Kultur, Geschichte & Management
Plastikmüll am Strand, Papahanaumokuakea Marine National Monument, 2006, Foto/© Paulo Maurin/NOAA

Ein Berg voller Müll füllt derzeit den ersten Stock des Museums für Kunst und Gewerbe.
Die Abflussrohre, Bodenbeläge, Kabel und Kanister, Helme und Gehäuse, die man hier ausmachen kann, sind nicht etwa die Überbleibsel der ebenso langwierigen wie umfassenden Sanierung des Hauses am Steintorwall. Nein, dieser beeindruckende Abfallhaufen soll vielmehr zum Nachdenken anregen – als zentrale Installation der Ausstellung „Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt.“

Um es gleich vorweg zu nehmen: Diese internationale Wanderausstellung, die vom Museum für Gestaltung in Zürich konzipiert wurde und als erste Station nun in Hamburg gastiert, sollte eine Pflichtveranstaltung für alle Schulen, ja sogar schon für die Kindergärten sein. Sie macht auf eindringliche Weise bereits den Kleinsten deutlich, was wir Menschen mit unserem langlebigen Plastik-Müll anrichten. Wie wir die Natur schädigen, wie wir dadurch ungewollt Millionen von Tieren quälen, wie wir uns letztendlich damit selbst Zugrunde richten.

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Weltweit, so zeigt das von der Drosos Stiftung finanzierte „Plastikmüll-Projekt“ auf, werden pro Sekunde 8000 Kilogramm Kunststoffe produziert. Wie schön wäre es doch, wenn die unzähligen Dinge, die kaum kaputtzukriegen sind, nach Erfüllung ihres Zweckes tatsächlich in den Tiefen des Ozeans verschwinden würden. Wenn sich 11.000 Meter unter dem Meeresspiegel ein Loch auftäte und den ganzen Müll einfach verschlucken könnte.

Doch diese „Endstation“ gibt es nicht, darauf verweist schon das Fragezeichen im Titel der Ausstellung. Stattdessen spalten sich die Kunststoffprodukte, die nicht biologisch abbaubar sind, in immer kleinere Teile auf und gelangen schließlich in die Nahrungskette.
Auf einer großen Tafel sind die geschätzten Abbauzeiten von häufigem Schwemmgut verzeichnet: Die achtlos weggeworfenen Plastikringe eines Sixpacks überdauern 400 Jahre, eine Einweg-Windel überdauert 450 Jahre und eine Angelschnur sogar 680 Jahre. Dass diese archäologischen Objekte durchaus ästhetischen Reiz entfalten, zeigen ein paar große Schwarzweiß-Zeichnungen von Studierenden der Zürcher Hochschule der Künste. Das ändert jedoch nichts an der ökologischen Katastrophe, auf die wir hinsteuern.

Jedes Jahr schwappen rund 6,4 Millionen Tonnen Abfälle in die Ozeane. Mehr als fünf Millionen Tonnen stammen vom Land. Dabei sind nicht nur Küstenstaaten betroffen, sondern auch Binnenländer. Rund 80 Prozent des Abfalls gelangt vermutlich über Flüsse ins Meer.
Bereits heute haben sich große Teile der Weltmeere in eine gigantische Plastiksuppe verwandelt. Kein Quadratkilometer Meerwasser ohne Plastikteile, das ist die erschreckende Erkenntnis der Wissenschaftler. Wo sich die höchsten Konzentrationen an Plastikmüll befinden, zeigt Anna Schmocker, Absolventin der Zürcher Hochschule der Künste, in ihrem Kurzfilm über Meeresströmungen auf: Zwei davon treiben im Pazifischen Ozean und ihre Ausmaße entsprechen fast der Fläche Australiens.

Was Wunder, dass die Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt fatal sind:
Hitze, Druck und UV-Strahlen zersetzen und verformen die Kunststoffsuppe permanent, so dass sie von vielen Vögeln und Meeresbewohnern, auch von Kleinstlebewesen wie Krabben und Muscheln, fälschlicherweise als Nahrung angesehen werden. Irgendwann haben wir den Müll wieder auf dem Tisch – und jammern über drastisch zunehmende Krankheiten.
Die Ausstellung führt das Desaster unerhört sinnfällig vor Augen: Der Müllberg im Museum, Schwemmgut vor allem aus Hawaii, konfrontiert den Besucher ebenso schonungslos mit der nur allzu gern verdrängten Realität, wie die dramatischen Bilder der von Kunststoffnetzen zerfetzten Seehunde und Fische.

Kaum zu glauben, was alles an Plastikkleinteilen in Möwen-Mägen gefunden wurde und wie vergiftet bereits die Küken der Seevogel-Kolonien sind, die ihre Nester notgedrungen auf Müllhalden bauen.
„Plastik im Alltag“, das zweite Kapitel, gibt schließlich einen Überblick über die häufigsten Plastikarten und Materialkreisläufe. Hier werden auch neue Ansätze vorgestellt, die Hoffnung geben: Designer, die sich auf Recyclings spezialisieren, aber auch die neuen Biokunststoffe, die rasch abbaubar sind.
Es wird höchste Zeit zum Umdenken, denn es gibt Alternativen - diese kompakte und gut aufbereitete Ausstellung weist den Weg.


„Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt“, bis 31. März, Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz 1. 20099 Hamburg.
Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Vermittlungsprogramm für Kinder, Jugendliche und Erwachsene begleitet. Infos über die zahlreichen Workshops, Vorträge, Podiumsdiskussionen, Filme und Führungen unter:
www.plasticgarbageprojekt.org, www.museumsdienst-hamburg.de
Öffnungszeiten: Di-So 11-18 Uhr, Do 11-21 Uhr (an oder vor Feiertagen: 11-18 Uhr)
Hinweis: Internationale Wanderausstellung, initiiert vom Museum für Gestaltung Zürich.

Fotonachweis:
Header: Plastikmüll am Strand, Papahanaumokuakea Marine National Monument, 2006, Foto/© Paulo Maurin/NOAA
Galerie:
01. Ausstellungsplakat
02. MKG, Endstation Meer, Ausstellungsansicht 1, Foto: Michaela Hille
03. Midway: Message from the Gyre, Chris Jordan, Serie seit 2009, Foto/© Chris Jordan, Courtesy of Christophe Guye Galerie
04. Angeschwemmter Plastikmüll, Tromsø, Norwegen, 2010, Foto/© Bo Eide

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