Theater - Tanz

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Ohnsorg-Theater:

Bei Gerhart Hauptmanns Dramen denkt man nicht automatisch ans Hamburger Ohnsorg-Theater – und umgekehrt. Aber eine gemeinsame Tradition ist durchaus vorhanden, in den 1990ern gab es hier den ‚Bieberpelz’, ‚Rose Bernd’ und ‚Fuhrmann Henschel’.
Diesmal hat sich Chefdramaturg Frank Grupe des schweren Stoffs angenommen und ihn mit geschickter Hand zurechtgestutzt sowie geplättet: "Ehr de Sünn ünnergeiht". (Die hervorragende Regie hat er außerdem zu verantworten.)
Wie wohltuend, wenn es mal nicht darum geht, dass jemand seine ‚Auffassung’ in den Vordergrund drängelt und damit einen Klassiker bis zur Unkenntlichkeit entgrätet!

Grupe hält sich so weit wie möglich an die Vorgabe; von ursprünglich 18 Darstellern (und einer Handvoll Kinder) treten bei ihm immerhin noch 16 Personen auf – oder 17: Oberbürgermeister und braver Onkel werden beide von Peter Wohlert dargestellt.

Das Stück dauert, nach respektvollen Strichen, etwa zweieinhalb Stunden und teilweise sind sogar winzige Details erhalten; steht im Original: Einige der davoneilenden Gäste haben das Zimmer gekreuzt, darunter ein Musiker mit seinem Instrument – dann flitzt da tatsächlich kurz besagter Musikant im Hintergrund über die Ohnsorg-Bühne…

Und wo ursprünglich vom zoologischen Garten die Rede ist, da heißt es jetzt natürlich ganz treffend: Hagenbeck. Interessant, wie gut sich das Plattdeutsche in diesem Fall einpasst, wie es ohne weiteres die ernste Färbung trägt.

Ein besonderes Lob sei Félicie Lavaulx-Vrécourt gespendet, die Kostüme und Bühnenbild schuf. Modisch hat sie dem Stück einen kleinen Schubs gegeben zum Ende der 1930er, teilweise Anfang der 40er Jahre (Beate Kiupel trägt beispielsweise schon eine ‚Entwarnungs’-Frisur, die ihr reizend steht), und da sitzt es perfekt. Die Kulisse orientiert sich weitgehend an der Original-Vorgabe von Hauptmann und mit einer sekundenschnellen Stoffraffung wird aus dem feinen Bürgerheim die dürftigere Behausung von Inkens Familie. Dadurch, dass Kostüme und Hintergrund aus einer Hand kommen, entsteht außerdem eine vollendete Harmonie der überwiegenden Braun- und Blautöne in beidem.

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Als der löwenköpfige Nobelpreisträger zwischen 1928 und 1931 dieses Drama verfasste, hat er es sich gegönnt, eine gängige Perspektive rigoros umzukrempeln.
Selbst im 21. Jahrhundert hätte ein erfolgreicher, geachteter Bürger mit vier erwachsenen Kindern (sowie einem voll im Familienbetrieb engagierten Schwiegersohn), der plötzlich nicht nur ein Verhältnis mit einem etwa 50 Jahre jüngerem Mädchen anfängt, sondern sie auch noch heiraten und mit ihr in die Schweiz auswandern will - und ihr obendrein kostbare Schmuckstücke der verstorbenen Gattin schenkt - bestimmt nicht die heitere, ungeteilte Zustimmung seiner Umgebung.

Wenn dann die ohnehin etwas matte Reputation des jungen Mädchens auch noch böse Kratzer aufweist (ihr Vater hat in Untersuchungshaft Selbstmord verübt), wenn man dazu rechnet, dass der alte Herr, über den Protest seiner Kinder in Zorn geraten, den Schwiegersohn umgehend feuert, den Familienbetrieb zugunsten des Schweizer Alterssitzes verscherbeln will, das Portrait der Mutter seiner Kinder mit einem Messer zerfetzt und anschließend weitere Familienfotos und anderen Hausrat zertrümmert, dann ist die Überlegung, ob so ein wild gewordener Greis nicht in der Tat ruhig gestellt werden sollte, um die Normalwelt in den Angeln zu halten, eigentlich gar nicht so weit hergeholt. Würde unsereiner, an Stelle der Erben, Papa das späte Glück von ganzem Herzen gönnen, auf ’s Erbe pfeifen und halt nach einem anderen Job suchen?



Hauptmann, der sich ja auch seine 16jährige Iduscha geleistet hat (Genies konnten sich schon immer etwas mehr erlauben) zeigt das Liebespaar, den geheimen Kommerzienrat Mathias Clausen (Joachim Bliese) und das Mädchen Inken (sympathisch und glaubhaft: Sonja Stein) sowie seine wenigen Anhänger als die Guten, Vernünftigen. Den schäbigeren Charakter besitzen ihre Gegner, die Clausen-Kinder und mit ihnen im Bunde Justizrat Hanefeldt (aalglatt: Nils Owe Krack).
Dabei sind die eigentlichen Kinder – die älteste Tochter Bettina (Meike Meiners), die altjüngferlich den Vater anhimmelt, Wolfgang, der Philosophieprofessor (Oskar Ketelhut), dessen weiche Rübe sein Vater bereits kurz nach der Geburt zurechtkneten musste, die nervöse, allzu nachgiebige Ottilie (Beate Kiupel) und der fröhlich-unbedarfte Jüngste Egert (Erkki Hopf) eher schwächlich als böse. Vor allem, wenn man sie an ihren Ehepartnern misst, der kaltschnäuzigen, arroganten Frau Professor (Birte Kretschmer) und dem rotgesichtigen Berserker Erich, Ottilies Gatten (Till Huster).

Die beiden angeheirateten Verwandten legen dann auch mit Erpressung und Bestechung los, indem sie Inkens biederer, aber skeptischer Mutter (Ursula Hinrichs) größere Summen anbieten, mit der Auflage, zu Verschwinden oder sie mit anonymen Postkarten drangsalieren, die dasselbe Ziel verfolgen.

Ruhige Pole in diesem Wirbel sind die beiden Freunde und Vertrauten des Geheimrats, zum einen, mit wunderbar kopfschüttelnden Grimm, Sanitätsrat Dr. Steynitz (Wilfried Dziallas) zum anderen, ratlos angesichts der Tragödie und stets in der Hoffnung, alle könnten sich doch noch irgendwie einigen, Professor Geiger (Jürgen Lederer).
Der bärtige Pastor Immoos (mit teilweise fast Peter-Ustinovschem Charme: Horst Arenthold) weiß eigentlich gar nicht so recht, zu wem er halten soll und will doch, händeringend, nur das Gute.

Bis hin in die kleinen Nebenrollen (Mathias Junge als Sekretär und Wolfgang Sommer, der ausgerechnet den Diener namens Winter spielt) gibt jeder sein Bestes, und was sie geben, ist wirklich vom Feinsten. Hier beweisen die Ohnsorgs, wie viel Intelligenz und Könnerschaft dazu gehört, Lustspiel und Schwank zu produzieren und dass sie, bei Bedarf, eben auch ganz anders können.
Allen voran und gar nicht genug zu loben Joachim Bliese, der übrigens sein 50jähriges Bühnenjubiläum feierte, in der Hauptrolle.

Er ist der zurückhaltende, elegante, selbstsichere Mann, dessen Ausstrahlung so beeindruckt, dass wir Inken verstehen, die, als ihre Mutter sie ein weiteres Mal auf den enormen Altersunterschied hinweist, erklärt, sie hätte eigentlich das Gefühl, dass es ihm nicht viel ausmache. Und er ist der aus dem Liebesglück hart gestürzte Vater, dem die eigenen Kinder plötzlich wie ihn hetzende Bestien vorkommen, der völlig außer sich gerät vor Wut und Verzweiflung und der zum Schluss, mit ganz leerem Gesicht, das Gefühl der Liebe und seinen Lebenssinn verliert – grandios!

Im Programmheft steht, aus einer Kritik zur Uraufführung des Dramas 1932 in Berlin von Stefan Grossmann: "Seit vielen Jahren hat so heißer Jubel das Deutsche Theater nicht durchbraust. Das Thema erregte die Zuschauer, fast nur aus Fünfzig- und Sechzigjährigen bestehend, die hier ihr ‚Recht auf das letzte Erlebnis’ glühend proklamiert sahen…"

Nun muss ich zwar zugeben, dass tatsächlich die Mehrzahl der Besucher silberhaarig war. Aber ich glaube trotzdem, was das würdige Publikum nicht nur zu donnerndem, endlosem Applaus, sondern sogar zum Trampeln und Johlen brachte, war weniger die Aussage des Stückes als vielmehr die Begeisterung für einen ganz, ganz großen Theaterabend bei Ohnsorgs…

Die Uraufführung war am 4.10.2009
Fotos: Jutta Schwöbel

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