Flow: Jazz and Renaissance - from Italy to Brazil
- Geschrieben von Claus Friede -
So haben sie John Dowland und Claudio Monteverdi sicherlich noch nicht gehört und Carlos Jobim und Miles Davis auch nicht.
Berufsskeptiker mögen sofort die Frage stellen: Muss man denn alles verbinden? Haben sie aber hineingehört in „Flow: Jazz and Renaissance – from Italy to Brazil“ des Lautenisten Axel Wolf und des Saxophonisten Hugo Siegmeth, kommen sie in den ‚Neugierde-Modus’. Die Musik, die kompositorisch Jahrhunderte auseinander liegt, funktioniert überraschend gut miteinander!
Berufsperfektionisten fragen sich, warum es „Jazz and Renaissance“ heißt und nicht umgekehrt. Das würde zumindest die zeitliche Entwicklung aufnehmen und erklären, warum das Album als Kammermusik eingeordnet ist und nicht im Bereich Jazz. Zugegeben, die Einordnung ist im Ergebnis zweitrangig und Suchende werden finden...
...und entdecken. Dass Jazz sein Improvisationsfeld auch in die Klassik ausstreckt, ist längst keine Besonderheit, schon gar keine Neuigkeit, andersherum schon eher. Was bringt einen Lautenisten dazu, sich mit Jazz zu beschäftigen? Die Antwort ist so banal wie unverhofft: Das Teilen einer Garderobe vor einem Auftritt. Barock-Duo trifft auf Jazztrio. Jeder spielt sich ein. Axel Wolf spielt zwei Quarten übereinander – und dann lege ich jetzt einmal improvisiert den Musikern die Worte in den Mund: „Das kenn ich, es ist ‚Round Midnight’ von Thelonius Monk“, (Hugo Siegmeth). „Es ist John Dowland, ‚Flow my tears’“, (Axel Wolf). So oder so ähnlich war es wohl. Man bleibt darüber im Gespräch, verabredet sich und spielt gemeinsam. Im September 2014 entsteht dann das Album und es fließen nicht nur Tränen, sondern ganze Klangteppiche.
Nicht nur die trübgedanklichen Dowland-Stücke reflektieren die Gefühlswelt – obwohl aus dem 16. Jahrhundert – noch heute eines Großteils der Menschen, auch die rhythmischen Carlos Jobim-Stücke tun es. Das lebensfrohe, lockere Leben Brasiliens, die jazzige Mitternachtswelt eines Miles Davis und Thelonius Monk begleiten eines jeden Fantasie. Die Musik ist wie ein Strandspaziergang bei dem der Strom der Gedanken plötzlich zeitlos in alle Ecken fließt. Die Instrumente Laute, Theorbe, Saxophon und Bassklarinette ergeben Antipoden und bringen doch deren Mitte ins Fließen.
Wir rücken beim Hören dieser CD ein Stück ab von der Vorstellung die Musik der Renaissance seien ausschließlich festgelegte Notationen, sie ist hörbar durchaus auch Improvisation und die Künstler der Zeit haben es mit Sicherheit genossen „Wildes Denken“ zuzulassen, besondern nach den festen Vorstellungen des klerikalen Mittelalters.
Die Wiedergeburt ist ein Wiederbeleben, ein Karma, ein Loslassen. Wenn Kapsberger auf Jobim trifft oder Frescobaldi auf Davis, dann fallen musikalisch alle Berührungsängste und Begründungen gegen ein Projekt wie „Flow: Jazz and Renaissance – from Italy to Brazil“. Dann trinken wir heute den Wein der damals gekeltert wurde und genießen ihn. Let it Flow!
Axel Wolf / Hugo Siegmeth: Flow: Jazz and Renaissance - from Italy to Brazil
Oehms Classics / Vertrieb Naxos
OC 1826
EAN 4260330918260
Werke von Richardo Rogniono, Girolamo Frescobaldi, Miles Davis, Tarquino Merula, John Dowland, Carlos Jobim, Giovanni Girolamo Kapsberger, Claudio Monteverdi, Giovanni Bassassano, Theolonius Monk, Bartolomeo Selma y Salaverde, George Gershwin, Alessandro Piccinini, Oscar Hammerstein und Jerome Kern
Hugo Siegmeth, Sopran- und Tenorsaxophon und Bassklarinette
Axel Wolf, Laute und Theorbe
Hörprobe
Abbildungsnachweis:
Header: Foto von Hugo Siegmeth: Marc Dietenmeier. Foto von Axel Wolf: Arne Schultz (rechts).
CD-Cover
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