Rirkrit Tiravanija verbindet mit Deutschland und insbesondere Berlin eine über dreißigjährige Geschichte. Rirkrit Tiravanija: „Das Glück ist nicht immer lustig“ im Gropius Bau ist die erste Überblicksausstellung, die diese enge Beziehung genauer in den Blick nimmt.
Tiravanijas künstlerische Auseinandersetzung mit Deutschland, westlicher Ausstellungspraxis sowie den Lebensrealitäten und Alltagserfahrungen migrantischer Menschen ist durchzogen von Referenzen aus Kunstgeschichte und Film und bietet kritische, humorvolle und partizipative Zugänge zu gegenwärtigen gesellschaftlichen Debatten.
Sein Werk erweitert konventionelle Vorstellungen von Kunst und schafft Situationen, in denen soziale Interaktionen und Ordnungen entstehen können. Die Sprengkraft von Tiravanijas Praxis liegt im Verschieben institutioneller Grenzen und dem Aufbrechen von Kategorien – es wird gekocht, gegessen, Musik gemacht und gespielt; es wird laut und lebendig. „Das Glück ist nicht immer lustig“ ist keine klassische Retrospektive, die das kontemplative Betrachten künstlerischer Werke in den Mittelpunkt stellt, sondern lädt zu einer sich stetig verändernden, sinnlichen Kunsterfahrung ein. Der Titel der Ausstellung ist der Eröffnungssequenz von Rainer Werner Fassbinders Angst essen Seele auf von 1974 entlehnt. Der Film ist heute, 50 Jahre nach seiner Entstehung, angesichts des Erstarkens rechtsextremer Parteien und wachsender gesellschaftlicher Polarisierung von erschreckender Aktualität. Für Tiravanija stellen Fassbinders Filme eine wichtige Referenz dar, die er in verschiedenen Formaten aufgegriffen und bearbeitet hat.
Die Ausstellung versammelt über 80 Werke des Künstlers, die zwischen 1987 und 2024 unter anderem in Chicago, New York, Köln, Berlin, Mönchengladbach, Zürich und Chiang Mai entstanden. Sie spannt den Bogen von frühen institutionskritischen Installationen über experimentelle 8-mm-Filme und Fotografien bis hin zu textbasierten Malereien und regelmäßigen Aktivierungen der partizipativen Arbeiten, mit denen der Künstler bekannt wurde.
Links: Rirkrit Tiravanija, untitled 2024 (demo station no. 8), 2024, Installationsansicht. Rechts: untitled 1997 (a demonstration by faust as a sausage and franz biberkopf as a potato), 1997, Installationsansicht. Gropius Bau, 2024. © Gropius Bau, Fotos: Guannan Li
Im Lichthof des Gropius Bau bietet die spiralförmige Bühne „untitled 2024“ (demo station no. 8) täglich ab 15:00 Uhr Raum für öffentliche Vorführungen. Daneben lädt die Installation „untitled 2024“ (tomorrow is the question) mit acht Tischtennisplatten dazu ein, mit Freund*innen und Fremden zu spielen. So wird der frei zugängliche Lichthof zu einem Ort, an dem unterschiedliche Menschen zusammenkommen und inmitten von fliegenden Tischtennisbällen, tobenden Kindern und Performances Zeit verbringen können. In den Ausstellungsräumen können Musiker*innen die Installation „untitled 1996“ (rehearsal studio) kostenlos für Bandproben, Konzerte und Aufnahmen nutzen.
An abwechselnden Tagen werden Tiravanijas „free food-actions“ untitled 1991 (tom ka soup) und untitled 1993 (flädlesuppe) von 13:00 bis 14:00 Uhr in Zusammenarbeit mit Köch*innen aus dem Berliner Thai Park zu schmecken sein. In untitled 2024 (chance will never abolish) können sich Besucher*innen montags und donnerstags bereitgestellte T-Shirts im Siebdruckverfahren mit Tiravanijas Slogans bedrucken lassen. Eine Filmreihe im Kino des Gropius Bau erweitert die Ausstellung und beleuchtet Tiravanijas kollaborative Filmpraktiken.
„Genau ein Jahr nach meinem Antritt beginnen wir das Herbstprogramm mit einer Ausstellung von Rirkrit Tiravanija, dessen künstlerische Praxis das verkörpert, was wir hier in den nächsten Jahren vorhaben. Tiravanijas performative und interdisziplinäre Formate ermöglichen spielerische Begegnungen mit Kunst, die möglichst alle Sinne aktivieren. Wir wollen, dass unser Publikum riecht, schmeckt, fühlt, sieht und hört. Lachen, Spielen, Diskutieren, Denken, Tanzen – all diese Empfindungen und Ausdrucksformen können an einem Ausstellungsort zusammen existieren. In Zukunft werden die transformativen Energien der Künstler*innen, mit denen wir arbeiten, im Gropius Bau eine noch zentralere Rolle spielen, um gemeinsam einen Ort des Austauschs und kollektiver Erfahrungen zu schaffen – einen Ort, von dem sich ein breites Publikum angesprochen fühlt.“ – Jenny Schlenzka, Direktorin des Gropius Bau
Freiheit kann man nicht simulieren
Tiravanijas enge Beziehung zu Deutschland begann 1993 mit Ausstellungen in der Galerie Max Hetzler in Köln und im Hamburger Kunstverein. Als aufstrebender Künstler zwischen internationalen Biennalen reisend, zog Tiravanija 1998 zeitweise in die Hauptstadt, wo er bis heute eine Wohnung und sein Archiv hat. Damit gehört er zu einer Generation internationaler Künstler*innen, die das im Aufbruch befindliche Berlin nach dem Mauerfall als kreativen Arbeitsort entdeckten. Seitdem entwickelt er regelmäßig Arbeiten, die sich mit den politischen und kulturellen Eigenheiten des Landes auseinandersetzen. „Das Glück ist nicht immer lustig“ bringt Werke aus dieser Zeit zusammen und verweist auf die fortdauernde Bedeutung Deutschlands als Ort seiner Inspiration und künstlerischen Produktion.
Rirkrit Tiravanija, untitled 2022 (chance will never abolish), 2022, Installationsansicht. © Gropius Bau, Foto: Guannan Li
Tiravanijas erste geplante Reise nach Deutschland scheiterte jedoch zunächst an einem Visum: Nachdem er 1993 eine Einladung zur Teilnahme an einer Gruppenausstellung in Köln angenommen hatte, konnte er aufgrund des unsicheren Aufenthaltsstatus in den USA nicht nach Deutschland reisen und musste die Arbeit mit Fax-Anweisungen an die Galerie realisieren.
Das für diese Gruppenausstellung konzipierte Werk befasst sich mit den Erfahrungen sogenannter Gastarbeiter*innen im Nachwende-Deutschland: Wenige Wochen vor der Ausstellungseröffnung hatten der tödliche rassistische Brandanschlag auf türkische Menschen in Mölln und die anschließenden Demonstrationen Schlagzeilen gemacht, die auch die USA erreichten. Im Kontext dieser Ereignisse entstand untitled 1993 (café deutschland): eine Installation aus Ausstellungskatalogen, einem Tisch, vier Stühlen, Blumen sowie den notwendigen Utensilien für die Zubereitung türkischen Kaffees, die täglich dazu einlädt, sich bei einer Tasse Mokka zusammenzusetzen und miteinander zu reden. Eine Anleitung an der Wand enthält das Rezept – ein wiederkehrendes Element in Tiravanijas Werk. Der Titel bezieht sich auf Jörg Immendorffs Bilderreihe Café Deutschland (1977–1982), die den Kalten Krieg und die Trennung Deutschlands thematisiert.
„I am not interested in leaving (any)things behind; I am interested in leaving ideas behind. Like a good recipe, everyone knows what it is, what it tastes like and even how to make it again – perhaps even differently, following their own interpretation; or perhaps it would be a base for something completely different, a possibility.“ – Rirkrit Tiravanija
Durch die Verwendung von Wasser, Kaffee, Kardamom und wahlweise Zucker ist das Werk eines der ersten, in dem der Künstler Zutaten nutzt, die keinen Bezug zur thailändischen Kultur haben.
Curry for the Soul
Wenn man den Arbeiten von Rirkrit Tiravanija begegnet, nimmt man vielleicht zuerst den Geruch von Chili oder Fischsauce, oder – wie in untitled 1993 (café deutschland) – von frisch gebrühtem Mokka wahr, bevor man sie sieht. Es gibt viele Anekdoten über die frühen Kochaktionen des Künstlers, seit er 1989 zum ersten Mal ein köchelndes Curry auf Sockeln ausstellte und ein Jahr später bei der Eröffnung seiner ersten Einzelausstellung in New York Pad Thai servierte – wobei einige der Besucher*innen ihn fälschlicherweise für den Caterer hielten.
Diese Arbeiten entstanden unter anderem durch die intensive Auseinandersetzung mit der Sammlungs- und Ausstellungspraxis westlicher Museen und den ihnen zugrunde liegenden Denksystemen der Kunstgeschichte und der Ethnologie. So stieß Tiravanija bei Museumsbesuchen immer wieder auf historische Exponate wie Buddha-Statuen, Almosenschalen oder andere Gefäße, die ihm aus der thailändischen Kultur vertraut waren. Dabei irritierte ihn, dass diese Alltagsgegenstände als isolierte Objekte auf Sockeln oder in Vitrinen ausgestellt und jenseits ihres kulturellen Kontextes und eigentlichen Verwendungszwecks präsentiert wurden. Als junger Künstler zeigte er zum ersten Mal, was ihm als Alternative vorschwebte: den „Topf aus der Vitrine holen und darin kochen.“ Seine Ende der 1980er Jahre entstandene Idee der „kulturellen Wiederherstellung“, Objekte aus kunst- und kulturhistorischen Sammlungen ins Leben zurückzuholen und sie als Bestandteil kultureller Zusammenhänge erfahrbar zu machen, war zugleich Kritik und Angebot, über ihre kulturelle Bedeutung und ihre soziale Funktion nachzudenken.
Rirkrit Tiravanija, untitled 1993 (café deutschland), 1993, Installationsansich. © Gropius Bau, Foto: Guannan Li
Die soziale und politische Dimension der Zubereitung und des Konsums von Lebensmitteln spielt für Tiravanijas Werk eine wichtige Rolle, die auch einen biografischen Hintergrund hat:
„I grew up around the kitchen of my grandmother, who was a well-known teacher of both Thai and Continental cuisine; besides teaching, she had her own restaurant and her own television show. This became a significant factor in my development as an artist. I learned the arts of sharing and giving. [...] In my work of the last ten years, I have become known as the ‘cook’ of the art world. I have, more or less, used the kitchen and cooking as the base from which to conduct an assault on the cultural aesthetics of Western attitudes toward life and living. I have found food to be a common medium for creating conditions and experiences for communicating that does not always entail language but has a spiritual dimension. In the communal act of cooking and eating together, I hope that it is possible to cross physical and imaginary boundaries.“ – Rirkrit Tiravanija
Die oft ganz alltäglichen Arrangements – Gaskocher oder elektrische Woks, ein behelfsmäßiger Tisch, Zutaten und „viele Menschen“ – laden das Publikum dazu ein, die Grenze zwischen Kunst und Alltag durch seine Teilnahme zu hinterfragen.
The Map of the Land of Feeling
„I have always been traveling, it is about change, and about shift, it‘s about moving in order to remember that one is living.“ – Rirkrit Tiravanija
Ein weiteres zentrales Thema in Tiravanijas Schaffen ist das Reisen und Unterwegssein, das als Denkmodell seine künstlerische Praxis prägt. In den 1990er Jahren griff er einen Topos der westlichen Kunstgeschichte auf: die Künstlerreise. Mit seinen eigenen Reisen kehrte er den durch die Kunst der Moderne, die Ethnologie und den Tourismus reproduzierten westlichen Blick auf andere Kulturen um. So fuhren Tiravanija und der deutsche Künstler Franz Ackermann für untitled 1995 (bon voyage monsieur ackermann) in einem umgebauten gelben Opel Commodore von Berlin nach Lyon, um dort das Auto zusammen mit den die Fahrt dokumentierenden Videos auf der Lyon Biennale auszustellen – eine Künstlerreise, in der Europa selbst zum Anderen wurde.
Den ethnologischen oder touristischen Blick thematisiert Tiravanija auch in Arbeiten wie untitled 1992 (consumed) und untitled 1993 (rucksack installation). Die damit verbundenen Praktiken des Kartografierens, Fotografierens und Filmens deutete er um, indem er sie nicht nutzte, um die Realität zu ordnen und zu fixieren, sondern um neue Zusammenhänge und Bedeutungen herzustellen.
Tomorrow is the Question
Das ausgeprägte Interesse für soziale Interaktion zieht sich als roter Faden durch Tiravanijas Oeuvre. Viele seiner Werke vollziehen sich erst durch die Menschen, die sie aktivieren.
In besonderer Weise gilt dies für die seit 2001 gebauten „Demo Stations“: Plattformen, auf denen eine große Bandbreite von Präsentationen und Performances – wie Cooking Battles, Origami-Workshops oder wissenschaftliche Vorträge – stattfinden können. Die Version im Gropius Bau, untitled 2024 (demo station no. 8), ist eine spiralförmige Struktur, die sich auf Friedrich Kieslers Raumbühne von 1924 bezieht und auf Tiravanijas Interesse an Inszenierung und Theatralität verweist. Gegenüber dieser exponierten Bühne steht ein Werk, das eine eher horizontale Art der Kommunikation und Verbindung vorschlägt: untitled 2024 (tomorrow is the question) besteht aus acht Tischtennisplatten, die während der Öffnungszeiten allen zur Verfügung stehen.
Biografie
„All work that I have ever made is about the position I am in in the Western world, which I was trying to understand.“ – Rirkrit Tiravanija
Portrait von Rirkrit Tiravanija. © Rirkrit Tiravanija, Courtesy: Rirkrit Tiravanija / Galerie Chantal Crousel, Foto: Pauline Assathiany
Rirkrit Tiravanija (geb. 1961 in Buenos Aires) ist einer der international einflussreichsten multidisziplinär arbeitenden Künstler*innen. Er wuchs in einer thailändischen Diplomatenfamilie auf und lebte in verschiedenen Städten, darunter Buenos Aires, Bangkok, Addis Abeba und Toronto, bevor er sich am Ontario College of Art in Ottawa, Kanada, einschrieb. 1984 zog er in die USA, um an der School of the Art Institute of Chicago und später dem Whitney Museum of American Art Independent Study Program (ISP) in New York zu studieren. Seine ersten Installationen schuf er Mitte der 1980er Jahre. Durch die Integration gemeinsamer Aktivitäten wie Gespräche, Musik und Spiele, Trinken und Kochen mit den Besucher*innen erlangte Tiravanija Anerkennung. Er verwandelte Ausstellungen in gemeinschaftliche Situationen, in denen er explizit eine Kritik formulierte, die untrennbar mit der Infragestellung der Darstellung asiatischer Kultur und rassistischer Stereotypen innerhalb der ideologischen Konstrukte der westlichen hegemonialen Kultur verbunden ist. Tiravanija lebt in New York, Berlin und Chiang Mai.
Der Titel der Ausstellung, „Das Glück ist nicht immer lustig“, zitiert den Texthinweis aus dem Vorspann zum Film „Angst essen Seele auf“ (1974) © Rainer Werner Fassbinder Foundation.
Rirkrit Tiravanija: Das Glück ist nicht immer lustig
Zu sehen bis 12.1.2025 im Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, in 10963 Berlin.
Öffnungszeiten: Mo, Mi, Do, Fr 12:00–19:00h | So 11:00–19:00h | Di geschlossen
Kuratiert von Jenny Schlenzka, Direktorin, Gropius Bau, Yasmil Raymond, Freie Kuratorin, und Christopher Wierling, Assistenzkurator, Gropius Bau
Weitere Informationen (Berliner Festspiele)
Gefördert durch
Kulturstiftung des Bundes
Im Rahmen der Berlin Art Week
Mit Dank an die Rainer Werner Fassbinder Foundation und neugerriemschneider, Berlin
Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)
Kommentare powered by CComment