Musik

Im Gespräch: Claus Friede mit dem Komponisten, Performancekünstler und Dirigenten Rupert Huber

 

 

 

„Schubert in New York“ – unter diesem Titel konzertierte das Ensemble Resonanz und das ChorWerk Ruhr am 29. Januar in der Philharmonie Essen und am 31. Januar 2010 in der Hauptkirche St. Jacobi in Hamburg.
Man muss kein Kenner sein, um zu wissen: Franz Schubert war nie in New York! Also, was hat es mit dem Thema auf sich, welche transatlantische Brücke wird bemüht, welches Beziehungsgeflecht steht hinter der Betitelung? Welche Verbindungen bestehen zwischen Franz Schubert und den Vertretern der ‚New-York-School’: Morton Feldmann, John Cage, James Tenney und Earle Brown? Und wie steht die Installation von Rupert Huber dazu?

 

 

 

 

Claus Friede (CF): Zunächst möchte ich kurz auf eines Ihrer ungewöhnlichen Interessensgebiete zu sprechen kommen: Sie arbeiten und forschen seit vielen Jahren in Nepal mit und über Schamanen. Was interessiert Sie daran?

 

 

 

Rupert Huber (RH): Mein Interesse gilt der Wirkung der Heilgesänge und der Rituale der Schamanen. Diese Heilriten sind komplexe ‚Settings’, die man dramaturgisch, psychotherapeutisch sowie musikalisch beschreiben und untersuchen kann. Der Gesang innerhalb eines schamanischen Rituals ist ein wesentlich integraler Bestandteil der Heilwirkung und ich gehe der Frage nach, woher diese Gesänge kommen und warum das Resultat des Heilgesangs tatsächlich so positive Auswirkungen hat.

 

 

 

CF: Ich kann das Thema der Schamanen jetzt nur marginal streifen, also lassen sie uns zu Ihrer Arbeit als Komponist kommen. Sie  legen einen Ihrer Schwerpunkte auf sogenannte 'musikalische Installationen'. Der Begriff der Installation wird überwiegend in der Architektur und Bildenden Kunst benutzt, als raumgreifendes, orts- und situationsgebundenes Werk. Wie gehen Sie in der Musik mit dem Begriff um?

 

 

 

RH: Es gibt mehrere Begriffe, die uns für das, was wir machen, zur Verfügung stehen. Der eine ist ‚Happening’, den wir seit den 1960er Jahren eingeführt haben, ein weiterer wäre ‚Performance’, aber auch der ist bereits aus dieser Zeit stark besetzt. Die musikalische Installation dagegen ist weitaus weniger stilistisch besetzt und füllt das begrifflich gut aus. In Kriterien der klassischen Form und Formenlehre gedacht, arbeiten wir mit der freien Form, der aber ein Konzept zugrunde liegt. Dieses ist ausschlaggebend für die Abfolge der musikalischen Installation.

 

 

 

CF: Wo wir bei Begriffsklärungen sind: Sie sind besonders an der Veränderung von Wahrnehmung interessiert und sprachen von ‚Kontaktsingen’. Was meint das?

 

 

 

RH: Beim Kontaktsingen wird die Stimme wie eine Sonde benutzt, um einen Kontakt herzustellen. Der Kontakt definiert sich durch einen Kontaktpunkt, bei dem sich zwei oder mehrere Dinge berühren und sein Umkehrmoment. Indem ich berühre, werde ich berührt. Es gibt dann den Effekt, dass aktiv und passiv verschwimmen. Dies ist eine der elementaren Erfahrungen, die wir machen können. Das gilt nicht nur für den physischen Kontakt, sondern auch für metaphorische Phänomene, wie beispielsweise den Blickkontakt. Das lässt sich auch auf die Stimme anwenden, diese, also der Kehlkopf ist das Senderinstrument, das Ohr der Empfänger. Die Qualität der Musik des Kontaktgesanges ist abhängig von der Intensität der Wahrnehmung. Der Kontakt hat eine Bedeutung, die außerhalb seiner selbst liegt. Dahinter steht keine L’Art-pour-L’Art-Haltung des 19. Jahrhunderts.

 

 

 

CF: Ist das idealistisch, wenn es außerhalb seiner selbst ist?

 

 

 

Im Gespräch: Claus Friede mit dem Komponisten, Performancekünstler und Dirigenten Rupert HuberRH: Nein, neugierig, nicht idealistisch. Man muss die Position der Musiktheorie des 19. Jahrhunderts hinterfragen. Der gesamte metaphysische Unterbau oder religiöse Hintergrund ist zerbrochen in der Aufklärung und die Kunst befand sich in einem luftleeren Raum und sie musste sich an sich selbst orientieren. Das ist die Reaktion des 19. Jahrhunderts, die einen immensen Einfluss auf die Geistesgeschichte des Abendlandes hatte. Ich glaube, dass man die Fragen, die aus den damaligen Haltungen wieder neu stellen kann: Was war denn der Zweck von Musik? War dieser immer in ihr selbst begründet? Übrigens schlagen wir hier wieder einen Bogen zu den Schamanen und warum sie mich so interessieren. Ich wollte wissen, wie das bei denen funktioniert, was bei uns längst abhanden gekommen ist oder es überhaupt gar nicht gab.

 

 

 

CF: Das sind genreübergreifende Fragen, die nicht nur musikimmanent sind, sondern auch beispielsweise für die bildende Kunst greifen, denn auch die Maler waren damals auf sich selbst zurückgeworfen und mussten ihre eigenen und neuen Bilderfindungen machen, die eben nicht religiös, höfisch oder gesellschaftlich verankert waren...

 

 

 

RH: Ja, das gilt für die Künste und die gesamte Philosophie...

 

 

 

CF: Nun bauen wir also die transatlantische Brücke zwischen Wien und New York. Wo ist die Verbindung zwischen dem Romantiker Schubert und den ‚Konzept-Komponisten’ Cage, Feldman und den anderen?

 

 

 

Im Gespräch: Claus Friede mit dem Komponisten, Performancekünstler und Dirigenten Rupert HuberRH: Diese Positionen sind gar nicht so weit auseinander wie man zunächst glaubt, und man kann sich von zwei Seiten dem Thema annähern.
Zu Franz Schuberts Zeit gab es in der Musik ein bestimmtes Wertesystem. In ganz Europa war man sich über Konventionen einig, was musikalisch, künstlerisch möglich war und was nicht. Ein Komponist hat quasi ein Stück abgegeben und die Fachwelt, die Musiker und das Publikum haben beurteilt. Man konnte sagen: Das ist eine gelungene Komposition und diese weniger, weil es ein intaktes Wertesystem mit Beurteilungsübereinkünften gab. Dieses Wertesystem ist abhanden gekommen. Arnold Schönberg hat dann daran weitergearbeitet, das Wertesystem zu zertrümmern, und im 20. Jahrhundert ist es uns immer mehr abhanden gekommen. Nach dem 2. Weltkrieg haben dann die jungen Avantgardisten und Serialisten, die beispielsweise in Donaueschingen auftauchten, dafür gesorgt, dass ein bürgerliches Wertesystem nicht mehr existiert. Wenn Sie sich also einmal zeitgenössische Kompositionen anschauen, so gibt es zwar noch Kriterien und Orientierungen, aber die sind jeweils individuell extrem unterschiedlich. Kompositionen von Brahms und Puccini im Vergleich scheinen weit auseinander zu liegen, vergleicht man aber dazu Lachenmann und Stockhausen, wird einem klar, sie liegen nah beieinander. Jeder große Avantgardist hat ein nur für sich gültiges, spekulatives, mehr oder minder geistreiches System, was nicht übertragbar ist und daher auch nicht übertragen wird. Wenn man nach einem Konsens suchen möchte, dann findet man nur noch die Komplexität der musikalischen Parameter an der Oberfläche.

 


So nun zur transatlantischen Brücke: John Cage, Morton Feldman, Christian Wolff und die anderen sagen - und ich formuliere das nun in meinen eigenen Worten - das ganze Wertesystem ist sowieso willkürlich, was soll man noch damit. Warum verzichten wir nicht gleich ganz darauf? Und die daraus resultierende Frage lautet dann: Was bleibt übrig? Aneinandergefügte Töne. Man sucht vergeblich nach einer Architektur, einer Komposition und einem Werk im alten Sinne und wenn Sie glauben, Sie hätten doch etwas hörend gefunden, dann ist das ein Trugschluss und Missverständnis! Übrig bleibt eine Musik, ohne den Anspruch erheben zu können, Komposition zu sein, es bleibt etwas, wie es Feldman etwas polemisch fomulierte, worüber man gar nicht mehr sprechen kann. Es bleibt einzig eine Atmosphäre und Membran.

 


Und hier ist die Beziehung und Gemeinsamkeit zu Schubert zu finden. In den beiden Konzerten „Schubert in New York“ ist das zu hören, in Gegenüberstellungen und wiederkehrenden Facetten. Schubert kann man mit den Ohren der Komponisten der 1960er Jahre hören. Wenn man sich darauf einlässt, dann lässt man sich – etwas flapsig gesagt - auf den atmosphärischen Gehalt ein. Diesen Gehalt schätzten die New Yorker Komponisten. Und wenn wir uns den sogenannten mittelbaren und anerzogenen Konventionen entledigen, bleibt ganz viel Neues übrig!

 

 

 

CF: Somit sind wir bei der Konzeptkunst und -musik angelangt. Einige der Maler der Romantik, insbesondere Philipp Otto Runge, gelten als Wegbereiter der ‚Concept Art’ der 1960ger Jahre in den USA und Europa. Der Kunsttheoretiker Michael Lingner spricht von der ‚Musikalisierung der Malerei’. Ist hier eine Parallele von Philipp Otto Runge und Joseph Kosuth und in der Musik von Franz Schubert und John Cage zu erkennen?

 

 

 

RH: Ganz genau. Hier in der Hamburger Kunsthalle ist dieser wunderbare Raum mit den Runge-Bildern, wo man so gerne hinpilgert – also ich gehe dort morgen hin! Ich bin kein Kunsthistoriker, aber ich finde auch dort etwas wieder, was ich bei Schubert höre. Bei den 'Hülsenbeckschen Kindern' frag ich mich, warum erwidere ich diesen Blick, warum zieht mich diese Atmosphäre so an?

 

 

 

CF: Wann ist denn noch ein Werk ein Werk bei den amerikanischen, zeitgenössischen Komponisten?

 

 

 

RH: Ja, wollen wir denn noch überhaupt ein Werk?! Warum gehen wir dann nicht einfach gleich in einen Antiquitätenladen und kaufen uns ein schönes Werk, etwas Historisches? Auch zu diesem Thema hat sich Morton Feldman dezidiert geäußert, was die Kollegen in Europa angeht. Wenn man dem Werkhaften anhängt, dann sitzt man einem Wunsch auf, der heute kaum noch erfüllbar ist. Wir wollen die Musik neu entdecken und eine andere Authentizität finden.

 

 



Rupert Huber ist Jahrgang 1953 und stammt aus Österreich. Er ist bekannt als Komponist, Performancekünstler und Dirigent und besonders für seine vokale Ensemblearbeit geschätzt. Er ist Chefdirigent des WDR Rundfunkchors und seit Oktober 2008 Leiter des ChorWerk Ruhr. Auch in der Theorie und Forschung hat er sich einen Namen gemacht, so unterrichtete er an den Musikhochschulen in Salzburg und Graz und arbeitet seit Jahren in Nepal bei und mit Schamanen.

 


Das Gespräch wurde anlässlich des Konzerts Resonanzen 3 „Schubert in New York“ des Ensembles Resonanz und dem ChorWerk Ruhr unter der Leitung von Rupert Huber am 31. Januar 2010 in Hamburg aufgenommen und in Teilen hier publiziert.

 


Fotonachweis: (Header) Sven Lorenz, (Portraits Rupert Huber) Jacob Sokoll

 

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