Musik

Die Kunst in den Zeiten der Pandemie

Was macht ein Regisseur, was macht Jan Dvořák, den ein Auftrag der Oper in Mannheim erreicht, Mozarts „Die Zauberflöte“ nicht nur in einer gekürzten Version, sondern auch unter den scharfen Regeln von Covid-19 auf die Bühne zu bringen?
Das was bei Fluggesellschaften und der Deutschen Bahn zum jetzigen Zeitpunkt die Regel ist – wenig bis kaum Abstand zum Nebenmann (-frau) – gilt noch lange nicht für Konzert-, Opern- und Kinosäle. Die Protagonisten auf der Bühne müssen singend mindestens 6 Meter Abstand halten, das Publikum kann auch nicht wie früher gewohnt, aufgereiht sitzen – am besten alle bleiben in einer Art maskierter Bewegungsstarre. Es läuft auf eine gewisse Statik heraus. Auf der Bühne zumindest solang, bis nur eine Sängerin oder ein Sänger diese für sich hat, dann kommt Bewegung ins Singspiel. Gut, dass sich die Opernmacher das System der White-Wall-Oper zunutze machen.

 

Eine Wand, viele Potentiale
Eine riesige weiße Wand (white wall) ist Trägermaterial, Projektionsfläche, suggeriert Raum, Ort und Stelle, lässt hindurch: Licht und Menschen. Die in Hamburg lebende Künstlerin Katrin Bethge, die mit dem in Hamburg geborenen Regisseur, Dramaturg und Komponist Jan Dvořák bereits auf Kampnagel gearbeitet hat, prämierte nun in Mannheim mit deren erster gemeinsamen Opernarbeit.


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Bethge ist seit Jahrzehnten bekannt für ihre Lichtkunstinstallationen. Sie arbeitet mit Projektionsmitteln, die eher aus dem schulischen bis universitären Bereich bekannt sind und an sich antiquiert wirken: Overhead-Projektoren. Ihre Kunst besteht jedoch nicht daraus, Text- und Grafikfolien über Wissen im Rhythmus einer Vorlesung zu verschieben, sie nutzt vielmehr Takte, narrative und ideelle Bezugspunkte. Neben Folien auch transparente Behältnisse, die mit verschiedenen Flüssigkeiten (Wasser, Tusche, Öle, Kaffee etc.) gefüllt sind, dazu farbige, collagenartige Ausschnitte, Stoffe, Papiere und sogar Sand. Es entstehen größenverschobene Abbilder, abstrakte Formen, Wörter und Sätze, architektonische Versatzstücke, virtuelle Räume, Gesichter aus Linien, Atmosphären aus Licht und Farbe. Wie in einer großen Performance hat die Künstlerin gearbeitet und vorbereitet und schließlich alles abfilmen lassen. Das Video wird bei jeder Vorstellung, einsatzgenau und zeitlich auf etwa 90 Minuten begrenzt, seinen Dienst tun.

 

Wie künstlerisch, ästhetisch und poetisch die Zauberflöte geworden ist, davon konnte sich das Publikum bei der Premiere am 22. September überzeugen. Durch den Abend lenkte auf der Bühne – neben einem Overhead-Projektor und wie eine Bildarrangeurin agierend – die Schauspielerin Anna Thalbach. (Unter den etwa 220 Premierengästen war auch ihre Mutter, Katharina Thalbach, zu finden). „Zauberhaft“ sei es gewesen, freute sich sehr beglückt die Künstlerin am Ende der Vorstellung der anderthalb Stunden Gesamtkunstwerk.

 

Jan Dvořáks Leistung liegt insbesondere in der gelungenen Reduktion auf 15 Instrumente. Viele der Melodien sind bei dieser so extrem häufig aufgeführten Oper großteils bekannt, aber noch nie waren derart neue und andere Klangfarben hörbar. Die brillante Umsetzung des Arrangements durch den musikalischen Leiter des Nationaltheater-Orchesters, ist dem Letten Jānis Liepiņš zu verdanken. Wiederum beiden gelingt es an der musikalischen Oberfläche zu kratzen und ein Kondensat zu präsentieren, das Mozarts Zeit im Kultur- und Religionskampf Wiens jener Zeit, im späten 18. Jahrhundert, miterfasst. Die komplexen Themen wirken durch das Passieren wie beim Kochen geklärt und strukturell pointiert – ohne den Charakter des Zaubertheaters zu verlieren.

 

Aufführungen der Zauberflöte in Mannheim sind offensichtlich unter einem guten Stern beheimatet, denn Peter von Winter (1754-1825) in Mannheim geborener Komponist und Gesangslehrer komponierte – gemeinsam mit dem Librettisten Emanuel Schikaneder – eine Fortsetzung der „Zauberflöte“ namens „Das Labyrinth“ oder auch „Kampf mit den Elementen“ betitelt. Der Kampf mit den Elementen und Unwägbarkeiten unserer Zeit wurde künstlerisch ganz klar gewonnen.


Wolfgang Amadeus Mozart: Die Zauberflöte

Die White-Wall-Oper ist zu erleben bis 25. Dezember 2020

im Nationaltheater Mannheim, Am Goetheplatz, in 68161 Mannheim

Dauer: ca. 1 Stunde und 40 Minuten, keine Pause
Libretto von Emanuel Schikaneder

 

Besetzung
• Musikalische Leitung: Jānis Liepiņš
• Musikalisches Arrangement: Jan Dvořák / Meike Katrin Stein
• Regie: Jan Dvořák
• Projektion: Katrin Bethge
• Bühne: Anna-Sofia Kirsch
• Kostüme: Charlotte Werkmeister
• Licht: Florian Arnholdt
• Dramaturgie: Deborah Maier
• Chor: Dani Juris
• Kinderchor: Anke-Christine Kober
• Kunst und Vermittlung: Oliver Riedmüller
• Sarastro: Patrick Zielke / Sung Ha
• Tamino: Joshua Whitener
• Königin der Nacht: Estelle Kruger
• Pamina: Amelia Scicolone
• Erste Dame: Natalija Cantrak (Opernstudio)
• Zweite Dame: Martiniana Antonie (Opernstudio)
• Dritte Dame: Julia Faylenbogen
• Papageno: Joachim Goltz / Marcel Brunner
• Erzählerin (Papagena): Anna Thalbach (Gast) / Annemarie Brüntjen
Erster Knabe: Elias Berner, Kian Sene
Zweiter Knabe: Felix Dingenouts, Max Löver
Dritter Knabe: Noah Engler, Julien Treiber
Mit dem Nationaltheater-Orchester, dem Opernchor und dem Kinderchor

Weitere Informationen

 

Katrin Bethge inszeniert für die Kunsthalle Kühlungsborn (ab 24. Oktober 2020) und den Stadtraum des Ostseebads (ab 28. November) die Lichtkunstinstallation: "enlighten".

Weitere Informationen und unter cfca.de

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