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Die Stunde der Matrosen – Kiel und die deutsche Revolution 1918

Zehn Tage dauerte der Aufstand. Gemeint ist der Matrosenaufstand in Kiel. Der Aufstand brach Ende Oktober 1918 auf den Schiffen der Hochseeflotte vor Wilhelmshaven aus und verlagerte sich dann nach Kiel. Er brachte das Zweite Deutsche Kaiserreich ins Wanken. Das Ergebnis war die Abdankung Kaiser Wilhelms II. und die Ausrufung der Weimarer Republik am 9. November 1918.

Diese Besonderheit deutscher Geschichte zeigt die Ausstellung „Die Stunde der Matrosen – Kiel und die deutsche Revolution 1918“. Anhand von rund 400 Exponaten – darunter historische Fotos und Plakate, Flugblätter sowie Gemälde und Dokumente, werden die Ereignisse wieder lebendig. Das Kieler Schifffahrtsmuseum präsentiert bis zum 17. März 2019 den Matrosenaufstand mit verschiedenen Veranstaltungen und Ausstellungen: Seine Vorgeschichte sowie dessen Nachwirkungen bis in die heutige Zeit. Die chronologisch konzipierte Ausstellung ist in 63 einzelne Themenbereiche gegliedert, welche das lokale und überregionale Geschehen dokumentieren. Im Fokus stehen die Kieler Ereignisse von Anfang November 1918. Wie und warum entstand in einer kleinen Provinzstadt wie Kiel aus einem Protest einiger Matrosen eine sich über das Reich ausbreitende Revolution? Wie ist es dazu gekommen? Was bedeutet der Aufstand für den heutigen Bürger und die Demokratie?

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Nach jahrelanger Flottenaufrüstung der Supermächte Großbritannien, USA, Russland und Japan, begann das Deutsche Reich erst 1898 mit dem Aufbau einer eigenen Flotte. Der Marine- und Werftenstandort „Kiel“ war seit 1871 Reichskriegshafen und zu einer prosperierenden Großstadt herangewachsen. Doch das gesamte Gesellschaftssystem des Kaiserreiches war noch vom Adel und konservativem Bürgertum bestimmt und erfuhr auch in der wilhelminischen Zeit keinerlei Reformen. Nur ein kleiner Teil der Arbeiterschaft profitierte vom Wohlstand der Bevölkerung. Es gärte im Kaiserreich.

Durch die florierende Wirtschaft und den weltweiten Handel selbstbewusst geworden, fühlte sich das deutsche Kaiserreich berechtigt, „Weltpolitik“ zu betreiben. In der öffentlichen Meinung wurde die Flottenpolitik begeistert aufgenommen. „Wer das neue industrielle Deutschland will, der muß die Flotte wollen. In diesem Punkt ist unser Kaiser ganz modern“, schrieb Friedrich Naumann 1900. Der Kaiser selbst brachte es auf den Punkt: „Weltmacht als Ziel, Weltpolitik als Aufgabe und Flotte als Instrument“. In dem berühmten Daily-Telegraph-Interview von 1908 betonte Wilhelm II., das der gestiegene Welthandel auch eine starke Flotte erfordere: „Deutschland ist ein junges und wachsendes Reich. Es hat einen weltweiten, sich rasch ausbreitenden Welthandel. […] Deutschland muß eine machtvolle Flotte haben, um seinen Handel und seine mannigfachen Interessen auch in den fernsten Meeren zu beschützen.“

In England wurde der Aufbau einer deutschen Flotte allerdings als militärische Bedrohung angesehen. Das, obwohl die deutsche Flotte nie die Größe der britischen Royal Navy erreichen sollte. Der Konkurrenzkampf gipfelte letztendlich in einem Wettrüsten zwischen Großbritannien und dem Deutschen Kaiserreich.
Eine Welle nationaler Kriegsbegeisterung rollte zu Anfang des Ersten Weltkriegs durch die deutschen Lande: Getragen von einem überschäumenden Nationalismus, vom Militarismus und vom Aufbau der Kriegsmarine war die Bevölkerung sowie die militärische und politische Führung von einem schnellen Sieg innerhalb weniger Monate überzeugt. Dazu trug vor allen Dingen die Marine bei, ein Lieblingskind des preußischen Kaisers, der schon vor seiner Inthronisierung ein Faible für die Flotte zeigte.

Als am Ende des Ersten Weltkriegs 1918 das Reich vor dem Kollaps stand, wollte die Deutsche Seekriegsleitung die Kriegsschiffe nochmal in eine letzte Schlacht gegen die englische Royal Navy schicken – die Regierung und die Alliierten verhandelten bereits über einen Waffenstillstand. Gegen dieses sinnlose Himmelfahrtskommando, das eine Todesfahrt für Tausende von Seeleuten bedeutet hätte, wehrten sich die Matrosen und meuterten. Die Kriegsschiffe liefen nicht aus. Der Flottenchef, Admiral Hipper ließ aufgrund der Meuterei die Operation fallen und verlegte stattdessen das Geschwader nach Kiel. Noch auf der Fahrt durch den damaligen Kaiser-Wilhelm-Kanal, heute der Nord-Ostsee-Kanal, erfolgte eine Verhaftung und Internierung einiger Meuterer. Darauf versammelten sich am Abend etwa 250 Matrosen und sich solidarisierende Soldaten und Arbeiter im Kieler Gewerkschaftshaus und forderten die Freilassung der Gefangenen. Vergebens, am 4. November schlossen sich alle Kieler Marineeinheiten den Aufständischen an und es kam zum bewaffneten Aufstand mit mehreren Toten. Mit dem Ergebnis, dass sich die Kieler Demonstrationen wie ein Flächenbrand im gesamten Kaiserreich ausbreiteten. Die Seekriegsleitung musste nach dem Bericht des Flottenchefs am 7. November 1918 zugeben, dass sämtliche Geschwader der Großkampfschiffe sich in der Hand der Meuternden befänden, „…die formell zwar den Offizieren das Kommando überlassen, aber tatsächlich die Macht ausüben. Diese Verbände sind als Kriegsinstrument nicht mehr anzusehen.“ Der Bruder des Kaisers, Prinz Heinrich, Oberbefehlshaber der Ostseestreitkräfte, floh aus seiner Residenz, dem Kieler Schloss und zog sich auf sein Gut Hemmelmark bei Eckernförde zurück.
Ein 14-Punkte-Programm wurde aufgestellt, in dem die meuternden, rote Fahnen schwenkenden Revoluzzer die Beseitigung der Marineführung forderten, das Ende des Krieges und demokratische Alternativen zur Monarchie. Hinzu kamen politische Veränderungen wie die Abdankung des Kaisers, freies Wahlrecht – auch für Frauen –, Pressefreiheit sowie die Entlassung aller Gefangenen. Zwei Regierungsbeauftragte wurden als Moderatoren von Berlin nach Kiel geschickt, um mit den Matrosen zu verhandeln: der sozialdemokratische Abgeordnete Gustav Noske, der zum Vorsitzenden des Soldatenrates gewählt wurde und Staatssekretär Conrad Haussmann. Die Revolution war jedoch nicht mehr aufzuhalten: Im gesamten Reich entstanden nach russischem Vorbild Arbeiter- und Soldatenräte. Am 7. November riefen diese Revolutions-Organisationen dann in München die Republik aus – der letzte Wittelsbacher König Ludwig III. musste abdanken - und am 9. November in Berlin Kaiser Wilhelm II., der einen Tag später ins niederländische Exil nach Doorn in der Provinz Utrecht floh, am 11. November wurde der Waffenstillstand verkündet. Das Deutsche Kaiserreich existierte nicht mehr.
Und die kaiserliche Marine? Die Selbstversenkung der Kaiserlichen Hochseeflotte erfolgte gemäß der Waffenstillstandsvereinbarung im Juni 1919, als sie von der Royal Navy in der Bucht von Scapa Flow auf den Orkney Inseln interniert worden war.

Matrosenaufstand BuchumschlagWas bedeutet nun der Matrosenaufstand von 1918 für den heutigen Bürger? Fragen, die von den heutigen Historikern kontrovers diskutiert werden und die jeder Besucher für sich selbst beantworten muss. Fakt ist, das innerhalb von nur zehn Tagen das Kaiserreich, das immerhin auf eine fast tausendjährige Geschichte zurückblickten konnte, unterging und der Erste Weltkrieg beendet war. Es begann die erste Demokratie in Deutschland: die Weimarer Republik. Fakt ist auch, das ein couragierter Kreis von einfachen Matrosen, Arbeitern und Soldaten sich der Obrigkeit widersetzte und so einen politischen Systemwechsel erreichte. Deshalb ist der Begriff Novemberrevolution als Folge des Matrosenaufstandes unstrittig und korrekt, so der Historiker Uwe Danker.

Mit dem Denkmal „Wik-Feuer aus den Kesseln“ des Künstlers Hans-Jürgen Breuste im Ratsdienergarten wird seit 1982 an den Matrosenaufstand erinnert, am Gewerkschaftshaus in der Legienstraße weist eine Tafel auf den Arbeiter- und den Soldatenrat hin. Eine Gedenktafel markiert den Ort der ersten Toten in der Feldstraße, dort wo sich bis 1964 das Gebäude der Marinearrestanstalt befand, und eine Stele am „Platz der Kieler Matrosen“ auf den Platz der Aufständischen. Die Info-Stele Kiellinie/Kösterallee erinnert seit April 2018 an Gustav Garbe, den nachfolgenden Vorsitzenden des Arbeiterrates und Gouverneur des Kieler Arbeiter- und Matrosenaufstands und weist gleichzeitig auf die gegenüberliegende, nach ihm benannte Brücke hin. Die Gefallenen des Matrosenaufstands sind auf dem Nordfriedhof und dem Parkfriedhof Eichhof beigesetzt worden.

„Die Stunde der Matrosen – Kiel und die deutsche Revolution 1918“

Die sehr informative Ausstellung ist bis zum 17. März 2019 im Schifffahrtsmuseum, Wall 65, 24103 Kiel, zu besichtigen.
Die Öffnungszeiten sind Dienstag-Sonntag 10-18 Uhr, zusätzlich Donnerstag bis 20 Uhr, Montag geschlossen.

Katalogbuch: Die Stunde der Matrosen. Kiel und die deutsche Revolution 1918
Herausgegeben von Sonja Kinzler und Doris Tillmann
In dem von Museumsdirektorin Dr. Doris Tillmann und der Historikerin Sonja Kinzler herausgegebenen Band diskutieren Fachautor*innen in 40 Essays die Voraussetzungen und die Bedeutung der Revolution, die die Umbruchsphase zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik markiert. Über 200 historische Fotos, Gemälde, Flugblätter und Plakate illustrieren die 304 Seiten starke Publikation und geben einen spannenden Einblick in die zeitgenössische Medien- und Bilderwelt.
Darmstadt: Theiss (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2018, ISBN: 978-3-8062-3698-9. 304 Seiten, 215 Abbildungen, Literatur- und Autorenverzeichnis, englische Abstracts zu den Beiträgen. Hardcover, Auflage: 4.000, Erhältlich im Buchhandel (29,95 Euro), Museumsausgabe während der Laufzeit in der Ausstellung des Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseums (19,95 Euro)

Weitere Informationen
- 100 Jahre Kieler Matrosenaufstand
- Die Stunde der Matrosen – Kiel und die deutsche Revolution 1918
- Kiel steht auf für Demokratie, Programmfolder

Zusätzliche Informationen
Zeitleiste zum Kieler Matrosenaufstand – 1918 und zu den Februarereignissen 1919 in Kiel


Abbildungsnachweis:
Header: Blick ins Schaufenster des Museum mit Ausstellungstitel. Foto: Christel Busch
Galerie:
01. Kundgebung auf dem Wilhelmplatz am 10. November 1918. Am selben Tag werden die Toten vom 3. November auf dem Eichhof zu Grabe getragen (Ernst Meyer zugeschrieben, Stadtarchiv Kiel 68287)
02. Erich Krause: Matrose, 5. November 1918, Aquarell, Pastell-, Kohlezeichnung. Quelle: Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum.
03. Am 9. November abends berichtet die Kieler Zeitung, dass der Kaiser abgedankt hat, Wilhelm Ebert das Amt des Reichskanzlers übernommen hat und die Kampfhandlungen an der Front eingestellt sind.
05.
Blick in die Ausstellung. Foto: Christel Busch
Im Text: Umschlag des Katalogbuchs zur Ausstellung

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