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Ja, und dann haben Maya Franke und Doris Happl eine Bühnenfassung erstellt. Im Oktober 2009 war im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg Premiere (Regie: Crescentia Dünßer), im März gibt es weitere Vorstellungen.
Das Stück hält sich ganz eng an die Buchvorlage und ist trotzdem alles andere als eintönig.
Weil das Gerede jetzt Gesichter bekommt?
Durch das ganz hervorragende Ensemble?
Sieben Darsteller verkörpern durch geringe Änderungen der ohnehin schlichten Kostüme (Annie Lenk) zweiundzwanzig verschiedene Personen, vom verhalten bösartigen alten Tannödbauern (Jürgen Uter) über den scheinheiligen Bürgermeister mit Adenauerbild hinter sich und die kokett-eifernde Pfarrersköchin bis zur demütig-ergebenen Magd (eindrucksvoll: Marie Leuenberger).
Nur Philipp Otto (mit leicht stummfilmartig umrandeten Augen) ist und bleibt ‚Er’, ein finsterer, namenloser Kommentator.
Da es sich, ganz wie im Roman, um gesammelte Monologe handelt und außer dem Morden nicht viel zu tun bleibt, wird nahezu ausschließlich gesprochen.
Das Bühnenbild (Otto Kukla) ist eine Art langer, hölzerner Schacht mit einigen Türen und Fenstern und einer Luke auf’s ‚Dach’ sowie wenigen Stühlen darin. Das ergibt Bauernhaus und Scheune und wird immer wieder von den Schauspielern gedreht, manchmal von nur einem, furchtbar lang- und mühsam, manchmal von mehreren so wild immer wieder herum, dass es dem Publikum die Klimaanlage ersetzt.
Eine zunehmende Schweinerei gibt es auch, im Lauf des Abends bedeckt sich die ursprünglich saubere Bühne durch einige beiläufige Requisiten mit weißen Flocken, Strohhalmen, Gartenerde und Wasser, dass es nur so eine Freude ist.
Gespart wird hingegen in dieser eigentlich total blutigen Angelegenheit mit Blut und anderen Schockelementen.
So deutet Crescentia Dünßer die Spannung des Inzest-Verhältnisses zwischen Vater und junger Bäuerin nur an, indem der Alte mit starrem Blick, neben seiner Frau sitzend, das Bein der Tochter streichelt. Mehr hat die exzellente Inszenierung nicht nötig, die dem Zuschauer Raum für die eigene Vorstellung gibt.
Und tatsächlich: selbst, wenn man das Buch und die Historie des Bayrischen Massakers noch so gut kennt, bekommen es die vier Damen und vier Herren vom jungen Schauspielhaus fertig, über 1 ¾ Stunden ohne Pause die Spannung zu halten, ob sie nun dabei ihren sehr persönlichen Stil pflegen wie Marco Albrecht und Tim Grobe oder sich völlig der jeweiligen Rolle unterordnen wie Hedi Kriegeskotte und Helene Grass. Lisa Stiegler ist mit ihrem klaren, zarten Gesicht erschütternd echt in den Kinderrollen.
Ich hatte es nicht erwartet; diesmal fand auch ich ‚Tannöd’ fabelhaft.
Tannöd
von Andrea Maria Schenkel. Bühnenfassung von Maya Fanke und Doris Happl
Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Malersaal
Foto Header: Hedi Kriegeskotte, Jürgen Uter, Marie Leuenberger, Lisa Stiegler © Kerstin Schomburg
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