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Gulda Mozart

Im Sommer wird gern gebündelt und geboxt, Vorhandenes in mehr oder weniger handliche und preisgünstige CD-Pakete zusammengepackt. Eine kleine Preziose unter den Bündel-Angeboten hat die Deutsche Grammophone geschnürt. Sie recycelt alle bei ihr erschienenen Mozart-Aufnahmen von Friedrich Gulda: „Mozart – The Mozart Tapes – Concertos & Sonatas“. Kernstück: die großartigen, erst 2007 wiederentdeckten, ein Vierteljahrhundert lang vergessenen Aufnahmen der Mozart-Sonaten aus dem Jahr 1982.


Heiter auf der Paradiesesleiter – so wird Mozart gern gehört. Friedrich Gulda, enfant provocateur an den Tasten, ein ewiger Sucher und Finder, sorgt vor allem in seiner legendären Aufnahme der Mozart-Sonaten von 1982 dafür, dass tatsächlich die Erde bebt. Das Heitere seines Mozarts wohnt dicht neben Abgründen, es kommt gern mal ins Rutschen, und dann grollt es, dann bröckeln Konventionen, wird die Tonsprache hart, beängstigend, und wird für Momente hörbar, was gern unter Überzuckerung und harmlosem Wohlklang versteckt wird.
Dann werden Bassakkorde zuckende Donnerschläge wie im einleitenden Allegro von KV 332, brechen Akzentverschiebungen die rhythmische Erwartung, knallharte Vorschlagsnoten leiten nicht mehr servil zum Zielton über, sondern setzen grelle Kontraste in der angepeilten Harmonie. Durchführungen in Sonatensätzen nehmen überraschende, brutal unerwartete Abfahrten aus dem Mainstream in kühne, ungewohnte harmonische Modulationen. Und siehe da: Dicht neben der Konvention lauert Verwirrung, Störung, Wege ins Dunkle wie im ersten Satz von KV 333. Im Andante cantabile con espressione von KV 310 werden die düsteren Farben der Durchführung durch geradezu alttestamentarisch erratische Bässe kontrastiert, die entfernt an das Requiem erinnern.

Gulda spielt Mozart CoverFriedrich Gulda Mozart:

Gulda arbeitet wunderbar heraus, wie Mozart in den Durchführungen wegdriftet von der Norm, in sich selbst versinkt, unerhört neue Räume öffnet. Deren Türen kann man mit Zuckerguss abdichten oder, wie Gulda, weit aufreißen, die Brüche betonen, sie ins Licht ziehen. Dann spürt man: Mozart ist nicht nur der Namensgeber der gleichnamigen Kugel, sondern der Komponist, in dessen Musik Vorahnungen der Französischen Revolution schon sehr präsent sind – offen versteckt vor aller Ohren.
Nicht dass Gulda jede einzelne Note gegen den Strich bürsten würde – er tut das gerade in in dem Maß, dass man hinter der Klangschönheit die Möglichkeit des Aufmüpfigen, des Abgründigen ahnt – selbst dann, wenn er die berühmte A-Dur Sonate mit dem „alla turca“ des dritten Satzes doch eher sehr „brav“ spielt. Hat man andere Sonaten gehört, weiß man: Die Idylle trügt, sie hat längst Risse. Bei der c-Moll-Sonate KV 457 gelingt ihm das Kunststück, aus dem weichen Zugriff des Adagios plötzlich abzuheben, zu gleiten, schweben, fliegen in unvorhersehbare Richtungen, und zu landen in einer kompromisslosen, dunkel ahnenden Tonsprache, die Schubert vorwegnimmt. Andere, wie die „Dürnitz“-Sonate KV 284, entfalten große sinfonische Pracht. Mal werden die Tempi halsbrecherisch, die Töne dabei non legato in die Tasten gemeißelt, mal werden gerade die Pausen akzentuiert, der stille Gegenpol zum Klingen.
Mozarts begann nicht zufällig mit der Komposition von Klaviersonaten, als er 1775 die Violine, das Instrument, mit dem ihn der strenge Vater gequält hatte, selbstbewusst zur Seite legte. Zuvor hatte er seinem Violinschaffen mit den grandiosen Violinkonzerte die Krone aufgesetzt. Auch wenn er danach noch oft auf der Geige musizierte: Das Klavier war künftig sein Instrument, Ausdruck seines Selbstbewusstseins, das Instrument, mit dem er brillierte, staunen machte, neue Pfade beschritt.
Wie man an den älteren und neueren Sonateneinspielungen auf diesen 10 CDs hören kann, hat sich Guldas Mozart-Bild beständig gewandelt – „jede Station auf dem Weg zur Vollkommenheit kann in sich selbst perfekt und schön sein – man muss sie nur lieben -, obwohl es nur eine Station ist“, sagte er 1998.
Die konsequenteste Ausdeutung aber bleibt die November 1982 im Saal des Hotels Post in Weißenbach am Attersee eingespielte. Dort saß Gulda im Saal an einem Bösendorfer Imperial und spielte Mozarts Sonaten so ganz anders: „Nach strengster Gewissenserforschung bin ich darauf gekommen, dass der Herr noch viel eindrucksvoller ist, als ich immer schon angenommen habe.“ Die Aufnahmen sind im Klang trocken, fast ohne Hall, die Mikrofone waren dicht über den Saiten befestigt, so wie bei seinem dieser Tage auch wieder hoch gelobten „Wohltemperierten Klavier“. Über Guldas Grübeleien und Zweifeln wurde diese Aufnahme dann aber nicht veröffentlicht, später vergessen und erst sieben Jahre nach seinem Tod – er starb im Jahr 2000, am Geburtstag Mozarts, dem 27. Januar – auf CD zugänglich gemacht. Trotz fragwürdiger aufnahmetechnischer Qualität einiger weniger Tracks – die künstlerische Qualität erlaubt es allemal, dass auch die angehört werden dürfen.

Die DG-Box entschädigt dafür mit vier Klavierkonzerten, die Claudio Abbado am Pult der Wiener Philharmoniker dirigiert hat, aufgenommen 1974. Vier weitere Klavierkonzerte zeigen das Können des jungen Gulda in den Jahren 1954, 1955 und 1960. Dazu gibt es einige Vergleichsaufnahmen von Sonaten aus den Jahren 1948, 1978 und 1999 – zumindest die ersteren sind Lichtjahre von seiner Einspielung 1982 entfernt. Es findet sich sogar eine Aufnahme der c-Moll-Sonate KV 457 gespielt auf einem Clavinova, einem elektronischen Klavier, das auch hübsche Streichereffekte produziert. Das kann man so machen, es muss aber nicht.

Mozart spricht: Ich klimme heiter
auf der Paradiesesleiter
bald hinauf und bald hernieder;
kaum entschwunden, kehr’ ich wieder
und im Tanze allerorten
öffne ich des Himmels Pforten.
Wollt ihr mit mir fliegen, schweben,
lasst im Takt die Erde beben,
und im Nehmen und im Geben
unser ist das ew’ge Leben.


Friedrich Gulda, März 1995


Friedrich Gulda Mozart. The Mozart Tapes, Concertos & Sonatas
10 CDs, Deutsche Grammophon
Nr. 482 2418.

Hörbeispiele


Abbildungsnachweis:
Header: Friedrich Gulda
CD-Cover

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