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Eine streiterprobte Philosophin schreibt über das Streiten. Das macht neugierig, insbesondere in einer Zeit, in der öffentliche Debatten zunehmend aggressiv oder gar nicht mehr geführt werden, Stichwort Cancel Culture.

Svenja Flaßpöhler ist in den letzten Jahren selbst bei einigen öffentlichen Auftritten und mit ihrem Bestseller „Die potente Frau“ zwischen die Frontlinien geraten. Ihre Erfahrungen versucht sie, in ihrem neuen Essay „Streiten“ mit Hilfe philosophischer Begrifflichkeiten zu verarbeiten.

 

Die Philosophin geht das Thema sehr persönlich an. Sie beginnt mit den Ehezwisten ihrer Eltern, um darzulegen, dass sie schon sehr früh die destruktiven Kräfte und Abgründe des Streits erlebt hat. Denn im Streit ist die potenzielle - auch physische Vernichtung - des Gegenübers immer vorhanden: „Streit ist kein Diskurs“ lautet daher die Überschrift des ersten Kapitels. Denn die Kontrahenten – oder im schlimmsten Fall Feinde – fühlen sich im Recht, wollen sich durchsetzen, beanspruchen somit die Herrschaft. Das ist eine affektgeladene Situation. Vor diesem persönlichen Hintergrund war und ist es Flaßpöhler immer ein Anliegen, gegensätzliche Positionen zusammenzuführen, um einen Diskurs zu etablieren, ganz im Sinne von Jürgen Habermas eine „wechselseitige Perspektivübernahme“ zu ermöglichen. Bestenfalls wird hier der Affekt sublimiert, auf der Grundlage gemeinsam geteilter Normen und Werte überlegt argumentiert und zusammen die Wahrheit gesucht. Es herrscht der „zwanglose Zwang des besseren Arguments“, kurzum: die Vernunft.

 

Dass so ein idealtypisch herrschaftsfreier Diskurs realitätsfern bzw. nur in eng gesteckten Grenzen möglich ist, weiß auch Flaßpöhler, zieht dazu u.a. die Schrift „Dialektik der Aufklärung“ von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer heran, um daran zu erinnern, dass die Vernunft den Willen zur Macht impliziert, eben auf die Beherrschung der äußeren und inneren Natur abzielt. Sie zitiert dazu als Beispiel wieder Habermas, der 2016 in einem Interview vorgeschlagen hat, die rechtsextreme Partei AfD zu „dethematisieren“, ihren Vertretern keine Bühne zu geben, weil ihre ressentimentgeladenen politischen Positionen sich außerhalb der Regeln und Normen eines demokratischen Diskursfeldes bewegen. Unliebsame Affekte werden damit in ein Draußen verlagert, wo sie aber leider nicht verschwinden.

 

Um den Raum zwischen einer vernunftgeleiteten und einer affektgesteuerten Debatte besser kenntlich zu machen, arbeitet sich Flaßpöhler durch verschiedene Theoreme: den moralischen Imperativ Immanuel Kants, der das menschliche Miteinander leiten sollte, oder die Vorstellung Sigmund Freuds von Eros und Thanatos, also den Lebens- und Todestrieben, die das menschliche Verhalten unbewusst und gleichzeitig steuern, auf diese Weise seine Ambivalenz, Rätselhaftigkeit und Lebendigkeit hervorbringend.

 

Flasspoehler Streiten COVERDas alles liest sich flüssig und anschaulich. Dabei entwickelt Flaßpöhler sukzessive ihre Vorstellung einer guten Debattenkultur. Darin enthalten sind Anteile von Streit im Sinne von Kampfeslust und den Willen zur Selbstbehauptung, gezügelt und eingehegt durch die Regeln eines sportlichen Wettkampfes, also das, was man landläufig als Fairness bezeichnet. Dabei bedenkt sie durchaus, dass sich der öffentliche Raum stark von den tradierten Sportsarenen unterscheidet. Nicht zuletzt haben private Fernsehkanäle und Social Media-Kanäle eine fragmentierte, zersplitterte Öffentlichkeit geschaffen, in der verschiedene Lebenswelten isoliert voneinander existieren, und in der jede ihre eigene Wahrnehmung und Wahrheit produziert.

Zwischen den theoretischen Überlegungen berichtet Flaßpöhler von ihren persönlichen Erfahrungen aus der deutschen, meist akademisch geprägten Kulturszene. Ein Jahr lang war die Philosophin leitende Redakteurin in einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt. Dort machte sie sich z.B. mit ihrem Anliegen, einen rechten Theoretiker in einer Diskussionssendung zu Wort kommen zu lassen, bei einigen Kollegen höchst verdächtig. Etwas überspitzt ausgedrückt: ihr Wunsch nach einem offenen Diskurs zerschellte in diesem Jahr quasi an der „Macht des Allgemeinen“, wie die Überschrift zu einem Kapitel lautet. Darin beschreibt Flaßpöhler auch die Versuche verschiedener Medien, ein neurechtes Buch aus der öffentlichen Debatte heraus zu drängen. Doch sowohl die Skandalisierung des Buches als auch die schlichte Streichung von der Spiegel-Bestellerliste – ein einmaliger Vorgang! -– ließen die Verkaufszahlen in die Höhe schnellen.

 

So aufschlussreich und anregend sich die persönlichen Erzählungen auch lesen: sie offenbaren doch vor allem die Hilflosigkeit und Ohnmacht der Akteure demokratischer Institutionen und Medienformate gegenüber politisch wirksamen Affekten. Allein mit philosophischen Begriffen lassen sich diese Phänomene nicht mehr fassen. Das gilt ebenso für Flaßpöhlers Talkshow-Erlebnisse, in denen sie die notwendige Fairness vermisste.

 

Damit kein falscher Eindruck entsteht: es geht Flaßpöhler keinesfalls darum, sich zu beklagen oder gar in die Opferrolle zu begeben. Sie versucht, möglichst abwägend und selbstkritisch ihre Erlebnisse darzustellen, um die Wahrnehmung ihrer Person und Position geradezurücken - ein nachvollziehbares, einfaches menschliches Bedürfnis, das aber in den Strukturen fragmentierter Öffentlichkeiten auf verlorenem Posten steht. So war es nur notwendig und konsequent, dass Flaßpöhler digitale Plattformen wie Facebook verlassen hat und sich lieber in Buchform äußert.

Die Philosophin gibt jedoch nicht auf. Sie vertraut oder hofft trotz allem auf ein mündiges Publikum. In ihrem Essay sucht sie nach einer Synthese von Affekt und Vernunft, der Möglichkeit, einen streitbaren Diskurs zu definieren. Argumente dafür findet sie u.a. in den Gedanken der belgischen Philosophin und Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe. Die hält es – grob gesagt – für gefährlich, politische Positionen und Parteien aus der Öffentlichkeit auszuschließen, und plädiert stattdessen für die Auseinandersetzung unvereinbarer Positionen im Rahmen demokratischer Formen. Nur: was tun, wenn eine Partei genau diese demokratischen Formen wie z.B. Wahlen abschaffen will? Flaßpöhler behandelt die Frage, lässt sie aber offen.

 

Svenja Flaßpöhler streift in ihrem Buch „Streiten“ durch Denkmodelle und Metaphern und analysiert aktuelle Strategien, eine argumentative Auseinandersetzung zu verhindern oder Gegner mundtot zu machen, wie sie teilweise selbst erfahren hat. Deutlich wird, dass sie demokratische Formen und eine faire Diskussionskultur verteidigen will. Indirekt zielen ihre Überlegungen auf die simple Frage, wie es wieder möglich sein kann, dass ein öffentlicher Raum entsteht, in dem wir vernünftig miteinander sprechen können. Ich wünsche ihr, dass sie darauf eine freundliche, konstruktive Antwort erhält.


Svenja Flasspöhler: Streiten

Hanser Verlag 2024

Essay, 128 Seiten

Hardcover, E-Book

ISBN 978-3-446-28004-5

Weitere Informationen (Verlag)

Leseprobe

 

Nächster Auftritt:

Sonntag, 20.10.2024 | 15:00–15:30 Uhr

Literaturbühne von ARD, ZDF und 3sat: „Sheroes". Svenja Flaßpöhler im Gespräch mit Elsa Koester. Moderation: Jagoda Marinic

Ort: Frankfurter Buchmesse, Forum, Ebene 0, Frankfurt

Veranstalter: Frankfurter Buchmesse

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