Der neue philharmonische Klang in Hamburg
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Die Verbindung der Hamburger Philharmoniker mit ihrem neuen Chef, dem amerikanischen Stardirigenten Kent Nagano, könnte sich als echte Liebesheirat erweisen. Die ersten Akzente sind gesetzt in einem Geist williger Gemeinsamkeit: Berlioz’ „Les Troyens“ – die große Opernpremiere, dann Strauss’ klanggewaltige „Elektra“, davor eine philharmonische Akademie im unselig überhallten Kirchenraum von St. Michaelis und zwei philharmonische Konzerte. Ein starker Anfang, er ließ aufhorchen. Aber auch einer, der noch Wünsche offen lässt.
Waren die Akademie und das erste philharmonische Konzert eher noch respektvolle Verbeugungen des Neuen vor der großen musikalischen Tradition Hamburgs, so lag der Akzent bei den beiden Opern und im zweiten Konzert schon anders: Ging es doch um Werke, die den Orchesterapparat in ganz unterschiedlichen Dimensionen richtig herausforderten.
Berlioz’ gewaltige Bandbreite der Klangfarben in „Les Troyens“ wurde von der sanft analytischen Klanggebung Naganos fein aufgefächert, manchmal schon sehr elegant und die verschienen Instrumente recht kantenfrei miteinander verschmolzen, manchmal klang es aber auch noch ein wenig handwerklich. Bei aller Gefühlsschwere der Musik blieb durchweg eine unforcierte, lockere, fast luftige Transparenz im Ohr. Bei so viel Balance im Orchesterklang hätte man sich manchmal dann doch gewünscht, dass in der Partitur hier und da mal nach versteckten Widerhaken und Untiefen geforscht würde.
Nagano setzt nicht auf wirbelnde Überwältigung
Der Dirigent besteht auf Klarheit und Präzision, und so kann man bei ihm tiefer und klarer ins Getriebe der Musik hineinhören. Außerdem danken ihm die Sänger die durchgängige Zurückhaltung des Orchesters – sie werden weder bei Berlioz „Les Troyens“ noch bei Strauss’ „Elektra“ durch schiere Lautstärke in den Hintergrund gedrängt oder zum Forcieren genötigt.
Auch bei Naganos Strauss hört man durchweg, was im Orchester passiert und wie es gemacht wird. Nicht unangenehm, zumal frühere störende Details – etwa unbeirrt ausgesessene, unkorrigiert unsaubere Stellen im Holz oder Blech – wie weggeblasen sind.
Nur die letzten, innersten Seelennuancen, die Strauss in seiner meisterlichen Instrumentation festgehalten hat, das aufregend flirrende, feinsilbrige Pianissimo eines ultrahomogenen Streicherklangs etwa, die blieben noch ein Spürchen zu eindimensional. Und nicht alle orchestralen Steigerungen gingen so unter die Haut wie in dem flehentlich herbeigesehnte Moment des Wiedererkennens zwischen Elektra und ihrem Bruder Orest, in dem die Musik das Unsagbare ausdrückt. Gleichzeitig spürte man deutlich: Da geht noch was.
Dann das 2. Philharmonische Konzert, zu Beginn Beethovens viertes Klavierkonzert. Eine Interpretation von klassischer Noblesse, ein Konzept, das auch der Solist Nikolai Lugansky verfolgte. Nicht wirklich aufregend, man hatte eher das Gefühl, dass hier sehr akkurat an Beethovens Noten entlang musiziert wird. Dabei entstand nicht unbedingt eine faszinierende, aufwühlende Version, aber eine ganz schön hörintensive. Denn Naganos feinmechanische Transparenz in der Begleitung erlaubte viele neue Einblicke in die Orchesterbegleitung, holte lange untergegangene melodische Linien und Begleitfiguren klangschön nach vorn. Das ist zunächst ein eher intellektuelles Vergnügen, in das man sich beim Hören hineinfinden muss.
Naganos Misstrauen gegen die ganz große Geste
Und schließlich Berlioz’ „Symphonie fantastique“ – die mehr als 30 Jahre vor den „Troyens“ entstandene Liebeserklärung des Komponisten an die englische Schauspielerin Harriet Smithson. Musikalisch ganz großes Kino mit gewaltiger Besetzung (wo erlebt man sonst sechs Harfen im selben Orchester?), das natürlich ebenso gewaltigen Beifall am Ende nach sich zog. Dennoch ging das Transparenz-Konzept des neuen Generalmusikdirektors hier nicht ganz auf. Das Orchester spielt einen hübsch akkuraten Walzer – und man denkt: Der dürfte sich ruhig noch etwas verliebter, noch sehnsüchtiger, leidenschaftlicher schmachtend drehen. Die Philharmoniker klingen überzeugend, in den zarten Soli ebenso wie an den Stellen, an denen es Berlioz so richtig krachen lässt – das klingt schon mächtig brutal in der Hinrichtungsszene, tobt sausend durch den Hexensabbat.
Doch spürt man immer wieder Naganos Liebe zum Feinziselierten und sein Misstrauen gegen die ganz große Geste, gegen das Sich-Verlieren in der Musik. Ein Angang, der sich häufig auch auf seinen CD-Einspielungen findet. Riesen-Emotionen mit angezogener Handbremse. Dürfen Berlioz’ Klänge nicht auch mal wehtun, aufrütteln, bis ins Mark erschüttern? Noch klingt das in Hamburg ein wenig präsentiert, weniger durchlebt.
Doch selbst, wenn Nagano noch wenig Risiken eingeht und manchmal noch etwas zu sehr nach Lehrbuch auf sehr hohem Niveau spielen lässt: Der Klang der Philharmoniker verändert sich, man spürt einen großen Willen, dem Dirigenten auf seinem Weg zu folgen. Vielleicht öffnen sich ja bald schon die Türen am Ende des Kalkulierbaren, und die unkalkulierbar emotionalen Momente der Musik finden ihren Raum zur Entfaltung – ein bisschen mehr Seele. Dirigent und Orchester stehen ja gerade mal am Anfang ihres Aufbruchs und gemeinsamen Weges. Es wird spannend, den zu beobachten.
Kent Nagano und die Hamburger Philharmoniker sind in der Laeiszhalle wieder gemeinsam zu hören im 4. Philharmonischen Konzert am 20. (11 Uhr) und 21. Dezember (20 uhr) mit Werken von Bach und Bruckner sowie am 31. Dezember im Silvesterkonzert (11 Uhr) mit Werken von Bach, Zimmermann, Brahms und Mozart.
In der Staatsoper steht Nagano wieder am 6.1. (19 Uhr) bei Debussys „Pelléas et Mélisande“ am Pult. Weitere Vorstellungen: 10., 19. und 22. Januar (alle 19 Uhr).
Abbildungsnachweis:
Headerfoto: Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Kent Nagano. Foto: Felix Bröde
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