Mystisch, suggestiv und virtuos getanzt: Mit der Uraufführung „Marry me in Bassiani“, einer Produktion des französischen Künstlerkollektivs (La)Horde in Zusammenarbeit mit der 15köpfigen georgischen Iveroni Group, gelang dem Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel (endlich einmal wieder) ein spektakulärer Auftakt. Im Zentrum ein georgischer Hochzeitstanz.
Ein raumgreifendes, düster-drückendes mittelalterliches Kathedralen-Portal mit Reiterstandbild. Vor den Stufen ein mit weißen Rosen geschmückter Altar, links und rechts die herausgeputzten Hochzeitsgäste, anfangs brav und still auf den Stühlen sitzend. Hinter ihnen der nervös wartende, ständig auf die Uhr schauende Brautvater. Das wird keine fröhliche Hochzeit, das ist auf den ersten Blick klar. Die ganze Szenerie wirkt wie ein Begräbnis, zumal die schöne Braut, die sich zwischen den Pilastern seitlich ins Bild schiebt, sich gleichsam anschleicht, widerwillig, mit der theatralischen Attitüde eines Klageweibes, die kommenden 80 Minuten so grenzenlos traurig und ernst dreinblickt. Diese Heirat ist zweifellos eine Zwangsheirat. Weil Kirche, Staat und Vater es so wollen. Und dann setzt der Tanz ein. Furios. Atemberaubend. Schwindelerregend. Zuerst ein (wortwörtlich) funkensprühender Schwertertanz, der sich offenbar aus dem Kampf entwickelt hat. In akrobatischen Sprüngen und blitzschnellen Drehungen wirbeln die Tänzer, später auch die Tänzerinnen – ehemals Mitglieder des Georgischen Nationalballetts – zu immer härteren Techno-Beats über die Bühne. Die traditionellen georgischen Volkstänze, die während der kommunistischen Ära liebevoll gepflegt wurden und damit eine Form des friedlichen Widerstandes gegen die kulturelle Hegemonie der Sowjetunion waren, stehen im Zentrum des eindrucksvollen Abends. Ihn deshalb als etwas Folkloristisches abzutun, das mit Technomusik zeitgemäß aufgepeppt wird, wäre jedoch viel zu kurz gegriffen.
Marine Brutti, Jonathan Debrouwer und Arthur Harel, die drei Künstler*innen, die 2013 das Medienkunstkollektiv (La)Horde gründeten, entwickelten mit verschiedenen Gruppen und Communities in den vergangenen Jahren zahlreiche Choreografien, Filme, Installationen und Performances. So erfolgreich, dass ihnen ab September 2019 die Leitung des Ballet National de Marseille anvertraut wird. In „Marry me in Bassiani“ verweben sie sehr subtil die tradierten Tänze Georgiens und die patriarchal geprägte Gesellschaft mit dem Aufbegehren der Jugend gegen die strengen Traditionen. Das wird ganz unmittelbar deutlich durch das bleiern schwere, bedrohlich düstere Bühnenbild. Dieses mächtige Kathedralen-Portal, das die Tänzer zum Schluss förmlich zu erdrücken scheint, wenn es immer dichter auf den Zuschauerraum zufährt. Das wird deutlich, wenn die Frauen diesen aggressiv-physischen Tanz tanzen, der seit übertausend Jahren ausschließlich den Männern vorbehalten war. Oder wenn die Braut - selbst auf einen Sockel gestellt und durch den Raum getragen – im Zeitlupentempo dem Reiterstandbild zu Leibe rückt und den König enthauptet. Eine Wahnsinns-Sequenz, in dem alle Beteiligten wie im Schrei, mit offenen Mündern, erstarren – absolut surreal und Albtraum-haft, wie so viele Szenen des Stücks.
Um die politischen Dimensionen dieser Inszenierung zu begreifen, ist es von Vorteil, die Hintergründe zu kennen. Bassiani ist der Name eines Technoclubs in Tiflis, dem größten und wichtigsten in ganz Georgien. Hier trifft sich die Szene, die das offizielle, von orthodoxer Kirche und Stalinismus geprägte, homophobe Georgien am liebsten nicht wahrhaben würde: Schwule, Lesben, Transgener. Das Bassiani, 2014 in den Katakomben eines Fußballstadions eröffnet, ist zum Sinnbild für individuelle Freiheit und gesellschaftlichen Wandel geworden. International bekannt, zumindest in der Techno-Szene, wurde das Bassiani nach Polizei-Razzia und Schließung. Im Frühjahr 2018 tanzten zehntausende junger Menschen zu lauter Technomusik vor dem Parlament in Tiflis für ihre Rechte. Die live in den sozialen Medien übertragenen Massenproteste lösten in ganz Europa Solidaritätswellen aus – und führten schließlich dazu, dass der Club bleiben durfte.
„We dance toghether, we fight toghether“ heißt seitdem die Losung, auch für „Marry me in Bassiani“. Wie schön, auf dem Internationalen Sommerfestival doch noch überrascht zu werden. Zehn, fünfzehn Minuten kürzer und es wäre perfekt gewesen.
Internationales Sommerfestival 2019, Kampnagel
(LA)HORDE: Marry Me in BassianiWeitere Informationen
Dauer: ca. 75 Min.
Tickets: 44/36/24/14 Euro (erm. ab 9 Euro, 50% erm. mit Festivalkarte)
Do, 08.08.2019 20:30 [Publikumsgespräch]
Publikumsgespräch im Anschluss an die Vorstellung
Bühneneinführung vor der Vorstellung
Kampnagel – K6
Fr, 09.08.2019 20:30
Kampnagel – K6
Sa, 10.08.2019 20:30
Kampnagel – K6
Abbildungsnachweis:
Header: LA HORDE: Marry Me in Bassian. Foto: Anja Beutler
Foto: Marry Me in Bassiani,LA HORDE. Foto: Aude Arago
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