Hamburger Autorenvereinigung: Erinnern und Gedenken – zum 27. Januar 2014
- Geschrieben von Claus Friede -
Die Hamburger Autorenvereinigung, gegründet 1977, gehört zu den wichtigsten literarischen Organisationen der Hansestadt Hamburg.
Mit gut 200 Mitgliedern, Schriftstellern und Autoren unterschiedlicher Genres veranstaltet die Vereinigung nicht nur Lesungen nach bekannten Mustern, sondern organisiert Reisen zu befreundeten in- und ausländischen Partnern, vergibt den mit 25.000 Euro dotierten Hannelore-Greve-Literaturpreis sowie den mit einem Gesamtvolumen von 10.000 Euro dotierten Walter-Kempowski-Literaturpreis – Förderpreis der Hamburger Autorenvereinigung. Burkhard Driest, Siegfried Lenz, Walter Kempowski, Günter Kunert, Roswitha Quadflieg, Arno Surminski und Regula Venske gehören neben vielen anderen Prominenten zu den Mitgliedern der Vereinigung.
Der Verband agiert seit vielen Jahren überdies auch (kultur-)politisch, äußert sich zu Bewertungen der Literatur und kritisiert auch schon einmal die eigene Berufsgruppe. Vertreten durch seinen Vorsitzenden Gino Leineweber behält die Autorenvereinigung sich beispielsweise eine klare kritische Haltung im Fall von Günter Grass’ sogenannten Gedicht "Was gesagt werden muss" vor und äußerte 2013 Unverständnis für die Verschiebung der ‚Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus'-Sitzung des Deutschen Bundestages, weil dieser auf einen Sonntag fiel.
Insbesondere was die Erinnerungskultur angeht, stehen die Mitglieder im Fokus des öffentlichen Interesses. Dem Erinnern an die Opfer von Gewaltherrschaft und Unterdrückung – und dies gilt nicht ausschließlich der eigenen deutschen Geschichte – ist ein ehrliches Interesse und Anliegen anzumerken.
In diesem Zusammenhang findet heute, am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, um 18 Uhr, eine Veranstaltung im Hamburger ‚Michel’ statt, bei der dem im vergangenen September verstorbenen Marcel Reich-Ranicki gedacht und aus dessen Lebenserinnerungen gelesen wird.
Der Hamburger Autorenvereinigung ist aber auch noch ein weiterer Verdienst anzurechnen, den Gino Leineweber am Samstag, 25. Januar in seiner Ansprache zum Neujahrsempfang im Marmorsaal des Deutschen Schauspielhauses postulierte. Ein Auszug aus seiner Rede: „Es gibt viele Gedenkstunden an diesem Tag und manchmal stellt sich die Frage, ob es nicht weniger sein können oder ob nicht die Zeit gekommen ist, ganz darauf zu verzichten.
Ich meine nicht! Man schaue nur mal auf die Taten junger Unbelehrbarer, man schaue nur mal auf die Zustände in manchen Gegenden in der Welt.
Unser Engagement beschränkt sich aber nicht nur auf das offizielle Gedenken. Wir versuchen auch Einfluss zu nehmen, wenn wir meinen, dass etwas in Vergessenheit geraten könnte. Ralph Giordano hatte 2006 im ‚Michel’ eindrucksvoll unseren Blick auf die dunklen Seiten der Stadtgeschichte gelenkt. In seinen Erinnerungen spielte das „Stadthaus“ an der Bleichenbrücke im Herzen Hamburgs, das im Dritten Reich die Gestapo-Zentrale beherbergte und in dessen Kellern Giordano und andere Hamburger Widerständler gefoltert wurden, eine bedeutsame Rolle. Nach dem Krieg fand es eine friedlichere Verwendung und war Sitz der Bau- und Stadtplanungsbehörde, die im Sommer des letzten Jahres auszog. Ein großer Bericht über die Sanierung und Errichtung eines Luxusviertels rund um dieses Stadtpalais schreckte uns auf. Unser Vorstandsmitglied und Pressesprecher Peter Schmidt, der seit der ‚Michel’-Veranstaltung Kontakt zu Ralph Giordano hält, [...] schrieb einen besorgten Brief an den Ersten Bürgermeister Olaf Scholz, aus dem ich kurz zitiere:
„Haben wir nicht schon Gedenkstätten genug? Wir glauben, die Frage erübrigt sich anhand der von Giordano beschriebenen „zweiten Schuld“ in der Nachkriegszeit. Das Wiederaufflackern des Extremismus, der ein Anschlag auf unsere in Jahrhunderten erkämpfte Zivilisation samt den Lehren aus dem kulturellen Rückfall in der Herrschaft der Nationalsozialisten ist, sollte solche Überlegungen fördern und auch die Spannung dokumentieren, die sich unterhalb einer Welt des fröhlichen Konsums durchaus breit machen können. Auch eine Luxuswelt ist auf ein menschliches demokratisches Fundament angewiesen und kann einen auf den ersten Blick störenden Fingerzeig verkraften“.
Olaf Scholz nahm sich des Themas sofort an und der Chef der Senatskanzlei, Staatsrat Christoph Krupp, schrieb, und zwar ganz aktuell am 15. Januar, dass die Stadt den Investoren eine Gedenkstätte auferlegt hat und dass nun eine Fläche von immerhin 750 m² für Ausstellungen, Lesungen und weiteren Veranstaltungen vorgesehen ist. Wir werden uns an dem Programm beteiligen.
Ralph Giordano hat vor Weihnachten signalisiert, wie sehr er unsere Aufmerksamkeit in dieser Sache schätzt.“
Dass dem Senat die Sache ernst ist, lässt sich dem von Leineweber erwähnten Brief entnehmen, den Staatsrat Krupp an Peter Schmidt von der Autorenvereinigung schrieb. Es heißt dort: „Die Stadt ist sich der Verantwortung bewusst, die sich im Zuge der baulichen Entwicklung des bis Juni letzten Jahres von der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt genutzten Gebäudeensembles an der Stadthausbrücke stellt. In den Verkaufsverhandlungen wurde insofern stringent darauf geachtet, dass die Erinnerung an dessen Nutzung als Gestapo-Hauptquartier in den Jahren von 1933 bis 1943 im zukünftigen Nutzungskonzept eine besondere Berücksichtigung findet.“
Und an anderer Stelle weiter: „In der der Bürgerschaft zugeleiteten Drucksache 20/7833 heißt es: "Die von dem neuen Eigentümer nunmehr vertraglich zugesagte Fläche von 750 m² für die Nutzung "Gedenkstätte" sieht einen Lernort mit unterschiedlichen Inhalten (Ausstellung, Seminare, Veranstaltungen, Inszenierungen, Dokumentationen) zur Nutzung des "Stadthauses" in den Jahren 1933 bis 1943 einschließlich der Einbeziehung von Räumen vor, die als historische Stätten von der Verfolgung des Widerstands zeugen.“
Die Eröffnung des Gedenkortes ist für 2016 vorgesehen und soll in Abstimmung mit dem Denkmalschutzamt und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Wenn das Gedenken, zwar im Schwerpunkt dem Damals, aber auch dem Heute und zukünftigen Formen des Erinnerns Rechnung trägt, dann wird der Ort in unserem Bewusstsein ein würdiger sein und bleiben.
Traditionell veranstaltet die Hamburger Autorenvereinigung gemeinsam mit der Hauptkirche St. Michaelis die Gedenkveranstaltung zum 27. Januar, dem Tag der Befreiung der Gefangenen des KZ Auschwitz im Jahre 1945. In diesem Jahr wird Günter Berg aus der Biografie des kürzlich verstorbenen Marcel Reich-Ranicki lesen. Die Veranstaltung wird musikalisch umrahmt von Manuel Gera, Orgel.
Die Veranstaltung findet statt am 27. Januar 2014, um 18:00 Uhr in der Hauptkirche St. Michaelis, Englische Planke 1, in 20459 Hamburg.
Eintritt frei.
Fotonachweis:
Header: "Stadthaus". Foto: Wolfgang Meinhart, Hamburg (GNU Lizenz: Wikipedia)
Galerie:
01. Schreiben von Ralph Giordano an Peter Schmidt
02. Stolpersteine (von Gunter Demnig) für die Gestapo-Opfer Gustav Schönherr (1889–1933), Wilhelm Prüll (1910–1943) and Carl Burmester (1901–1934) vor dem "Stadthaus". Foto: Gudrum Meyer (GNU Lizenz: Wikipedia)
03. Gedenktafel für die Gestapo-Opfer im Eingang des Stadthauses Hamburg, bis 1943 Hauptquartier der Gestapo in der Hansestadt. Foto: Gudrum Meyer (GNU Lizenz: Wikipedia)
Hier finden Sie eine Auflistung der Hamburger Gedenkstätten
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