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Jonas Kaufmann

Jonas Kaufmann, Star-Tenor aus München und auf allen bedeutenden Bühnen der Welt zuhause, steht derzeit gleich mit vier Alben in den Top Ten der Offiziellen Deutschen Klassik-Charts: Als Spitzenreiter mit seinem aktuellen Puccini-Album „Nessun Dorma“, mit den Operettenschlagern von dessen Vorgänger „Du bist die Welt für mich“, mit einer Gesamtaufnahme von Verdis „Aida“ und mit Puccinis „Manon Lescaut“ auf DVD. Er könnte bald noch mehr Plätze erobern. Was hat dieser Tenor, das andere nicht haben?

Kaufmann La Fanciulla del WestDas kann man sich zum Beispiel auf seiner jüngsten Opern-DVD anschauen: Puccinis in einem Goldgräber-Camp im wilden Westen spielende „La Fanciulla del West“ – aufgenommen Ende 2013 in der Wiener Staatsoper. Kaufmann singt den hergelaufenen Banditen Dick Johnson. Und lässt wie kein Zweiter dessen sehnsuchtsvolle, schmachtende, verwundete, verliebte Seele sichtbar werden. Die Aufnahme zeigt ihn mit seinen damals 44 jugendlichen Jahren, die Stimme kraftvoll im Zenit. Was er durchaus braucht, denn seine Winnie, die man von den stimmlichen Anforderungen her gern als Brünnhilde des italienischen Meisters bezeichnen darf, ist keine Geringere als die Walküre-erprobte Nina Stemme.
Vielleicht schärft gerade ihre vokale Wucht die Wahrnehmung des eher zurückhaltend agierenden Jonas Kaufmann. Er spielt den Schurken, der qua Stimmlage schon gegenüber dem verschlagenen Sheriff-Beriton als Guter positioniert ist, hinreißend scheu, fast introvertiert, dabei fordernd und unsicher zugleich. James Dean als Tenor, mehr geht kaum. Ein Kollege von mir meint, der Dick Johnson Jonas Kaufmanns würde es selbst bei abgedrehtem Ton noch schaffen, dass die Zuhörerinnen schmachtend an seinen Lippen hängen. Vorteil Latin Lover.

Ein wunderbar baritonal gefärbter Tenor mit wärmendem Bronzeton
Bei aufgedrehtem Ton bezaubert Kaufmann vor allem durch seinen wunderbaren, eher baritonal gefärbten Tenor, dessen wärmender Bronzeton unter die Haut geht und bis in dunkle Tiefen reichen kann. Wobei vor allem seine Fähigkeit fasziniert, seinen Ausdruckskosmos mit vielen unterschiedlichen Stimmfarben zu füllen – wenn er sich denn mal frei macht vom heldischen Grundton, den das Publikum bei einem Weltstar offenbar als einziges erwartet. Den tenoralen Strahl bricht er immer wieder durch wunderbares Pianissimo, das Heroische erledigt er ohne gleißende und schneidende Schärfe, über die ganze Strecke gesehen wirkt er eher zurückhaltend, was in dieser Rolle, wo ihn die liebende Frau aus ziemlich misslichen Lagen herausholt und ihn am Ende sogar vor dem Strick bewahrt. Dafür dürfen sie dann mit einem regenbogenbunten Heißluftballon aus der emotionalen Hölle des Camps entschweben.
Kaufmann Nessun DormaEs ist bei Kaufmann gerade die nicht allzu häufige Einheit von großartiger Darstellung und hoher Gesangskunst, mit der er seine Fans betört. Er spielt absolut überzeugend, wozu ihm die Regie von Marco Arturo Marelli auch viel Raum lässt. Und er schafft es, auch musikalisch, auf schmalen Grat, der bei Puccini Kunst und Kitsch trennt, nicht auszugleiten.
Dazu Puccinis Partitur, die Franz Welser-Möst mit Orchester und Chor der Wiener Staatsoper bis in feinste Nuancen traumhaft sicher interpretiert. Der Komponist selbst hatte sie als seine gelungenste bezeichnete. Zu seinen modernsten gehört die „Fanciulla“ sowieso, die Musik beschwört ein imaginären amerikanischen Westen – so wie „Madama Butterfly“ Japanisches skizziert oder „Turandot“ Chinesisches. Und nicht selten hat man das Gefühl, dass Puccini hier schon spielt mit den illustrierenden Klangmöglichkeiten, die das neue Medium Film für den Umgang mit handlungsbegleitenden Tönen aufzeigt.
Ein großer Opernabend mit zwei Weltstars auf Augenhöhe.

Makellose Höhe, glaubwürdige Italianità, dramatischer Drive
Kaufmann An Evening with PucciniPlatz 1 der Klassik-Charts hat Kaufmann ebenfalls mit Puccini erobert. Ein klug zusammengestelltes „Best of“ für den Tenor, manchmal mit Partnerin. Natürlich mit den Opern-Hits, für die jeder gute Sänger der hohen Männerstimme Puccini auf Knien danken muss: „Donna non vidi mai“ aus „Manon Lescaut“, „O soave fanciulla“ aus „La Bohème“, „Recondita aarmonia“ aus „Tosca“ und das namengebende „Nessun dorma“ aus „Turandot“. Dazu kommen aufpolierte Juwelen aus unbekannteren Puccini-Werken: aus seiner ersten Oper „Le Villi“, aus „Edgar“, aus „La Rondine“, „Il Tabarro“, „Gianni Schicchi“ und „La Fanciulla del West“. Klug, weil so die Erwartungshaltung des Publikums immer wieder unterlaufen werden kann und Kaufmann wenigstens hin und wieder die eigentlichen Stärken seiner Stimme ausspielen kann. Die liegen einfach nicht nur in der makellosen Höhe, der glaubwürdig ausgespielten Italianità, viel dramatischem Drive und dem leider etwas zu oft heroischen Starktonsingen. Viel überraschender, viel anrührender ist er, wenn er sehnsuchtsvoll, zweifelgepeinigt oder leidumflort nach innen schaut, Charaktere behutsam gestaltet und dabei auch mal seinem fantastischen Pianissimo vertraut, mit dem er einst in Bayreuth im „Lohengrin“ die Gralserzählung zu einer magischen Größe geführt hat. So etwas findet auf dieser CD nur in wenigen allerzartesten Momenten statt.
Begleitet wird Kaufmann von Orchester und Chor der Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Antonio Pappano, die in Puccinis Melodie-Orgien spürbar zuhause fühlen. Bleibt zu hoffen, dass die Anforderungen der bestens vermarktbaren Zuschreibung „Startenor“ Kaufmann bei seinen Aufnahmen nicht auf Dauer zwischen die eng gestellten Leitplanken von Hörerwartungen zwängt, die ihn am liebsten reduzieren würden auf das Etikett „strahlender Held“. Er hat so viel mehr zu bieten.
So wie vermutlich auch das Booklet zur CD. 46 Seiten hat es und eine Mäuse-Schrift, zu der man eine Lupe mitliefern müsste.
Das Programm des Puccini-Samplers hat Kaufmann beinahe vollständig schon im Juni 2015 in der Mailänder Scala gesungen, mit dem Orchester des Hauses. Diese Aufnahme ist nun als DVD erschienen – auf diese Weise könnte sich Kaufmann in den Charts bald mit einem Programm zweimal wiederfinden.

Puccini: La Fanciulla del West
Inszenierung der Wiener Staatsoper, Dirigent: Franz Welser-Möst. Mit Nina Stemme, Tomasz Konienczny. DVD
Sony Classical
8887 5064 069
Video: Giacomo Puccini, "Ch'ella mì creda libero" (de La Fanciulla del West)

Jonas Kaufmann: Nessun dorma – The Puccini Album
Mit Kristine Opolais, Massimo Simeoli, Antonio Pirozzi. Orchester und Chor der Accademia Nazionale di Santa Cecilia. Leitung: Antonio Pappano. CD
Sony Classical
8887 5092 492
Video:
The Making of Nessun dorma

Jonas Kaufmann: An evening with Puccini
Filarmonica della Scala, Leitung: Jochen Rieder. DVD
Sony Classical
Video: Jonas Kaufmann: An Evening With Puccini - Official Trailer


Abbildungsnachweis:
Header: Jonas Kaufmann Puccini Album. Foto Julian Hargreave
CD und DVD-Cover

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