Eine enge Bindung von Bildung und Kultur
- Geschrieben von Isabelle Hofmann -
Keine Visionen, keine Versprechen.
Vielmehr eine nüchterne Bestandsaufnahme und ein paar konstruktive Vorschläge für die Zukunft: Unter der Fragestellung „Hamburg – Modellregion für Kinder- und Jugendkultur?“ hatte die Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendkultur (LAG) die kulturpolitischen Sprecher der fünf großen Parteien zum Podiumsgespräch geladen. In der Zentralbibliothek am Hühnerposten diskutierten Isabella Vértes-Schütter (SPD), Christa Goetsch (die Grünen), Katja Suding (FDP), Norbert Hackbusch (die Linke) und Dietrich Wersich (CDU) vor Hamburgs Protagonisten der Kinder- und Jugendkultur. „Ein Familientreffen“, wie Moderator Ansgar Wimmer, Vorstand der Alfred Toepfer Stiftung, gleich zu Beginn feststellte. Dementsprechend harmonisch verlief auch der Abend.
Das Ergebnis nach eineinhalb Stunden: Die Kinder- und Jugendkulturszene ist momentan dank der Kulturtaxe relativ gut aufgestellt. Ohne die Kooperation mit Schule, Kita und Jugendhilfe werden viele Kinder jedoch nicht erreicht - und an dieser Zusammenarbeit hapert es immer noch gewaltig.
LAG-Vorstand Stephan von Loewis hatte das gemeinsame Nachdenken über die Entwicklung der Modellregion nicht ohne Grund als Fragestellung formuliert. Die Frage impliziert Zweifel - und die sind angesichts der Kommunikations-Defizite mit einigen Behörden durchaus berechtigt. 2004 hatte die damalige Kultursenatorin Karin von Welck das „Rahmenkonzept Kinder- und Jugendkulturarbeit in Hamburg“ mit dem Ziel vorgelegt, die Hansestadt zur Modellregion zu entwickeln. Behördenübergreifend sollte Hamburg fortan alle Kräfte bündeln, um jungen Menschen unabhängig ihrer Herkunft, Bildung und sozialen Lage die Teilhabe an Kultur zu ermöglichen. „Die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur“, so heißt es gleich im zweiten Satz des Konzeptes „stärken wichtige Schlüsselkompetenzen“. Und heute? Ist die „Modellregion“ mittlerweile Realität? Hat die Stadt erreicht, was sie vor zehn Jahren auf die Agenda setzte? Oder ist der Kampf für Kinder- und Jugendkultur letztlich doch für die Katz, wie es Ansgar Wimmer mit seiner „Vorbemerkung“ nahelegte? „Ich glaube“, so der sympathische und eloquente Moderator, „was wir hier tun, und was Sie hier schon über Jahre und Jahrzehnte machen, ist am Strand fegen".
Das sollte sicher launig klingen, doch war es de facto ein Schuss vor den Bug. Denn wenn jemand in Hamburgs Kulturbetrieb von Idealismus beseelt ist, dann ist es die Kinder- und Jugendkulturszene. Die meisten von ihnen arbeiten ehrenamtlich oder für Hungerlöhne. Wenn sie nicht überzeugt davon wären, wie sinnvoll ihre Arbeit ist, wenn sie nicht tagtäglich die Früchte ihres Engagements sehen würden - wofür sollten sie sich aufreiben?
So blieb die Stimmung des Abends eher gedämpft, obwohl der Moderator alle Register zog, um Heiterkeit zu erzeugen, Kraftwerk zitierte („Sie ist ein Model und sie sieht gut aus“) und zur Illustration seines „differenzierten Blicks auf das Thema“ ein süßes Bild seiner Zwillinge vor dem (englischsprachigen) Schild: „Fußgänger in beide Richtungen schauen“ an die Wand projizierte.
Dieser differenzierte Blick zeigte letztendlich, dass der Vergleich vom „Strand fegen“ hinkt - obwohl die Entwicklung der Modellregion, daran ließ keiner Zweifel, mühsam und in kleinen Schritten voranschreitet.
Die Gründe für das Schneckentempo sind vielschichtig. Als erstes sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu nennen, die nach wie vor schwierig sind. Zwar kommen durch die Kultur- und Tourismustaxe „rund 500 000 Euro mehr der Kinder- und Jugendkultur zugute“, wie Isabella Vértes-Schütter, Intendantin des Ernst Deutsch Theaters und selbst eine der engagiertesten Förderinnen von Kinder- und Jugendkultur, vorrechnete: „Ein deutliches Signal, dass wir das Thema ernst nehmen“.
Andererseits würden viele Akteure nicht wissen, wie sie an finanzielle Unterstützung herankommen können. „Die Förderlandschaft“, so Katja Suding, „ist immer noch viel zu zerklüftet und undurchsichtig.“ Das mache den Antragstellern das Leben unnötig schwer. „Es ist einfach ein Drama“, bekräftigte Norbert Hackbusch, dass auch heute noch „ein Großteil der kulturellen Energie für das Geldauftreiben aufgebracht werden muss“.
Ein weiteres Problemfeld bildet die angestrebte und im Rahmenkonzept von 2004 festgeschriebene Zusammenarbeit von Kultur- und Schulbehörde: „Kinder- und Jugendkultur war zu einem Schwerpunkt sämtlicher Behörden erklärt worden“, so Dietrich Wersich. „Das ist heute nicht mehr so“.
Dabei müsse „die Vermittlung von Kultur in einer Stadt, in der 50 Prozent der Kinder andere kulturelle Wurzeln haben, ein existenzielles Interesse aller Institutionen sein“, betonte der studierte Arzt und passionierte Theatermann. Und zwar aus dem einfachen Grund, weil es „eine Lebensversicherung für die Zukunft bedeutet“. Stattdessen würden Kooperationsbemühungen auf allen Seiten „an Grenzen“ stoßen.
Christa Goetsch, bekannt für gute Laune und klare Worte, sieht das ähnlich: „Behördenübergreifend zu arbeiten ist leider immer noch ein Fremdwort“, findet die Ex-Schulsenatorin. Die derzeitige Situation zwischen Kultur- und Schulbehörde sei einfach nur als „betonmäßig“ zu beschreiben. Sie überlege bereits der Kultursenatorin einen Presslufthammer zu schenken, erklärte die Studienrätin augenzwinkernd. Welchen Betonkopf sie dabei vor Augen hat, kann man sich denken.
Allerdings gibt es zurzeit ernsthafte Anzeichen für eine Annäherung der Behörden und über die ist Goetsch außerordentlich glücklich: „endlich findet jetzt eine gemeinsame Sitzung von Schul- und Kulturausschuss statt. Ich hoffe, dass dabei einiges herauskommt: Kultur-, Schul-, Wissenschaftsbehörde und die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration müssen sich an der Aufgabe beteiligen. Die LAG Kinder- und Jugendkultur hat wunderbare Bildungspakete entwickelt, die müssen jetzt flächendeckend an die Kinder kommen“.
Obwohl Ansgar Wimmer eine ganze Reihe von Themen ansprach, nach kulturellen Basiserfahrungen fragte, nach der Konkurrenz zu digitalen Medien, nach Kontrollmechanismen und Planungssicherheit, schälte sich unzureichende Kommunikation zwischen Kinderkulturszene und Schule als dominantes Problem des Abends heraus. Der mangelnde „politische Wille“ (Wersich) alle staatlichen Institutionen in die Kinder- und Jugendkultur einzubinden, wurde mehrfach kritisiert, auch sei es schwierig, Impulse in Schulen zu geben, die ihre inneren Angelegenheiten selbstständig verwalten und organisieren. Schulschelte wollte jedoch keiner der Podiumsteilnehmer betreiben, denn es sei klar, dass die Schulen „hoffnungslos überfordert seien“, wie Wersich auf den Punkt brachte.
Die hohe Belastung sei auch mitverantwortlich dafür, warum die Ganztagsschulen ihre „große Chance“ zur Kulturvermittlung bislang noch nicht genutzt hätten.
Es gibt jedoch Ansätze, die Hoffnung machen: Die Kulturschulen mitsamt ihrer Kulturagenten, deren Einführung Christa Goetsch als enormen „Qualitätssprung“ bewertete. Zwar hätte es schon in den 70er, 80er und 90er Jahren Kooperationen von Schule und Stadtteilkultur gegeben („das ist alles nichts Neues“, so Goetsch) doch hingen diese Kooperationen stets „individuell sehr stark von den Kollegen ab“. Begeistert berichtete die Studienrätin von der Louise Schroeder Kulturschule, an der sie seit 2012 wieder unterrichtet. Mehr als 60 Schüler ihrer Schule würden von der Bildungsinitiative „Jedem Kind ein Instrument“ (JeKi) profitieren. „Und morgen früh um 7 Uhr gehen meine Kinder in das Thalia in der Gaußstraße, um Theater zu spielen.“
Insgesamt, so Goetsch, hätte Kinder- und Jugendkultur in Hamburg seit 2004 deutlich an Bedeutung gewonnen. „Die Einsicht, dass Kunst und Kultur Schlüsselkompetenzen vermitteln, hat sich gesellschaftlich durchgesetzt. Heute spricht jeder davon, dass kulturelle Bildung wichtig ist“. Ihr Fazit: „Hamburg kann sich zu Recht als Modellregion bezeichnen“.
Als Ansgar Wimmer die Diskussionsrunde nach einer guten halben Stunde für das Publikum öffnete, wurde deutlich, wie unzufrieden die Kinder- und Jungendkultur-Akteure mit Hamburgs Schulpolitik sind.
Margot Reinig, Geschäftsführerin des KLICK Kindermuseums: „Ich glaube, dass Schule sich ändern muss. Und wir müssen die Diskussion darüber vorantreiben“. Damit widersprach die Museumsfrau auch Isabella Vértes-Schütter, die für beidseitiges Verständnis plädierte und die Annäherung von Schule und Kultur als langwierigen „Prozess“ beschrieb, bei dem sich auch die Kultur auf Schule einstellen muss. „Das ist die falsche Idee“ so Reinig vehement.
Dörte Inselmann, Leiterin des Kulturpalastes Billstedt verwies noch einmal mit Nachdruck auf die veränderte Bevölkerungsstruktur: „Wir haben 70 bis 90 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund in dieser Stadt. Wir brauchen alle Strukturen, um Bildungsgerechtigkeit herzustellen“. Kunst und Kultur sei „identitätsstiftend und somit das Schlüsselelement“.
Und dann kamen doch noch konkrete Forderungen aus dem Plenum: Nepomuk Derksen (Bunte Kuh e.V.) plädierte für einen fachübergreifenden Etat, Edda Georgi (erweiterter LAG-Vorstand) für die stärke Einbeziehung außerschulischer Lernorte und Dörte Inselmann für einen festgeschriebenen Prozentsatz im Kulturhaushalt, der künftig ausschließlich an Kinder- und Jugendkultur gehen soll: „Sonst werden wir den Umschwung niemals hinkriegen“. Außerdem, so Inselmann, müsste es „einen Kulturfaktor an den Schulen geben, um mehr Pilotprojekte starten zu können“.
In ihrem leidenschaftlichen Schlusswort fasste Gastgeberin Hella Schemer-Martienßen zusammen, was noch im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu leisten sei: „Kultur kann nicht existieren ohne elementare Bildungseinrichtungen, die alle Kinder in einen Verbund zwingen, um kulturelle Teilhabe überhaupt zu ermöglichen“, so die Direktorin der Öffentlichen Bücherhallen. „Die Verbindung zwischen Bildung und Kultur muss in den Köpfen zementiert werden“.
Header: Die Podiumsdiskutanten. Foto: Richard Stöhr
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