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Wieniawski, Penderecki – musikalisches Erbe aus Polen

Überaus unterschiedlich sind sie und doch bauen die beiden hier besprochenen Alben polnischer Komponisten musikalisch und künstlerisch aufeinander auf.
Die Brüder Henryk (1835-1880) und Józef Wieniawski (1837-1912) stehen noch ganz in der Tradition des 19. Jahrhunderts, kannten aus dem Pariser Salon der Mutter polnische Emigranten wie den Musiker Frédéric Chopin oder Polens Nationaldichter Adam Mickiewicz persönlich sowie die kulturelle Elite des Landes jener Zeit. Beide Wieniawskis waren auf ihren Instrumenten (Violine und Piano) immens talentiert, studierten und arbeiteten in ganz Europa. Krzysztof Penderecki (*1933) ist einer der großen Meister der europäischen Avantgarde. Vergleichbar mit Arvo Pärt sind seine sonoren Kompositionen zunächst streng, kompromisslos und religiös. Erst durch die Beschäftigung mit der musikalischen Tradition wurden sie in den 1970er-Jahren zu einem erweiterten Klangraum.

Józef Wieniawski. Mit Leichtigkeit durchs musikalische Leben
Józef Wieniawski, der jüngere und heute weniger international bekannte der beiden Musikbrüder studierte gemeinsam mit Bruder Henryk am Pariser Konservatorium Komposition. Henryk war in ganz Europa für sein Violinspiel bekannt, lehrte am Konservatorium in Brüssel und war ständig auf Konzerttourneen. Wieniawski CoverJózef begleitete seinen zwei Jahre älteren Bruder zunächst als Pianist, bevor er sich Mitte der 1850er-Jahre entschloss, seine eigene Karriere zu fördern. Er entschied sich für ein Aufbaustudium in Weimar bei Franz Liszt und in Berlin bei Adolf Bernhard Marx. Die Anzahl seiner Kompositionen ist überschaubar, dennoch war er in seiner Wahlheimat Paris, später in Moskau und Warschau ein äußerst anerkannter Musiker, auch wenn heute kaum noch jemand seinen Namen kennt.
Unbeschwert, unaufgeregt und leichtfüßig sind seine Sonaten für Violine und Piano auf dieser CD. Wunderbar einfühlsam interpretiert von Tochter Liv (Violine) und Vater sowie Hamburger Musikprofessor Marian Migdal (Piano). Beide Musiker spielen die Wieniawski-Werke, dass der Hörer die technische Raffinesse und Virtuosität als selbstverständlich wahrnimmt, fast so als sei die lebensbejahende Art der Komposition die identisch gleiche der Interpretation. Man könnte beinahe von musikalischem „Understatement“ sprechen, so normal und transparent wirkt die hohe Qualität.

Krzysztof Penderecki at his best
Ein innovatives Meisterwerk ist „Powiało na mnie morze snów…“ (A sea of dreams did breathe on me…) von Krzysztof Penderecki aus dem Jahr 2010, eine Komposition mit polnisch-romantischer Lyrik. Die 22 einzelnen Lieder sind von Penderecki in drei Teile aufgesplittet und musikalisch geschickt mit- und ineinander verwoben: 1. „The enchanted garden“, sechs Lieder auf Grundlage eines Gedichts von Kazimierz Wierzyński (1894-1969) und weitere von anderen polnischen Lyrikern. Die fünf Lieder des 2. Teils „What is the night saying?“ basieren auf Gedichten von Leopold Staff (1878-1957) sowie Aleksander Watt (1900-1967). Schließlich folgt Teil 3, „I visited you in these near-final days…“, dessen elf Lieder mit weiteren, verschiedenen Gedichten polnischer Literaten seinen Höhepunkt findet. Lyrik von Cyprian Kamil Norwid (1821-1883) ist hier ebenso zu finden wie von Kazimierz Przerwa-Tetmajer (1885-1940), dem Romantiker Stefan Witwicki (1801-1847) und vom großen Romantiker und Nationaldichter Polens, Adam Mickiewicz (1798-1855).
Letztgenannter ging – wie bereits erwähnt – im Pariser Salon der Mutter der Wieniawski-Brüder ein und aus. Und hier schließt sich ein Kreis, denn Penderecki vertont Poetik-Werke der Lebenszeit von Józef und Hendryk Wieniawski.

Penderecki Cover„A sea of dreams did breathe on me…“ ist musikalisch irgendwo zwischen Maurice Ravel und Steve Reich angesiedelt, hervorragend umgesetzt vom Warschauer Philharmonischen Chor und Orchester unter der Leitung von Dirigent Antoni Wit, der zwei Jahre zudem Studienkollege von Penderecki war. Er ist definitiv der richtige Mann am Dirigentenpult. Hervorragend auch die drei stimmlichen Solisten dieser Aufnahme, die bereits 2012 in Warschau aufgenommen wurde. Mit dieser Einspielung kann man regelrecht zum Penderecki-Fan werden.

Sehr hilfreich ist die Tatsache, dass der Besitzer der CD auch die Lyrik im Begleitheft verfolgen kann – zumindest in der englischen Übersetzung. Davon auszugehen, dass bei uns jene Lyriker bekannt wären ist wohl hinfällig, allerdings ist bemerkenswert, dass auch die polnisch-ukrainische Lyrik jenen oszillieren Geist in sich trägt zwischen religiösem, bodenständigem und naturhaftem Denken und technischer, fortschrittlicher Aufklärung wie man es auch bei den Deutschen, Österreichern und Skandinaviern findet. An Dramatik fehlt es nicht.

Józef Wieniaski: Music for Violin and Piano
Liv Migdal, Violine / Marian Migdal, Piano
Label: Naxos
EAN: 747313340477

Krzysztof PendereckiI: Powiało na mnie morze snów… (A sea of dreams did breathe on me…)
Olga Pasichnyk, Sopran / Ewa Marciniec, Alt / Jarosław Bręk, Bass-Bariton
Warschauer Philharmonischer Chor und Orchester
Leitung Antoni Wit
Label: Naxos
EAN: 747313306275
Hörprobe


Abbildungsnachweis:
Header-Grafik, CD-Cover

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