Musik
Die Zauberflöte in Hamburg: Herzattacke in der Staatsoper

Radikal entschlackt, mit großen Lichtvorhängen ins Computerzeitalter gebeamt, lässt Regisseurin Jette Steckel die Neuinszenierung von Mozarts Opernhit „Die Zauberflöte“ an der hamburgischen Staatsoper zum bunten, unkonventionellen und nachdenklich machenden Bühnenereignis werden.

Nix da Schlange. Schloss vorm Mund – Fehlanzeige. Papageno federlos. Und später auch keine wilden Tiere, die von Papagenos nur im Orchester vorhandenen Zauberglöckchen weggebimmelt werden. Statt Flöte und Glockenspiel und Mörderdolch gibt es zwei rot leuchtende Richtungspfeile (die Flöte taucht dann kurioserweise doch später wieder auf, aber zunächst bei Papageno). Der Mohr ist zur Abwechslung mal weiß geschminkt. Dazu kommen kleine freche Textänderungen, etliche Streichungen im Sprechtext. Und ein Start mit einem Herzanfall im Parkett. Alarm, Sanitäter. Theater nur, das ins große Bild eines endlosen Lichttunnels mündet. Nahtoderfahrung. Rückblick oder Wiedergeburt: Ein Wickelkind wird von den drei Damen im Nonnengewand angenommen und wächst im ICE-Tempo heran, dargestellt von Kindern unterschiedlichen Alters. Papageno wird der etwas wildere Freund von Tamino, der sich zügig in ein LED-gleißendes, an Walt Disney erinnerndes bewegliches Abbild von Pamina verliebt.

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Die Hauptfiguren tragen coole Klamotten von heute, nur bei den drei Damen (mal Nonnen, mal Haremsdamen) und beim Chor im Schlussbild darf Pauline Hüners ein bisschen mehr Kostümfantasie zeigen.

Jette Steckels neue Hamburger „Zauberflöte“ nimmt dem Publikum eine Menge liebgewordener Requisiten weg, ihre Neuinszenierung von Mozart/Schikaneders Opern-Hit mutet ihm gleich zu Beginn ein Menge ungewohnter Bilder zu. So viele, dass man anfangs ständig Gefahr läuft, beim Sortieren die Musik aus dem Ohr zu verlieren. Was schade ist, denn sie wird von den Hamburger Philharmonikern (denen, die nicht gerade in Südamerika unterwegs sind, und einigen Aushilfen) unter Jean-Christophe Spinosi hinreißend gespielt: ungewöhnlich elegant und schlank, knackig und sinnlich, transparent und präzise und aufmerksam, wenn es mal kleine Differenzen mit den Sängern auf der Bühne gibt. Orchester und Dirigent sind am Ende der Premiere jedenfalls verdiente Spitzenreiter, was die Intensität des Beifalls angeht.

Jette Steckel entrümpelt die Märchen- und Rätseloper, die hundertfach auf freimaurerische Bezüge und auf ihren Gehalt an aufklärerischen Idee abgeklopft wurde, und lässt als bereinigte Handlung Taminos Lebensreise und sein Älterwerden stehen, seine Suche nach Antworten auf die großen Fragen des Lebens und nach dem Prinzip Liebe, das er in Paminas entdeckt hat. Doch bald macht er mit rätselhaften Bildern und Mächten Bekanntschaft.

Pamina sieht er als bewegte Mädchenfigur, sie bewegt sich auf den großen Leuchtschnüren-Vorhängen (Bühnenbild: Florian Lösche), auf denen viele Hundert Lichter computergesteuert so allerlei zum Geschehen beitragen: eine Funkenwolke, die zu Pamina wird und in der die Bilderpixel wieder verschwinden. Virtuell präsent sind bis aufs Finale die in Echtzeit und Übergröße singenden Big-Brother-Gesichter der Königin der Nacht und Sarastros (die beiden Sänger stehen derweil im Orchestergraben), Regen, Sternschnuppen, Symbole und Schlüsselwörter, die unendliche Weite des Alls mit einem schwebenden Odyssee-Astronauten als Tempel-Türhüter Sarastros. Hübsch, auch wenn’s vielleicht gar nicht als kleine Reverenz an die alte, fast 35 Jahre lang gespielte Achim-Freyer-Inszenierung gemeint war, die übergroße Hand Sarastros, die Pamina für ein paar Momente in die Luft hebt.

Das ist hübsch gemacht und ein gelungener Beitrag zu den Versuchen, Oper überraschend und attraktiv für die Generation PC und Musical zu machen. Es generiert hin und wieder sogar poetische Momente. Doch oft lenken die starken optischen Reize einfach nur von den Sängerinnen und Sängern ab.

Große Momente gleiten fast unbemerkt vorbei
Abgedroschener wirken die Versuche, die Bühne-Publikum-Grenze zu überwinden: der Herzanfall zu Beginn, der Auftritt von Monostatos’ Chorsklaven von den Seiten des Parketts, Papagenos Versuch, das Premierenpublikum zum Mitsingen zu bewegen – das klang gar nicht so herrlich und schön. Auch das Altern Taminos mit den Mittel der Theaterkunst verblüfft nicht wirklich.

Nach der Pause wurden die Schwächen der Inszenierung sichtbarer als die Stärken: die harten Textkürzungen nehmen viel dramaturgisches Schmieröl zwischen den Szenen heraus, die Handlung bewegt sich in Richtung „und dann, und dann, und dann...“ Der rote Faden fasert auf.

Der radikale Umbruch der Opernhandlung, der große berührende Moment, an dem die große Liebe gesiegt hat und Pamina entscheidet, die Prüfung an der Seite ihres Geliebten zu bestehen, was die ritualbefangene und vorurteilsgeladene Männergesellschaft Sarastros eigentlich obsolet macht – er gleitet fast unbemerkt vorbei, die beiden wandern ins Dunkel der projizierten Nahtodröhre. Der Jubel des Chors (Einstudierung: Eberhard Friedrich), der mit „O Isis und Osiris“ einen der seltenen Gänsehautmomente des Abends intoniert hatte, klingt nun nur noch gewollt nett. Und Papagenos verzweifelter Versuch, dem Liebesmangel durch Suiziddrohung zu entkommen, steht als hübsch isolierter Solitär da, doch der Text zieht sich endlos. Papageno flieht mit seiner durch Zauberei gewonnenen Papagena, der man die kinderfreudige Zukunft nicht recht abnimmt.

Cut – die seltsame Palastrevolution der Königin der Nacht, die plötzlich in Menschengröße und als Sängerin auftaucht, wie auch Sarastro plötzlich nur noch lebensgroß im weißen Anzug dasteht. Beide haben ein Spiel gespielt, die eine in Schwarz, der andere in Weiß. Triebfeder des Lebens sind sie nur zusammen, Schicksal, nix da mit Übergröße. Im Parkett sitzt der alt gewordene Tamino vom Beginn und blickt müde und illusionslos auf dieses Ende. Was kommt für ihn danach? Eine neue Herzattacke? Die nächste Wiedergeburt?

Das Publikum wundert sich, erzürnt, streitet und hat etwas zum Nachdenken
Der Beifall beginnt mit einer ersten heftigen Buh-Welle. Einer sehr heftigen. Sie wird beschwichtigt durch das bejubelte Sänger-Ensemble: die noch etwas aufgeregte Christina Gansch, für die es das Rollendebüt als Pamina war, das sie großartig und mit viel Seele und Wärme in ihrer Sopranstimme gemeistert hat. Dovlet Nurgeldiyev als Tamino mit einem unprätentiösen Tenor, der noch ein Spürchen mehr Präsenz vertrüge. Er bekommt aber auch von der Regie wenig Anregung, seine Leidenschaft für Pamina auszuspielen. Andrea Mastroni als Sarastro – der noch nicht die letzte stimmliche Überzeugungskraft zeigt. Christina Poulitsi ist eine kristallklare Königin der Nacht, mit sensationell gipfelsicheren Koloraturen. Fast zu perfekt und schön, um ihr der Hölle Rache abzunehmen, die laut Libretto in ihrem Herzen kocht.

Die drei Knaben von der Chorakademie Dortmund bewältigen ihren Part stimmsicher und lassen sich von Dirigent leicht wieder einfangen, wenn’s im Eifer des Spiels mal auseinanderzugehen droht.

Star des Abends aber ist der Papageno von Jonathan McGovern. Er spielt kompromisslos direkt, singt und bewegt sich mit Pamina so, dass man zuweilen Angst haben muss, sie möchte am Ende doch von dem regie-hölzernen Prinzen zu dessen lebensfroherem, federlosen Jugendfreund überlaufen. Doch diese Pamina, die am Ende einiges umstürzt, bleibt in ihrer Liebe ein treues und braves Mädchen.

Lange mussten die Premierenbesucher warten, bevor sie ihr zweites Buh-Gewitter dem Regie-Team entgegendonnern konnten. Theaterdonner, der es immerhin für eine ganze Weile schaffte, die zarten Bravos zu übertönen. Open air, bei der Übertragung auf die Leinwand am Jungfernstieg, so wird berichtet, fiel die Abschlusswertung der Zuschauer deutlich milder aus.
Nun kann bei einer Opernpremiere weniger unter dem Strich stehen, als dass sich das Publikum wundert und erzürnt, streitet und etwas zum Nachdenken mit auf den Nachhause-Weg nimmt. Ob diese „Zauberflöte“ am Ende als ähnlicher Langläufer in die Geschichte des Hauses eingeht wie ihre Vorgängerin? Wissen kann man’s nicht, vielleicht ahnen. Denn trotz etlicher hübscher Augenblicke bewegt sich zuviel diesseits der ursprünglichen Magie von Mozarts und Schikaneders Geschichte. Nur die Musik, die strahlt an diesem Abend so hell, frisch und lebendig, dass man noch auf Jahrhunderte keinen Herztod befürchten muss.

Wolfgang Amadeus Mozart: Die Zauberflöte
Inszenierung: Jette Steckel
Nächste Vorstellungen in der Staatsoper Hamburg: 25.9., 18:00 Uhr. 27.9., 19:00 Uhr. 29.9., 19:00 Uhr. 3.10., 18:00 Uhr. 6.10., 19 Uhr. 12.10., 19:00 Uhr. Karten im Internet unter www.staatsoper-hamburg.de und unter (040) 3568 68.

ARTE Concert wird in Zusammenarbeit mit dem NDR die neue Hamburger Zauberflöte ab dem 17.10.2016 auf concert.arte.tv online streamen und die Aufzeichnung bis zum 17.04.2017 online zur Verfügung stellen.


Abbildungsdnachweis: Alle Fotos: Arno Declair
Header: Dovlet Nurgeldiyev
Galerie:
01. Dovlet Nurgeldiyev, Christina Gansch, Dietmar Kerschbaum
02. Nadezhda Karyazina, Dovlet Nurgeldiyev, Marta Swiderska, Iulia Maria Dan, Jonathan McGovern
03. Chor der Hamburgischen Staatsoper, Christian Juslin, Bruno Vargas, Dovlet Nurgeldiyev
04. Christina Poulitsi, Dietmar Kerschbaum
05. Christina Gansch, Christina Poulitsi (in Projektion)
06.
Christina Gansch, Dovlet Nurgeldiyev

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