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SS: Wenn Sie mit einer Band spielen, können Ihre Mitmusiker Ihnen dann bei Ihren abrupten Manövern auf der Bühne folgen? Wie schnell müssen Ihre Mitmusiker sein?

IS: Sehr schnell! Ich glaube aber, dass sie dabei genauso viel Spaß haben wie ich. Meine Musiker und ich waren kürzlich in den legendären Abbey Road Studios, um mein Album "The Abbey Road Sessions" aufzunehmen. Wir haben es live aufgenommen, fast wie im Konzert. Ich hatte Musiker dabei, die ich seit Jahren kenne, die mir etwas bedeuten. Der Bassist Peter Ind, der mit Billie Holiday und Charlie Parker gespielt hat oder mit Lennie Tristano, Lee Konitz und Sheila Jordan. Er ist jetzt in seinen 80ern und es macht einfach Spaß mit ihm. Er spielt den Bass mit diesem breiten Lächeln im Gesicht und er sieht einfach aus wie Gott, mit seinem weißen Haar und dem langen Bart. Dann hatte ich einen 19-jährigen Trompeter dabei. Ich mag nämlich auch den Mix von Generationen. Du kannst das ganze Leben auf die Bühne stellen. Du kannst es präsentieren, um die Leute zum Lachen zu bringen oder zum Weinen.

SS: Sie haben viel mit anderen Sängern zusammengearbeitet, beispielsweise mit Mark Murphy.

IS: Im Falle von Mark war es so, dass ich ihn kennen lernte, als ich Mitte 20 war. Wir haben uns augenblicklich gut verstanden. Wir hatten ähnliche Erfahrungen gemacht, hatten ähnliche Gefühle zu Dingen, ähnliche Hoffnungen und Ängste, auch ähnliche Unsicherheiten. Und wir hatten die gleiche Liebe zur Improvisation. Wir haben beide die gleiche musikalische Reise angetreten. Und wir sind bis heute Freunde. Wir waren zusammen mit dem Schweizer Big Band-Leader George Gruntz auf Tour. Das Projekt, das wir auch aufgenommen haben, hieß »The Magic Of A Flute« und es waren vier Sänger dabei. Mark war einfach brillant und sehr exzentrisch, er hatte statt Koffern nur Plastiktüten mitgenommen. Das war sehr lustig damals. Mark ist auch auf meinem Album »A World Still Turning« dabei. Er kam zu mir, nur um mir Glück für die Aufnahmen zu wünschen. Es war ein heißer Sommertag, er trug Shorts und einen Hut und brachte mir einen Riesenstrauß Lilien mit. Als ich zu ihm sagte, "Wenn Du nun schon hier bist, dann sing doch bitte auch für mich", hat er spontan zugesagt und wir haben ein Duett zusammen eingesungen. Musikalisch hat Mark Geschichte geschrieben, er hat mit unglaublich tollen Jazzmusikern gearbeitet. Mit dem Pianisten Bill Evans zum Beispiel. Auf zwei CDs von Till Brönner ist er dabei. Und er ist ein großer Förderer von Nachwuchstalenten.

SS: Sie haben erwähnt, dass Sie in den Staaten waren, um Platten aufzunehmen. Haben Sie dort auch gelebt?

IS: Nein, ich habe dort nur aufgenommen. Meine erste amerikanische CD "In A New York Minute" habe ich damals in New York mit dem Pianisten Cedar Walton, dem Bassisten David Williams und dem Schlagzeuger Billie Higgins aufgenommen. Ich habe dort noch ein Album mit internationalen Musikern aufgenommen und ich bin in Amerika auf Tournee gegangen. Dann gibt es da auch das Album »Secret Ellington«, das ich mit den Sängern Jimmy Scott und Freddie Cole eingespielt habe.

SS: Auch für die BBC haben Sie in Ihrer Karriere gearbeitet sowie als Produzent.

IS: Ich habe so manche CD produziert. Da waren auch Popsänger dabei. Ich habe mit Jamie Cullum zusammengearbeitet und mit der walisischen Sängerin Charlotte Church. Bei der BBC war ich Radiomoderator, ich habe viele Leute interviewt. Wir sagen immer "Tante B", weil es die BBC schon so lange gibt. Über diese "Tante" sollte man nicht scherzen. Bei der BBC gibt es natürlich auch Jazz-Programme, aber insgesamt tut man sich in England mit dem Jazz schwerer als in Deutschland, Frankreich oder Italien, habe ich das Gefühl.

SS: Warum glauben Sie, dass der Jazz in England einen schwereren Stand hat als anderswo?

IS: Bei uns gibt es nicht genug Förderung für den Jazz von offizieller Seite. Wir mögen die Oper, das Ballett und die Klassische Musik. Jazz hat nur einen ganz kleinen Anteil daran, wenn man mal auf das Geld blickt, was für diesen Bereich fließt. Das meiste Geld kommt noch von reichen Privatleuten, die Jazz mögen. Die machen dann vielleicht einen Club auf, ein Theater oder ein Restaurant, wo Jazz gespielt wird. Als Besucher kommt es mir so vor, als wäre es hier und in Italien und Frankreich etwas anderes. Zumindest lädt man mich hierher ein und behandelt mich gut.

SS: Wäre die Popmusik jemals eine Alternative zum Jazz für Sie gewesen? Schließlich waren Sie in der Londoner Szene gut vernetzt und hatten jede Menge Kontakte.

IS: Als ich um die 20 war, gab es für mich nichts anderes als Jazz, Comedy und Theater. Ich war davon so absorbiert, dass ich im Traum nicht an eine Popkarriere gedacht hätte. Es gab da zwar die Soulband "Brave New World", mit der war ich viel unterwegs, und ich hatte im Fernsehen einige Auftritte als Soul- und Blues-Sänger. Mehr als mit Jazz, aber das sagt ja schon wieder alles. Jazz im Fernsehen? Bloß nicht! Es gab in den 90er Jahren eine sechsteilige TV-Serie, für die auch mal Diana Krall aus den USA zu uns kam und dann auch der sehr junge Michael Bublé. Außerdem waren viele britische Musiker dabei. Die Serie wurde nicht fortgesetzt, weil der Jazz eben nicht populär genug war. In den Köpfen vieler Leute scheint Jazz immer noch ein schmutziges Wort zu sein. Ich habe immer wieder festgestellt, dass ich, wenn ich in einem mit 600 Leuten gut gefüllten Theater Comedy mache, auch einen Jazz-Song singen kann und damit super ankomme. Irgendwie ist das schon erstaunlich.

SS: Sie geben dem Publikum in Ihren Jazz-Performances auch immer wieder Links in die Welt des Pop. Sie nehmen z. B. sehr bekannte Stücke, die Sie komplett in Jazz verwandeln.

IS: Ich habe große Achtung vor Popmusik. Als ich aufgewachsen bin, haben wir in unserer Familie die Beatles und die Stones gehört. Wir haben amerikanische Soulmusik gehört. Ich war David Bowie- und Kate Bush-Fan. Ich liebe Joni Mitchell. Ich mag Pop. Natürlich gibt es da auch jede Menge Zeug, das ich nicht mag und auch nicht verstehe. Und Lady Gaga? Die finde ich toll! Die kann singen und spielen, sie kann gut schreiben und sie ist lustig, sie hat diese theatralische Art, sich zu kleiden. Sie ist nicht übermäßig schön, sie ist einfach eine interessante Person, die ich mag. Aber noch mal zurück: Jede meiner Shows ist ein Abenteuer und ich mag es, den Leuten etwas vorzuführen, was sie noch nicht kennen. Ich mag es auch, Leuten etwas vorzuspielen, was sie schon kennen, aber vielleicht nicht wiedererkennen. Das ist im Grunde genommen das, was für mich Jazz ist. Improvisation, die auf Struktur beruht, wenn man es mal akademisch ausdrücken will. Ich finde permanent neue Songs, die ich in mein Programm aufnehme. Und ich schreibe meine eigenen Stücke. Die kündige ich in meinen Konzerten immer an mit den Worten: "Als nächstes kommt ein Stück von mir, Sie können also jetzt zur Toilette gehen".

SS: Wenn man Ihre Konzerte hört, dann weiß man, dass der Blues für Sie eine große Rolle spielt. Und der geht viel tiefer als der Humor an der Oberfläche.

IS: Jazz ist eine wunderbare Kombination vieler Dinge. Aber im Kern ist es die Verbindung von Johann Sebastian Bach und dem Blues. Im Wesentlichen kommen Jazz und Blues aus einem Leiden heraus. Die frühesten Formen des Blues kommen von Sklaven. So etwas hatte man bis dahin noch nie gehört. Das hat sich gemischt mit dem, was am Broadway lief, mit den klassischen amerikanischen Songs. Sie sind eigentlich recht simpel, aber man kann sie eben nicht wie klassische Musik singen. Der Blues hat die Art verändert, wie wir etwas hören, was nicht klassisch ist. Ob nun Aretha Franklin, Lady Gaga, George Michael, Simply Red oder David Bowie. Ihr Klang ist zurückzuführen auf den Klang des Blues.

SS: Sie zitierten in einem Ihrer Konzerte einen Kritiker, der Sie einmal als den "Boy George des Jazz" bezeichnet hat. Was sagen Sie dazu?

IS: Ich mag das nicht hören. (Und das meint Ian Shaw zur Abwechslung mal ernst). Diese Bezeichnung geht wahrscheinlich auf eine Zeit zurück, als ich mich noch ziemlich zurecht gemacht habe, wenn ich gespielt habe. Für meine Auftritte im Ronnie Scott’s war ich oft stark geschminkt und hatte entsprechende Klamotten an. Ich war Teil der "New Romantic"-Bewegung. Dazu gehörten die Gruppen Spandau Ballett, Culture Club, Duran Duran. Das war Post-Punk. Ich habe mehr Make-Up getragen als meine Freundin damals. Und Schottenröcke. Und entsprechende Haarschnitte. Wir sahen aber alle so aus. Und obwohl ich Boy George schätze, bin ich alles in allem doch so ganz anders als er.


Ian Shaw spielt am Samstag, den 26. Mai 2012 um 18 Uhr beim Elbjazz Festival in der Unilever Kantine, Strandkai 1 in der HafenCity in Hamburg. Kultur-Port.De ist Medienpartner des EWlbjazz Festivals.

Fotonachweis:
Header: Foto: John Haxby
Galerie:
01. Foto: Bob Barkany
02.- 05. Fotos: (c) Elbjazz

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