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Hector Berlioz: Symphonie fantastique

Es ist eine Drogenerfahrung, die Mariss Jansons da mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunk durchspielt. In unglücklicher Liebe fiebert sich ein junger Musiker immer tiefer in seine Fantasien hinein. Trifft eine Frau, die ihm zur Zwangsvorstellung, zur fixen Idee wird. Erlebt Walzerseligkeit, pastorales Schäferglück. Doch in sein zartes Glück schleichen sich Gedanken von Minderwertigkeit, Nicht-Wahrnehmung, Verstoßensein – immer stärker, bis er im Opiumrausch meint, er habe die Geliebte ermordet, sei dafür zum Tod verurteilt worden und werde nun zur Hinrichtung geführt. Am Ende erscheint ihm seine fixe Idee auf dem Höhepunkt eines furiosen Hexensabbats, sie verspottet ihn. Diese Handlung hat Hector Berlioz, mehrfach verändert, als Programm seiner 1829 komponierten dramatischen „Symphonie fantastique“ beigegeben, mit der ausdrücklichen Anweisung, es beim Konzert zu verteilen, weil man sein Opus 14 sonst nicht verstehen könne.


Jansons geht mit seiner Interpretation, die im März 2013 im Münchner Gasteig eingespielt wurde, aufs Ganze. Wenn Berlioz’ Programm so etwas wie die Anleitung ist, sich zur Musik bewegte Bilder, einen Film, vorzustellen, dann ist es hier einer im übergroßen Breitwand-Format, mit gewaltigen Effekten und einem perfekten Surround-Ton. Er und seine Musiker können innerhalb von wenigen Takten ausgehend vom lieblichsten, allertransparentesten Streicherträumen knapp über der Wahrnehmungsgrenze grandiose Crescendi von der Leine lassen. Schäumende Leidenschaften, elegant tanzende Walzerklänge, hart geschnittene Blechkaskaden, hämisch meckernde Holzbläser. Euphorie und tiefste Verzweiflung liegen in dieser Musik dicht beieinander. Vom Liebeserwachen in der ländlichen Idylle mit ihrem Schäferspiel von Oboe und Englischhorn bis zum letzten Gedanken an die Geliebte, der unter dem Schlag des Fallbeils abreißt. Und den Turbulenzen des diabolischen Orchestersturms im Hexensabbats.
Dirigent und Orchester folgen dabei der Klangschwelgerei des Komponisten, die Instrumentenfarben verschmelzen und wechseln dabei fast unmerklich. Emotion pur, Spannung in jedem Moment, da ist alles präzis, präsent und klar hörbar herausgespielt – eine spannungsreiche Interpretation, die Berlioz’ tongemalte Seelenlandschaft in glühenden Farben zum Leben erweckt. Jansons’ „Symphonie fantastique“ nimmt ihre Zuhörer mit auf eine Achterbahn der Gefühle, die manchmal fast zu sicher ihren rasenden Lauf durch die Verwirrungen des armen Künstlers nimmt.

altBerlioz schrieb die Musik einer gequälten Seele, sie ist zugleich das wohl beeindruckendste Liebesgeständnis der Musikgeschichte, ein romantisches Einzelstück, das in seiner radikalen Subjektivität berührt und schockiert.
Noch während seines Studiums in Paris, er war 26 Jahre jung, hat er den Auftritt einer englischen Theatertruppe im Odéon-Theater erlebt, die dort Shakespeare spielte: Romeo und Julia, Hamlet. Neben der Wucht der Shakespeare-Dramen trifft ihn die Erscheinung einer Schauspielerin wie der Blitz. Es ist die drei Jahre ältere Harriet Smithson, geboren in Irland, County Clare. Tochter eines Theatermanagers, seit dem 14. Lebensjahr auf der Bühne zuhause. Sie ist Julia, ist Ophelia, in Szenen, die den empfindsamen Jüngling zutiefst berühren. Und sie ist die Geliebte des Managers dieser Schauspiel-Truppe.
In seinen Memoiren schreibt Berlioz später: „Shakespeare, der mich so unerwartet überfiel, zerschmetterte mich wie ein Blitzschlag ... Ich wohnte im Odéon der ersten Vorstellung von ‚Hamlet’ bei. ich sah als Ophelia Harriet Smithson,... Die Wirkung ihres wunderbaren Talents oder vielmehr ihres dramatischen Genies auf meine Phantasie und mein Herz kann nur mit derjenigen verglichen werden, die der Dichter selbst auf mich ausübte."
Er himmelt sie an, aus der Ferne, sie wird zu seiner fixen Idee, in die er sich hineinsteigert und die er sich in seiner überspannten, ja bizarren Fantasie in lieblichsten und schaurigsten Farben ausmalt. Das Ziel seiner Liebe bekommt davon allerdings so gar nichts mit, also bleibt seine Leidenschaft unerwidert.
1829 beginnt er mit der Komposition der „Symphonie fantastique“, Untertitel: „Episode de la vie d’un artiste“. Neben seiner unerfüllten Liebe sind andere Einflüsse dieser Zeit spürbar: Beethoven Symphonien, die in Paris aufgeführt wurden. Und die Lektüre von Goethes „Faust“, an dessen Szenen in Dom und bei der Walpurgisnacht das „Dies irae“ und das „Rondo du Sabbat“ erinnern. Er überarbeitet das Werk und seinen Programmtext mehrfach, in der letzten Fassung will er die ganze Geschichte, nicht mehr nur die letzten beiden Sätze, als Vision im Opiumrausch verstanden wissen. Die fixe Idee verarbeitet er leitmotivisch, damit in der Musikgeschichte auf Wagner vorgreifend, mit dem ihn später eine brüchige Freundschaft verbinden wird.
Am 5. Dezember 1830 wird das Werk uraufgeführt und ein Erfolg. Auf seiner anschließenden Italien-Reise komponiert Berlioz 1831 eine Fortsetzung unter dem Titel „Lélio, oder die Rückkehr ins Leben“, ein Stück für Sprecher, Solisten Chor und Orchester, in dem sich der liebeskranke Künstler durch Literatur und Musik selbst heilt. Auch hier steht eine unerfüllte Liebe Pate, seine Freundin Camille Moke hat die Beziehung aufgekündigt.
Der entscheidende Tag für Berlioz kam am 9. Dezember 1832. Kurz zuvor hat er erfahren, dass in der Wohnung, die er gemietet hat, zuvor Harriet Smithson gewohnt hatte. Seine leicht entzündlichen Gefühle flammen sofort wieder auf. Aufgrund einer „Folge unglaublicher Zufälle“ kann er das Objekt seiner Begierde in das Konzert einladen, in dem man die „Fantastique“ und „Lélio“ spielt (das zweite Stück wird er später als ebenfalls durch Smithson inspiriert darstellen), „sie war jedoch weit davon entfernt zu ahnen, daß sie die Heldin jenes so seltsamen wie schmerzvollen Dramas sei.“

Der Zauber seiner liebesklagenden Musik wirkt trotzdem, die Dame spürt – wie könnte sie’s auch überlesen, dass sie gemeint ist. Am Tag nach dem sensationell bejubelten Konzert wird man einander offiziell vorgestellt. Und irgendwann fallen endlich die Worte: „Eh bien, Berlioz... je vous aime.“ Der Komponist jubelt: „Ich glaube, den Verstand zu verlieren. Ja, sie liebt mich! Sie hat das Herz Julias, das ist meine Ophelia!“.
Im Oktober des kommenden Jahres wird geheiratet, in der britischen Botschaft in Paris. Franz Liszt, der mit seinem Klavierauszug 1834 die „Fantastique“ erstmals für den Druck aufbereiten wird, ist einer der Trauzeugen. Die Ehe steht indes unter keinem glücklichen Stern. Zu jener Zeit ist Harriet Smithsons schauspielerischer Stern bereits im Sinken begriffen, sie ist zudem hoch verschuldet. Und weil selbst Märchen nicht immer für alle gut enden, geht die Verbindung Ehe 1844 in die Brüche.
Dass Berlioz mit seiner Musik durchaus nicht alle bezaubern konnte, belegen Bemerkungen eines deutschen Auslandskorrespondenten in Paris, notiert im selben Jahr 1844. Der diagnostiziert bei Berlioz einen „Sinn für das Ungeheuerliche, für das Riesenhafte, für materielle Unermesslichkeit.“ Sieht vor seinem inneren Auge „etwas Urweltliches, wo nicht gar Antediluvianisches, sie mahnt mich an untergegangene Tiergattungen, an fabelhafte Königtümer und Sünden, an aufgetürmte Unmöglichkeiten, an Babylon, an die hängenden Gärten der Semiramis, an Ninive.“ Doch bemängelt er „kreischende Instrumentierung“, „wenig Melodie“, wenig Schönheit und gar kein Gemüt.“ Der Name des Kritikers, der selbst ein Meister des Feinfühligen war: Heinrich Heine.
Zu Berlioz hat Jansons ein kurzes und gut hundert Jahre jüngeres Stück auf diese CD gepackt: Edgard Varèses „Ionisation“ für 13 Schlagzeuger und 36 Instrumente – in seiner Orientierung an naturwissenschaftlichen Prinzipien und Phänomenen geradewegs ein Kontrapunkt zur emotionsgeladenen Musik von Berlioz. Varèse spielt in seiner Partitur mit höchster rhythmischer Differenzierung und Vielschichtigkeit, ein faszinierendes Stück Moderne.


Hector Berlioz: Symphonie fantastique
Edgard Varèse: Ionisation
Mariss Jansons, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.
BR Klassik 900121.
Die CD wurde am 7./8. März in München, Philharmonie im Gasteig, aufgenommen.

Jansons dirigiert die Symphonie fantastique, 8. August 2013 in der Royal Albert Hall London.


Abbildungsnachweis.

Header: 10 Franc-Geldnote mit Berlioz-Portrait
Cd-Cover

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