Händels „Alcina“ – Operncoup mit Jaroussky, Petibon und Prohaska
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Mit Zauberei und Liebe gegen die Schrecken des Alters kämpft die Magierin Alcina einen verzweifelten Kampf. Händel schrieb für seine Barockoper zu dem Psychodrama hinreißende Musik, Regisseurin Katie Mitchell fand für Aix-en-Provence 2015 düstere, verstörende, aber auch verblüffende und amüsante Bilder. Die Sängerbesetzung: ein Ohren- und Augenschmaus.
Anfang November war Philippe Jaroussky noch in der Hamburger Laeiszhalle. Gemeinsam mit dem Freiburger Barockorchester musizierte er für Das Alte Werk des NDR aus dem Programm seiner aktuellen CD „Sacred Cantatas“ mit vier Kantaten von Johann Sebastian Bach und Georg Philipp Telemann. Wobei seiner opernaffinen, gern dramatisch agierenden Counter-Stimme der opernerprobte Telemann offenbar noch ein Spürchen näherlag als die hier sehr innerliche Musik des Thomaskantors. Auf dem Tonträger hingegen kann man Jarousskys Engelstimme bei beiden Komponisten in absoluter Bestform erleben.
Im November hatte der Mann mit der klaren, durchsetzungsfähigen hohen Stimme schon die Saisoneröffnung des NDR Elbphilharmonie Orchesters Anfang September in der Laeiszhalle hinter sich und seine Teilnahme an den beiden Eröffnungskonzerten der Elbphilharmonie noch vor sich, bei denen er am 11. und 12. Januar Renaissance-Madrigale von einer der Emporen zur Harfe sang. Und im Mai kommt Jaroussky schon wieder in den fulminanten Neubau am Hafen – dann zu gleich drei frühsommerlichen Konzerten mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester und Thomas Hengelbrock, bei dem er Berlioz’ schwerst melancholischen Liederzyklus „Les nuits d’été“ singen und den eigentlich für tiefen Tenor oder Mezzosopran geschriebenen Liedern seine ganz eigene, ungewöhnliche, einzigartige Klangfarbe geben wird.
Das derzeit häufige Vorbeischauen Jarousskys in Hamburg muss niemanden wundern – schließlich ist der Countertenor-Superstar in der Saison 2016/17 Residenzkünstler des NDR Orchesters.
Barockoper vom Feinsten: Händels „Alcina“ mit Jaroussky
Wer für all das keine Karten mehr bekommen hat, kann sich neben den „Sacred Cantatas“ mit einer wirklich großartigen Oper auf DVD oder BluRay trösten: Händels große barocke, 1735 in London uraufgeführte Zauberoper „Alcina“. Aufgenommen 2015 beim Festival in Aix-en-Provence. Ein Mitschnitt der genialen Inszenierung von Katie Mitchell, die ein Ausdeutung der „Alcina“ auf die Bühne stellt, bei der keine einzige der 187 Minuten und keine einzige der vielen Arien auch nur ein bisschen langweilig wirkt.
Die Geschichte um die alternde Zauberin Alcina und ihre Schwester Morgana wird zu einem faszinierenden Spiel zwischen Schein (den jugendlichen Auftritten der beiden im Salon in Gestalt von Patricia Petibon und Anna Prohaska) und Sein, wenn deren alte Alter Egos (sobald sie den Salon im Zentrum der Puppenstubenbühne in ihre Zauberlabors verlassen) nach dem Durchschreiten der Seitentüren von älteren Schauspielerinnen dargestellt werden. Die beiden fangen sich junge Männer ein, die nach einiger Zeit und erkalteter Liebe verwandelt als ausgestopfte Tiere in Vitrinen landen. Klar, dass der junge Ritter Ruggiero (Philippe Jaroussky) ein perfektes Opfer ist – wäre nicht seine Geliebte, die ihn sucht und als Mann verkleidet befreien will. Drama pur im lüsternen Liebessalon von Alcina, dem das Spielfeuer von Petibon und Prohaska glaubwürdige Anziehungskraft verleiht (mit einem Hauch von „Fifty Shades of Grey“). Wobei die junge Alcina Ruggieros Geliebte an Spielwitz und Lebensfreude durchaus locker aussticht. Längst nicht alles wird ausgespielt, vieles überlässt Katie Mitchell klug Händels unfassbar anrührender Musik und dem Mienenspiel ihrer Akteure. Erschütternd gespielt der Zusammenbruch Alcinas, als sie merkt, wie ihre Zauberkaft nachlässt und Ruggiero entgleitet.
Als Orchester war in Aix – wie auch im Bach/Telemann-Konzert in Hamburg – das Freiburger Barockorchester dabei (mit dem russischen Chor MusicAeterna). Beide können die elektrisierende Spannung des Geschehens über die volle Distanz in jeder Sekunde aufrecht halten. Die Leitung hat der italienische Barock-Spezialist Andrea Marcon. Ein Fest für alle Sinne. Jaroussky singt Drama pur, verführerisch, mit müheloser Strahlkraft meistert er elegant schwindelerregende Koloraturen – unbedingt hörenswert und sehenswert wie die beiden Zauberschwestern und Kristina Bradic als Bradamante mit ihrem sinnlichen Mezzo. Das Sonderlob aber geht an den Knabensopran Elias Mädler in der Rolle des Oberto, Mädlers absolut sichere, klug gestaltende Stimme macht jeden Zuhörer staunen.
Eine intelligente, musikalisch fesselnde Aufnahme, die alles, wirklich alles hat, was die Magie einer solchen Barockoper ausmacht.
Georg Friedrich Händel: Alcina. Aufnahme vom Festival d’Aix-en-Provence 2015.
Mit Philippe Jaroussky, Patricia Petibon, Anna Prohaska u.a. Es spielt das Freiburger Barockorchester unter Andrea Marcon.
DVD oder BluRay, Warner Classics/Erato
YouTube-Video:
Philippe Jaroussky in Handel's Alcina, Aix-en-Provence 2015 (DVD & Blu-Ray)
Bach/Telemann: Sacred Cantatas.
Philippe Jaroussky und das Freiburger Barockorchester, Leitung: Petra Müllejans.
CD Warner Classics/Erato, 0825646491599
Abbildungsnachweis:
Festival d’Aix-en-Provence 2015 / P. Berger – Artcomart
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