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Die schrecklichsten, blutigsten Katastrophen haben häufig immer noch ein Gutes: einen hohen Unterhaltungswert.
Allein die Weltkriege bieten unbegrenzt Stoff, von ernsthafter Dokumentation bis zu ‚so-hätte-es-doch-eigentlich-auch-sein-können’ (Hitler verbrutzelt in Pariser Kino).
Dasselbe gilt für Kriminalfälle, bevorzugt solche, die nie gelöst wurden. So gesehen hat Jack The Ripper viel für die Kultur getan.
In der Nacht vom 31. März auf den ersten April 1922 wurden auf dem Einödhof Hinterkaifeck in Oberbayern sechs Menschen mit einer Spitzhacke niedergemetzelt: der Hofbesitzer und seine Frau, ihre Tochter, die beiden Enkel (sieben und zwei Jahre alt) sowie eine Magd, die am selben Tag ihren Dienst auf dem Hof angetreten hatte. Erst vier Tage später wurden die Leichen entdeckt. Merkwürdigerweise stellte sich heraus, dass in der Zwischenzeit der Hund und das Vieh gefüttert worden waren, die Kühe gemolken, die Brotvorräte aufgegessen, das Rauchfleisch angeschnitten, zweifellos vom Mörder. Ein Mechaniker reparierte sogar, wie vorher beauftragt, auf dem offenbar menschenleeren Hof eine Maschine, ein Postbote brachte Briefe, beide wunderten sich über die Stille. Andererseits rauchte ja einige Tage lang stets der Schornstein des Einödhofs.
Den – oder die - Täter hat man nie gefunden.
Wer das Stichwort ‚Hinterkaifeck’ googelt, erhält ‚ungefähr 442.000 Seiten auf Deutsch’. Das spricht für ein gewisses Interesse an dem Fall. Vor ungefähr sieben Jahren bot ein Alpenverein hier sogar ‚Gruselwanderungen’ an – und das, obwohl der ‚Mordhof’ etwa ein Jahr nach dem Verbrechen abgerissen wurde, man also nur noch ‚die Stelle’ zeigen konnte.
Vor allem der Journalist Peter Leuschner hat sich jahrelang damit beschäftigt und ausführliche Dokumentationen herausgegeben. Sein erstes Buch erschien 1978, ‚Hinterkaifeck, Deutschlands geheimnisvollster Mordfall’, das zweite: ‚Der Mordfall Hinterkaifeck, Spuren eines mysteriösen Verbrechens’ 1997.
Im Januar 2006 kam dann ‚Tannöd’ heraus, ein Werk, das vom Umfang an Japanische Kalligraphie oder ein Haute Cuisine-Dessert auf einem Riesenteller erinnert: sehr viel leerer Platz um einen Klecks, gutwillig betrachtet 128 Seiten und eine endlose ‚Litanei zum Troste der armen Seelen’, die allerdings ausgezeichnet in den Zusammenhang passt.
Autorin Andrea Maria Schenkel versetzte das grausige Geschehen in die heile Welt der Fünfziger Jahre und leistete es sich, unter den seit fast 90 Jahren Verdächtigen einen Mörder auszumachen. (Beides half ihr, den empörten Plagiats-Protest von Ur-Hinterkaifeck-Forscher Leuschner in letzter Instanz niederzuschlagen.)
Elke Heidenreich, damals noch eifrig bemüht, das deutsche Volk zum Lesen! zu ermuntern, empfahl ‚Tannöd’ in ihrer Sendung als fabelhaft und unglaublich, was nicht ganz wirkungslos blieb.
2007 erhielt das Buch den Deutschen Krimi Preis sowie den Friedrich-Glauser-Preis, 2008 wurde es mit dem Martin Beck Award für den besten internationalen Kriminalroman ausgezeichnet und es verkaufte sich inzwischen über eine Million Mal.
Ich muss zugeben, dass sich mir das Fabelhafte an ‚Tannöd’ beim Lesen nicht recht erschloss. Ich fand es ganz interessant, aber auch recht eintönig.
In sehr kurzen Abschnitten kommen Dorfbewohner wie in dokumentarischen Interviews zu Worte, Beobachter, Beteiligte, solche, die damit zu tun hatten und solche, die nichts damit zu tun haben wollen. Dazwischen wird ebenso knapp beschrieben, was die Opfer erlebten und wie sich der Mörder fühlt. Zwar hat die Autorin versucht, der verwirrten Alten eine andere Stimme zu geben als dem kleinen Mädchen, aber sie sprechen eben doch alle miteinander sehr Schenkel, einfach und holzgeschnitzt.
Mittlerweile ist ‚Tannöd’, 2009, verfilmt und erhielt, (trotz der immer großartigen Monica Bleibtreu in ihrer vorletzten Rolle), nur recht mittelmäßige Kritiken.
Vorher im selben Jahr gruselten sich übrigens schon Alexandra Maria Lara und Benno Fürmann ‚Hinter Kaifeck’ durch den dunklen deutschen Wald, es war nun mal gerade sehr aktuell.
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