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Adolf Busch & Busch Quartet

Die späten Streichquartette von Beethoven in historischen Aufnahmen von fast überirdischer Schönheit – eine Neuausgabe der Aufnahmen mit dem Busch-Quartett aus den Jahren 1928 bis 1949, digital remastered, macht das möglich. Dazu gibt es auf den 16 CDs noch viele Fundsachen aus den Archiven, die erstmals veröffentlicht werden.

„Die antisemitische Bewegung in Deutschland verschließt mir mein Vaterland – ich fühle mich als Deutscher von dem, was in dieser Beziehung geschieht, so angewidert, dass mir in der Atmosphäre die nötige Freude am Musizieren vergangen ist.“ So erklärte der Geiger Adolf Busch, warum er und sein Quartett nicht mehr in Deutschland auftreten würden. Einen Tag, nachdem im April 1933 erstmals jüdische Geschäfte angegriffen worden waren, brach er ein geplante Deutschland-Tournee ab. Er übersiedelte in die Schweiz nach Basel, wo er seit einigen Jahren einen Wohnsitz hatte. Ab 1938 boykottiert er auch das faschistische Italien und spielt dort nicht mehr. Aus dem „nicht mehr in Deutschland“ ließen die Wechselfälle des Lebens dann ein „nie mehr“ werden.
Das Quartett, eine der bedeutendsten und stilbildenden Kammermusikformationen jener Zeit, erlebte die nationalsozialistische Judenfeindlichkeit bis in die eigenen Reihen: Ihr Klavierpartner Rudolf Serkin und der Bratscher Karl Doktor waren jüdisch, und Adolf Buschs jüngster Bruder Hermann, der Cellist, hatte in eine jüdische Familie eingeheiratet. Sie waren in Deutschland unerwünscht. Aus Solidarität mit ihnen verweigerte sich Adolf Busch der Kooperation mit dem Nazi-Regime, das ihn sehr umwarb. „Unser deutscher Geiger“, so hatte ihn Hitler einst bewundert.
Auch Buschs älterer Bruder Fritz, damals Generalmusikdirektor der Semperoper in Dresden, zeigte Mut und Anstand. Er sagte Göring, der ihn unbedingt nach Berlin holen wollte, dass er nicht vorhabe, jüdischen Künstlern den Platz wegzunehmen. Als Göring ihm zu verstehen gab, man habe Mittel, ihn zu zwingen, sagte Fritz Busch: „An einem erzwungenen ‚Tannhäuser’ unter meiner Leitung werden Sie keine Freude haben.“ Am 7. März 1933 wurde er vor einer ‚Rigoletto’-Vorstellung von der SA vom Pult gebrüllt. Er verließ Deutschland und gründete in Großbritannien das Glyndebourne-Festival. Adolf und Fritz Busch mussten für ihre klare Haltung mit herben finanziellen Verlusten büßen.
Ob man diese schwere Bedrückung, diese existenziellen Konflikte der Musik des Busch-Quartetts anhört? Schwer zu sagen. Eine Box mit 16 CDs bringt jetzt wieder einen ordentlichen Teil der Ton-Aufnahmen heraus, die das Busch-Quartett, das Busch-Trio und die Busch Chamber Players hinterlassen haben und ermöglicht es, dieser Frage nachzuspüren.

Sohn eines Instrumentenbauers macht Bilderbuch-Karriere
Geboren wurde Adolf Busch 1891 als Sohn eines Instrumentenbauers und Geigers in Siegen. Bis zu seinem elften Lebensjahr hatte er gar keinen Geigenlehrer, „learning by doing“ hieß die Devise, er spielte mit dem Vater und seinem Cellisten-Bruder in Gasthäusern Tanzmusik.
Adolf BuschDann aber bekommt er Unterricht, und mit 19 Jahren erregt sein Geigenspiel bereits in Berlin und in Wien Aufmerksamkeit. Ab 1912 lebt er in Wien, leitet das Orchester des Konzertvereins und ab 1913 auch dessen Quartett. Nach dem Ersten Weltkrieg nimmt er eine Professur in Berlin an, gibt dort Meisterkurse und gründet das Quartett neu – diesmal unter eigenem Namen, er spielt die erste Geige. Ab 1921 spielt er mit dem jungen Rudolf Serkin im Duo Sonaten; Serkin wird 1935 Adolf Buschs Tochter Irene heiraten. Mit seinem Bruder Hermann treten sie als Busch-Trio auf, 1930 ersetzt Hermann auch Paul Grümmer, den vorigen Cellisten des Busch-Quartetts (der später einmal Nikolaus Harnoncourt unterrichten wird – so wie Adolf Busch seinen Geigenschüler Yehudi Menuhin).
1931 geht Adolf Busch mit Arturo Toscanini auf Amerika-Tournee; Toscanini widerrief 1933 kurz vor Beginn der Bayreuther Festspiele seine Zusage, dort zu dirigieren – wegen der ausländer- und judenfeindlichen Stimmung in Deutschland.
Die Warner-Box enthält Schallplatten-Aufnahmen mit Adolf Busch und seinen Ensembles, die zwischen 1928 und 1949 entstanden sind. Der Weltklasse-Geiger wurde seit 1926 von der Electrola umworben und hat sich früh für die neue Aufnahmetechnik interessiert. Die ersten Aufnahmen entstanden noch in Berlin; ab 1932 spielte das Busch-Quartett seine Aufnahmen für „His Master’s Voice“ und deren deutschen Ableger Electrola ein. Drei Aufnahmen sind nach dem Krieg und dem Tod Karl Doktors entstanden, in New York. Anfangs begrenzte das Format die Spieldauer einer Plattenseite noch auf 5 bis höchstens 6,5 Minuten. Eine technische Beschränkung, der das Fortlassen mancher Wiederholung geschuldet ist.
1935 in LondonDas aufgenommene Busch-Kernrepertoire wurde ab September 1932 in London eingespielt, in den berühmten Abbey Road Studios, die 1931 gegründet worden waren: Streichquartette, vor allem die späten, von Beethoven, Kammermusik von Bach, Mozart, Schumann, Schubert und Brahms, etwas Vivaldi, etwas Reger. Und Orchesterwerke von Bach: die sechs Brandenburgischen Konzerte und die vier Orchestersuiten.
Vor allem die späten Beethoven-Quartette waren es, die meine Aufmerksamkeit für das Busch-Quartett geweckt haben. Irgendwann Mitte der 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden sie im Radio ausgestrahlt, als ganze Werke, versteht sich. Und von einem hoffnungsfrohen Geigenlehrling auf Tonband gebannt. Ich weiß bis heute, wie mich diese Version des Adagios im a-Moll-Quartetts op. 132 bis in die Tiefen erschüttert hat. Wie ich Phrasierungen, Rubati und Bogentechnik bewundert habe. Vor allem aber lernte ich, welch starke emotionale Macht von diesen Tönen ausging, wenn sie so gespielt wurden.

Die Jagd nach den Aufnahmen – Fundgrube Hongkong
Das Busch-Quartett hat mich nach dem Tod meines Tonbandgerätes weiter begleitet – lange Zeit als fixe Idee, denn die Aufnahmen waren selten und teuer und schlecht: knisternd, verkratzt, mit Tonhöhenschwankungen – kurz: technisch von gestern. Das änderte sich erst mit dem Aufkommen der CD: Nach und nach erschienen mehr Aufnahmen, in kaum besserer Qualität, und kaum billiger. Ich weiß noch, was für ein Festtag es war, als ich in einem Plattenladen in Hongkong gefragt wurde, was ich denn suche, und in westlichem Hochmut antwortete: „Werden Sie kaum kennen: Busch-Quartett.“ „Busch-Quartett. Busch-Quartett murmelte der Verkäufer, wühlte ein bisschen in der Abteilung Kammermusik und „B“ und brachte an die zwölf CDs zu Vorschein, darunter abenteuerliche japanische Raubpressungen. Ich schlug zu. Kam glücklich nach Hause – und nur drei Wochen später brachte EMI eine Box mit vier CDs heraus, digital gereinigt, nahezu rauschfrei. Sammler-Glück und Sammlerpech.
Die EMI gehört nun zu Warner wie Parlophone. Und durch Wühlen in den Warner-Archiven ist der Schatz der Aufnahmen, die aufs Feinste digital remastered vorliegen, nun auf 16 CDs angewachsen: „Adolf Busch & Busch Quartet – The Complete Warner Recordings“. Bereits bekannte Aufnahmen, weniger bekannte und sogar verworfene Aufnahmen die hier ersten Mal veröffentlicht werden. Eine editorische Großtat.
Denn in unterschiedlichen digitalen Reinigungsprozessen in den vergangenen 25 Jahren haben die Aufnahmen ausnahmslos gewonnen, sie klingen nicht schmal oder blechern, sondern warm und rund und voll.
Aufnahmen, die manchmal atemlos machen: Natürlich die späten Beethoven-Quartette, die ich nun wieder in grandioser Intensität, Intimität, ganz nach innen gespielt hören kann – Stücke wie das besagte Adagio, vom Komponisten bezeichnet als „Molto Adagio – Neue Kraft fühlend – Andante. Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart“ reichen weit hinein in ein spirituelle Dimension. Dichter kommt man selten an die Seele der Musik. Gespielt wird das mit scheinbar endlosen Bogenstrichen, einem ganz großen Atem, nahtlosem Legato, teilweise ganz ohne Vibrato. Anderes ist knackig, Struktur und Rhythmus pur. Neu war damals auch, dass ein erster Geiger seinen Primat nicht mehr durchsetzte, sondern sich als Teil eines dicht gewebten Klangs verstand, in dem er sich unterordnete.
Einen Hauch von Ewigkeit und Momente geradezu überirdischer Schönheit gibt es aber nicht nur beim Busch-Beethoven. Unter die Haut gehen auch Brahms’ Klavier-Quintett, seine Klavier-Quartette und Schuberts Fantasie für Violine und Klavier oder sein Streichquartett Nr. 14, „Der Tod und das Mädchen“. Und Bachs 2. Partita für Violine solo d-Moll – die mit der berühmten Chaconne. Und vieles andere.

Putzmunterer Bach ganz ohne Originalklang
Cover Adolf Busch & Busch Quartet – The Complete Warner RecordingsEine ganz besondere Entdeckung sind die Bach-Aufnahmen der Busch Chamber Players, die 1935 gegründet wurden und ohne Dirigenten spielten. Bei ihren „Brandenburgischen Konzerten“ – mit Rudolf Serkin als Piano-Continuo – folgen einem sehr langsam ausgelegtem ersten Konzert, das heute unsere Hörwahrnehmung extrem herunterbremst, putzmuntere muntere Aufnahmen, die staunen machen: ein 2., in dem George Eskdale die hohe Trompete bläst, als seien die Schwierigkeiten seiner Partie damals nicht für unspielbar erklärt worden. Ein 3. mit solistisch besetzten Stimmen, ein sehr munteres 4. Aufnahmen, 80 Jahre jung, die heute noch interessante Sichtweisen auf Bachs Musik ermöglichen – in Zeiten, da einige Originalklangmusiker eher daran interessiert sind, Geschwindigkeitsrekorde einzustellen.
Adolf Busch gründete im Exil, so muss man es nennen, das Lucerne Festival mit, wurde Konzertmeister des Festivalorchesters unter Toscanini. 1937 emigrierte er in die USA. 1940 erlitt er einen Herzinfarkt. 1945 löste sich das Busch-Quartett nach dem Tod von Karl Doktor auf, eine Neugründung spielte noch einmal von 1946 bis zu Buschs Tod im Jahr 1952 zusammen. Als Komponist, der er auch war, ist er heute nahezu vergessen. In diesen Aufnahmen aber lebt er weiter.

Adolf Busch & Busch Quartet – The Complete Warner Recordings
Box mit 16 CDs,
Warner Warner Classics
0825 6460 19311



Abbildungsnachweis:
Header: Busch Quartet. (c) Warner Classics
- Adolf Busch aged three and a half
- Busch Chamber Players London 1935
- Box-Cover

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