall: Viele der Werke wurden für den deutschen Saxophon-Virtuosen Sigurd Manfred Rascher geschrieben, der in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Berlin lebte, der als Regime-Gegner unter der Nazi-Regierung nach Dänemark und 1938 in die USA emigrierte. Das Saxophon galt wegen seiner Nähe zum Jazz als undeutsches Instrument und war den NS-Kulturpolitikern höchst verdächtig. Ein dunkelhäutiger Saxophonspieler mit Davidstern am Revers wurde denn auch Plakatmotiv der Ausstellung „Entartete Musik“, optischer Anklang an das Titelblatt des Klavierauszugs der Oper „Jonny spielt auf“. Ihr Komponist, Ernst Krenek, wurde von den Nazis als „Kulturbolschewist“ verfolgt.
Es ist spannend zu hören, wie die acht Komponisten im Dialog zwischen Altsaxophon und Klavier in ihren zwischen 1930 und 1949 entstandenen Werken sich sehr unterschiedliche Wege suchen zwischen Jazz-Stilmitteln, der ironischen Aufarbeitung alter Formen, zwischen rhythmisch komplexen und kontrapunktisch versponnenen Ideen, vibrierender Nervosität und der Suche nach einer neuen Balance für die Seele und die aus den Fugen geratene Welt, in der es noch keine neuen Sicherheiten gibt.
Und es ist David Brutti und Filippo Farinelli zu danken, dass sie diese Werke zusammengetragen haben und in ihnen den Fokus richten auf diesen aus dem Bewusstsein fast verschwundenen Abschnitt der Musikgeschichte – fast zwei Stunden einst als unliebsam und gefährlich eingestufte Musik, aus der man viel lernen kann.
Entartete Musik
David Brutti (Saxophone), Filippo Farinelli (Klavier).
2 CDs, Brilliant Classics Nr. 94874
Mehr zu erfahren über das Thema „Entartete Musik“ ist im sehr informativen, derzeit leider nur antiquarisch erhältlichen Buch „Entartete Musik. Zur Düsseldorfer Ausstellung von 1938. Eine kommentierte Rekonstruktion“ des Musikwissenschaftlers Albrecht Dümling.
Abbildungsnachweis:
Header: Ausstellungsmotiv "Entartete Musik", 1938, Düsseldorf.
Und CD-Cover
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